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Social Media Marketing
Wer heute noch Likes zählt, ist selbst schuld
© imagesrouges, rethink via Canva

Wer heute noch Likes zählt, ist selbst schuld

Niklas Lewanczik | 24.06.22

Viele Likes gelten noch immer als Erfolg für einen Social-Media-Beitrag. Dabei sind die Likes als Metrik für Kampagnen und Content beinah irrelevant, meint unser Interview-Partner Tim David Pankonin. Er verrät, was wirklich wichtig und warum die Zielsetzung vorab elementar ist.

Ariana Grande, Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Kylie Jenner – und ein weltberühmtes Ei haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den Instagram Accounts mit dem meistgelikten Posts überhaupt. Das sogenannte World Record Egg zählt sogar über 56 Millionen Likes (Stand: 22. Juni 2022). Likes können den Gefallen, den User und Follower an einem Beitrag finden, zum Ausdruck bringen. Andererseits können sie aber auch das Produkt einer Challenge oder einer Mutual-Like-Taktik auf Social Media sein. Die Frage, ob diese „Gefällt mir“-Angabe auch als Metrik für den tatsächlichen Erfolg von Content und Kampagnen in sozialen Medien fungiert, treibt Social Media Manager, Advertiser und Creator um.

Auch die populären Social- und Entertainment-Plattformen scheinen sich nicht ganz sicher zu sein, wie relevant Likes für die Nutzer:innen letztendlich sind. Seit Mitte 2021 können User auf Instagram selbst entscheiden, ob sie Likes im News Feed sehen möchten oder nicht. Auch die Anzahl der Likes unter den eigenen Posts lässt sich verbergen.

Instagram Likes Verbergen
Du kannst du die Anzahl der Likes unter deinen Instagram Posts verbergen, © Instagram

Gleichzeitig können User seit dem Frühjahr 2022 Stories auf der Plattform liken. Während bei YouTube inzwischen zumindest die Anzahl der Dislikes ausgeblendet ist, wird die Like-Zahl weiterhin angezeigt. Ebenso wie bei Reels auf Instagram und bei TikToks. Wenn es aber um den tatsächlichen Erfolg einzelner Posts, Stories und Videos geht, können Likes keine verlässlichen Indikatoren sein, meint Tim David Pankonin, Geschäftsführer der Digitalagentur rethink. Er erklärt:

Klar, im ersten Moment ist es ein schönes und berauschendes Gefühl, tausende Likes zu bekommen – für private wie auch für professionelle Content Creator. Aber der Impact lässt sich nicht wirklich nur in Likes messen.

Pankonin zufolge gibt es gar eine Like-Irrelevanz, wenn es um die Erfolgsanalyse von Social-Media-Inhalten und -Kampagnen geht. Im Interview mit OnlineMarketing.de erläutert er, welche Metriken im Kontext von Engagement und Reichweite viel wichtiger sind, warum vor einer Erfolgsanalyse eine präzise Zielsetzung unerlässlich ist und wieso der Fokus vielmehr auf Kommunikation und Kreation als auf nackten Zahlen liegen sollte.

Das Interview

OnlineMarketing.de: Likes verlieren als Metrik an Gewicht. Instagram erlaubt das Ausschalten der Like-Anzeige, YouTube wiederum hat aus verschiedenen Gründen den Dislike Count deaktiviert. Doch die Metriken für Social-Media-Interaktionen sind begrenzt. Welche würdest du einerseits für Creator, andererseits für Advertiser als momentan wichtigsten einordnen?

Tim David Pankonin: Welche Metrik relevant ist, hängt ganz vom Ziel ab – egal ob Creator oder Advertiser. Wenn ein Unternehmen ein Video hochlädt, das eher wie ein Werbespot funktioniert, wird es ihnen zum Beispiel primär um Reichweite gehen. Dann hilft ein Blick auf Impressionen, die Anzahl der erreichten Personen oder Videoaufrufe. Wenn aber eine Aktivierung erreicht werden soll, geht es eher um Engagement in Form von zum Beispiel Likes, Klicks, Kommentaren oder Shares. Geht es um Traffic zu einer Website, schaut man sich die Link-Klicks an; sind Conversions das Ziel (Downloads, Registrierungen etc.), misst man diese. 

Träumen Creator und Advertiser nicht dennoch von Beiträgen, die viral gehen und daher Abertausende Likes erhalten? 

Viral gehen bedeutet ja nicht nur viele Likes zu bekommen. Wenn Beiträge viral gehen, haben sie immer ein hohes Nutzer:innenengagement, aber das kann auch in Form von Videoaufrufen, Kommentaren, Shares, Klicks oder der Watchtime eines Videos gemessen werden. Hier kommt es aber auch wieder auf die Zielsetzung an – das Ziel kann beispielsweise Unterhaltung oder Anregung sein. Und je nach Ziel ist eine andere Metrik entscheidend.

Klar, im ersten Moment ist es ein schönes und berauschendes Gefühl, tausende Likes zu bekommen – für private wie auch für professionelle Content Creator. Aber der Impact lässt sich nicht wirklich nur in Likes messen. Denn ein lustiges Hundevideo bekommt auf Instagram vielleicht eine Millionen Herzen, aber wirklich bewegen tut es mittelfristig dann doch nicht. Den Post hat man nach spätestens zehn Sekunden wieder vergessen, auch wenn er natürlich seine Daseinsberechtigung hat. Wenn es das Ziel ist, zu entertainen, dann kann man beim Hundevideo auch Likes messen; wenn ich relevante Inhalte an meine Zielgruppe liefern möchte, werden andere Kennzahlen wie Verweildauer, Shares, Kommentare oder Link-Klicks relevanter. Aber: Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind so beeindruckt von den Möglichkeiten, Dinge im Social Web zu messen, dass wir vollkommen vergessen, worum es eigentlich geht: relevante Inhalte für Audiences zu erstellen. 

Relevante Metriken lassen sich womöglich schwerlich verallgemeinern. Wie aber können dann differente Kampagnen und deren potentieller Erfolg zielorientiert gegeneinander abgewogen werden? 

Die Frage für mich ist: Wollen wir Äpfel mit Birnen vergleichen? Sollten die Erfolge von Kampagnen, die auf unterschiedliche Ziele einzahlen, überhaupt miteinander verglichen werden? Durch die Kennzahlen-Brille kann ein Werbepost mit 200.000 Likes durchaus erfolgreicher wirken als die Instagram Story, die Einblicke in die Arbeit des Unternehmens gibt, vielleicht weniger Reichweite oder Engagement erzielt, aber sich am Ende doch lohnt. Es kommt also auch hier wieder auf die Zielsetzung an, woraus sich die relevanten Metriken ergeben. Und bei bestimmten Zielen stößt die Like-Logik dann auch an ihre Grenzen. Wenn es das Ziel ist, Nutzer:innen auf die Website zu bringen, werden andere Parameter wie Link-Klicks oder Website-Aufrufe relevanter als Likes unter dem Beitrag. Schlussendlich zahlen aber alle Kampagnen am Ende hoffentlich auf die Wertschöpfung des Unternehmens beziehungsweise auf die verschiedenen Unternehmensziele ein.

Spielt aus deiner Sicht das direkt sichtbare Engagement bei Social Ads oder Social-Influencer-Kampagnen überhaupt eine Rolle, wenn mittelbar die Conversions stimmen? 

Der Erfolg einer Kampagne wird an den Metriken gemessen, die auf das Ziel einzahlen. Sichtbares Engagement, also Social-Media-Interaktionen wie beispielsweise Likes und Kommentare ist ein Teil davon, aber es gibt viel mehr Metriken, die nicht sichtbar sind, aber entsprechend der Zielsetzung relevant. Stichwort: Watchtime, Klicks zur Website etc. 

Auf welche Messwerte können (oder sollten) Advertiser und Creator letzten Endes womöglich doch nicht verzichten? 

Die wichtigen und relevanten Messwerte werden durch das Ziel bestimmt.  Alle dem Ziel entsprechend relevanten KPIs (quantitativ und qualitativ) sollten bei der Erfolgsmessung betrachtet werden, nicht nur einzelne und aus dem Zusammenhang gerissen.

Glaubst du, dass es eine Like-Fatigue gibt? Lässt sich das mit Zahlen belegen? Und worauf würdest du das zurückführen? 

Ich glaube, es gibt keine Like-Fatigue, sondern eine Like-Irrelevanz. Zumindest in der Erfolgsmessung. Ob ein Post gefällt und im besten Falle etwas in den betrachtenden Personen bewegt, äußert sich nicht unbedingt in einer hohen Like-Zahl, sondern generell am Engagement der Nutzer:innen. Klicken sie auf einen Post und lesen den Beitrag? Teilen sie ihn? Wie lange schauen sie sich ein Video an? Speichern sie einen Beitrag? Denn genau solche Metriken zeigen, dass der Content relevant für sie ist.

Welche auf den ersten Blick negativen Nebeneffekte einer Influencer-Kampagne, wie Follower-Verlust oder problematische Kommentare, könnten auch als Indikatoren für Kampagnenerfolge gesehen werden? 

Dadurch, dass Menschen aufgrund meiner Kommunikation aktiv ins Handeln kommen und kommentieren oder dem Account sogar entfolgen, kann ich mit Sicherheit sagen, dass diese Menschen eben nicht nur an meinem Beitrag vorbeigescrollt, sondern sich damit beschäftigt haben. 

Meine Botschaft ist also angekommen. Wenn sich User jetzt von dieser Botschaft nicht angesprochen fühlen, muss ich immer reflektieren, ob sie dann überhaupt die gewünschte Zielgruppe waren und ob sie und ich dieselben Werte teilen. Wenn nicht, habe ich lieber einen Follower weniger. Nichtsdestotrotz ist das kein Freifahrtschein einfach nur wie wild Content zu produzieren, ohne auf die eigenen Follower zu achten. Das A und O einer guten Social-Media-Kampagne ist es, die eigenen Zielgruppen genau zu analysieren und zu kennen und auf sie abgestimmt zu kommunizieren. Wer viel redet, hat nicht automatisch viel zu sagen.

KPIs werden natürlich basierend auf dem Kampagnenziel erstellt. Wie könnten drei unterschiedliche Ziele aussehen und welche KPIs würden entsprechend angesetzt? 

Wenn ich Aufmerksamkeit für ein Thema schaffen möchte, sind Interaktionen ein erster Indikator. Wenn ich zum Beispiel auf bestimmte Projekte in meinem Unternehmen aufmerksam machen möchte, sind Klicks auf den Beitrag, Likes oder Shares sowie die Engagement Rates relevant. Darüber hinaus kann man checken, wie viele Personen mit wie vielen Impressionen erreicht wurden und wie sich der Traffic auf meiner Website verändert, wenn es eine Landingpage zur Kampagne gibt. Hier sind Link-Klicks beziehungsweise Click-Through-Rates passende Metriken. 

Eine Social-Media-Kampagne schafft es sicher nicht, das komplette Image eines Unternehmens zu verbessern, aber es lässt sich messen, wie sich die Interaktionen im Zeitverlauf verändern. Wie ist die Tonalität der Kommentare und wie verändert sich diese? Bei wie vielen Leuten löst der Content eine positive Anschlussreaktion aus? Wie viele neue Follower konnte ich generieren und inwiefern entsprechen sie meiner Zielgruppe?

Der Erfolg von Employer-Branding-Kampagnen lässt sich auf Social Media auch anhand der Reichweite und dem Engagement überprüfen. Aber auch hier kommt es vor allem darauf an, ob die richtige Zielgruppe erreicht wurde. Darüber hinaus können neben den Social KPIs die Anzahl der eingehenden Bewerbungen und Kontaktaufnahmen betrachtet werden.

Gibt es Beispiele für Kampagnen, die trotz vergleichsweise geringer Like-Anzahl für die Marke/die Influencer erfolgreich waren? Und wie erklärt sich dann der Mangel an Likes? 

Traffic-Kampagnen können beispielsweise nicht an der Anzahl an Likes gemessen werden. Kommen Nutzer:innen, die zur Website gelangen und damit das Ziel der Kampagne erreicht ist, zum Social Media Post zurück und hinterlassen ein Like? Kampagnen, die auf Traffic optimiert sind, werden systematisch vor allem an Nutzer:innen ausgespielt, die mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf Links klicken beziehungsweise auf einer Website aktiv sind. 

Kannst du dir Social-Plattformen künftig ganz ohne das zentrale Like Feature vorstellen? Oder könnte es gar eine anders strukturierte Messlatte für Interaktionen geben? 

Klar, kann ich mir das vorstellen. Ich bin ja schließlich mit eindirektionalen Medien (zum Beispiel Fernsehen) groß geworden. Ob ich es sinnvoll und gut finde, fällt mir schwer zu sagen. Den Versuch, ohne Likes in Social Media zu arbeiten, fände ich auf jeden Fall interessant. Was wird passieren? Verändert sich der Content? Gibt es mehr Kommentare? Oder werden die sozialen Medien uninteressanter für die User?

Hältst du interaktive Add-Ons, wie sie TikTok für Video-Ads bereitstellt, für sinnvolle Alternativen bei der Metrik-Bestimmung? 

Solche Add-Ons könnten das Engagement der Nutzer:innen auf eine sehr interaktive Art und Weise steigern, was interessant ist. TikTok selbst sagt, dass ihre interaktiven Add-Ons dazu führen, dass sich die Wahrscheinlichkeit nach dem Ansehen der Ad ein Produkt der Brand zu kaufen um 40 Prozent beziehungsweise 150 Prozent erhöht. Sie eröffnen auf jeden Fall neue Möglichkeiten. Daher halte ich die Erweiterung altbekannter Metriken um solche interaktiven Elemente für sehr sinnvoll und bin gespannt, wie erfolgreich sie sind beziehungsweise wie sie performen und was da in den nächsten Jahren noch so auf uns zukommen wird.


Wir bedanken uns herzlich bei Tim David Pankonin für die ausfürhlichen Insights. Die Antworten hat er uns im schriftlichen Interview zur Verfügung gestellt.

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