Unternehmenskultur
Always on statt Feierabend? Europas Beschäftigte fürchten den US-Einfluss

Always on statt Feierabend? Europas Beschäftigte fürchten den US-Einfluss

Marié Detlefsen | 08.05.25

Der zunehmende Einfluss US-amerikanischer Arbeitspraktiken sorgt in Europa für Nervosität – von Überwachung bis Burn-out. Eine neue Umfrage zeigt: Arbeitnehmer:innen befürchten den Verlust bewährter Arbeitsrechte und fordern politischen Schutz.

In europäischen Großraumbüros, Co-Working-Spaces und im Home Office macht sich Unruhe breit – nicht wegen der Projekte, die anstehen, sondern wegen einer schleichenden Veränderung, die vielen nicht geheuer ist. Immer mehr Arbeitnehmer:innen in Europa fürchten, dass die raue, leistungszentrierte Unternehmenskultur der USA ihren Weg über den Atlantik findet – mit Folgen, die tiefgreifend sein könnten.

Eine aktuelle Umfrage von zety unter Beschäftigten in fünf europäischen Ländern zeigt: Die Skepsis gegenüber einem Arbeitsplatz nach amerikanischem Vorbild ist groß – und sie wächst. Ganze 83 Prozent der Befragten äußern sich besorgt über den Einfluss von Führungspersönlichkeiten aus den Vereinigten Staaten auf die heimische Arbeitskultur. Namen wie Elon Musk, mit Verbindungen zur Trump-Ära, stehen dabei sinnbildlich für eine Haltung, die auf strikte Kontrolle, grenzenlose Verfügbarkeit und rigide Hierarchien setzt.

Die Mehrheit der Beschäftigten in Europ fürchten die Einflüsse der US-amerikanischen Arbeitswelt.
Die Mehrheit der Beschäftigten in Europ fürchten die Einflüsse der US-amerikanischen Arbeitswelt, © zety

Die Angst vor dem US-amerikanischen Modell

Was vielen Sorgen bereitet, sind die typischen Merkmale des US-Arbeitslebens: Rückkehrpflichten trotz produktiver Heimarbeit, regelmäßige Rechenschaftsberichte, rigide Überwachung und ein allgegenwärtiges Always-on-Mantra. Für 76 Prozent der europäischen Beschäftigten ist klar: Diese permanente Erreichbarkeit wäre nicht fördernd für die psychische Gesundheit. Fast jede:r Zweite würde den Job wechseln, sollten die eigenen Arbeitgeber:innen solche Prinzipien übernehmen.

Diese US-Trends beunruhigend europäische Arbeitnehmer:innen.
Diese US-Trends beunruhigend europäische Arbeitnehmer:innen, © zety

Auch das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben scheint gefährdet. Drei Viertel der Teilnehmenden geben an, sie sähen durch US-Praktiken die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Erwerbsarbeit in Gefahr. Besonders beunruhigend sei der Trend Hustle Culture sowie längere Arbeitszeiten (43 Prozent), aber auch die zunehmende Überwachung am Arbeitsplatz (34 Prozent). Etwa 30 Prozent haben zudem Angst, dass KI wichtige Arbeitsplätze ersetzen könnte.

Beschäftigte fordern Schutz vor Einfluss der US-Unternehmen

Aufgrund der Unruhe wird auch der Ruf nach politischen Konsequenzen lauter. Rund zwei Drittel der Befragten fordern verschärfte Gesetze, um Arbeitnehmer:innen besser vor dem Übergriff US-amerikanischer Normen zu schützen. Ganze 95 Prozent plädieren laut der Studie dafür, die bestehenden europäischen Regelwerke unabhängig zu halten – fern von der Marktmacht der Tech-Größen und Managementmodelle aus dem Silicon Valley.

Doch es ist nicht nur die Unternehmenskultur, die Unbehagen stiftet. Auch die wirtschaftliche Verflechtung mit den Vereinigten Staaten lässt bei europäischen Beschäftigten die Alarmglocken schrillen. Über 70 Prozent zeigen sich besorgt, dass eine mögliche US-Rezession direkte Auswirkungen auf ihre eigene Arbeitsplatzsicherheit haben könnte. Die wirtschaftliche Machtstellung amerikanischer Firmen wird nicht nur als Motor, sondern zunehmend auch als Risikofaktor wahrgenommen.


Och ne!

Wenn politische Differenzen im Büro zum Streitthema werden

Och ne! Wenn politische Differenzen im Büro zum Streitthema werden.
© Yan Krukau – Pexels


Was die US-Arbeitsweise (nicht) attraktiv macht

Dabei gibt es durchaus Aspekte, die Interesse wecken. Höhere Gehälter, mehr unternehmerische Eigenverantwortung oder die Innovationskraft in bestimmten Branchen – all das wirkt auf einige verlockend. Doch in Summe überwiegt die Ablehnung. Die weit verbreitete Hustle Culture, die Bereitschaft zu ständiger Verfügbarkeit und ein rigoroser Leistungswettbewerb – das alles hat für viele europäische Arbeitnehmer:innen eher abschreckende Wirkung als inspirierende Strahlkraft. Jasmine Escalera, Karriereexpertin bei zety, sagt hierzu:

Der schleichende Einfluss amerikanischer Unternehmen auf europäische Arbeitsplätze gefällt den Arbeitnehmern nicht. Sie wehren sich gegen Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die Arbeitsplatzsicherheit und die psychische Gesundheit gefährden. Da immer mehr Arbeitnehmer einen stärkeren Schutz fordern, könnten europäische Führungskräfte bald unter Druck geraten, die härtere Seite der amerikanischen Unternehmenskultur in Schach zu halten.

Der Trend zur Amerikanisierung der Arbeitswelt mag sich nicht vollständig aufhalten lassen – doch der Widerstand dagegen wird lauter. Und mit ihm die Forderung: Europäische Werte im Berufsleben dürfen keine Verhandlungsmasse sein. Dennoch gibt es natürlich auch in Deutschland und generell in Europa auch schon existierende Schutzmechanismen. Darunter recht umfassende Arbeitsschutzregelungen wie zum Beispiel das Verbot von Sonntagsarbeit, dem gesetzlichen Mindestanspruch auf bezahlten Urlaub oder Überstundenregelungen.


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