Human Resources
Jede:r Neunte arbeitet mehr: Wo Überstunden in Deutschland zum Alltag gehören

Jede:r Neunte arbeitet mehr: Wo Überstunden in Deutschland zum Alltag gehören

Marié Detlefsen | 04.08.25

Trotz Arbeitszeitregelungen leisten Millionen Arbeitnehmer:innen in Deutschland regelmäßig Überstunden. Besonders betroffen sind Beschäftigte in der Finanz- und Energiebranche, oft ohne vollständigen Ausgleich.

Trotz Diskussionen über Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeitmodelle und New Work bleibt für viele Erwerbstätige in Deutschland eine Sache Alltag: Überstunden. Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben im vergangenen Jahr rund 4,4 Millionen Arbeitnehmer:innen regelmäßig mehr gearbeitet, als vertraglich festgelegt war.

Das entspricht etwa elf Prozent der insgesamt 39,1 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland. Die Daten stammen aus dem Mikrozensus 2024, einer umfangreichen Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik, in der Beschäftigte ihre wöchentliche Arbeitszeit selbst einschätzten. Interessant dabei: Männer überschreiten ihre vertraglichen Arbeitszeiten mit 13 Prozent etwas häufiger als Frauen, bei denen der Anteil bei zehn Prozent liegt.

Überstunden: Finanzwesen und Energiebranche besonders oft betroffen

Wer in der Finanz- oder Versicherungsbranche arbeitet, kennt Überstunden offenbar besonders gut: Hier berichtete fast jede:r Sechste von Mehrarbeit – konkret 17 Prozent. Dicht dahinter folgt die Energieversorgung mit 16 Prozent. Deutlich weniger betroffen sind dagegen Beschäftigte im Gastgewerbe, wo nur rund sechs Prozent überdurchschnittlich lange arbeiten. Auch in Bereichen wie Reinigungs- oder Sicherheitsdienste liegt die Quote mit acht Prozent vergleichsweise niedrig.

In diesen Branchen leisten Arbeitnehmer:innen am meisten Überstunden (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht; die Grafik wurde anhand der Daten mithilfe von ChatGPT erstellt)
In diesen Branchen leisten Arbeitnehmer:innen am meisten Überstunden (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht; die Grafik wurde anhand der Daten mithilfe von ChatGPT erstellt)

Dennoch variiert die Mehrarbeit stark in ihrem Umfang. Während knapp drei Viertel (73 Prozent) der Betroffenen angaben, unter zehn Stunden pro Woche zusätzlich zu arbeiten, leistete ein bemerkenswerter Anteil von 15 Prozent mindestens 15 Überstunden pro Woche – also im Prinzip fast zwei zusätzliche Arbeitstage. Fast die Hälfte der Betroffenen (45 Prozent) kam dagegen mit weniger als fünf Stunden Mehrarbeit pro Woche aus – ein moderater, aber dennoch spürbarer Mehraufwand.

Wie werden Überstunden überhaupt abgegolten?

Die Studie wirft auch einen Blick auf den Umgang mit Überstunden. Rund 71 Prozent der Beschäftigten nutzten ein Arbeitszeitkonto, auf dem die geleisteten Stunden gesammelt und später durch Freizeit ausgeglichen werden können. Immerhin 16 Prozent erhielten für ihre zusätzliche Arbeit eine Vergütung, während fast jede:r Fünfte (19 Prozent) angab, unbezahlt mehr gearbeitet zu haben.

In der Realität kombinieren viele Arbeitnehmer:innen diese Möglichkeiten: Ein Teil der Überstunden wird etwa bezahlt, ein anderer Teil auf dem Arbeitszeitkonto verbucht oder einfach unentgeltlich geleistet. Viele Arbeitnehmer:innen dürften auch die Vertragsklausel kennen, die Überstunden als mit dem Gehalt abgegolten erklärt. Dabei ist zu beachten, dass die Klausel nur bei der Nennung einer konkreten Zahl gültig ist, sodass die Vertragsnehmer:innen wissen, auf was sie sich einlassen


Regelmäßige Überstunden für viele Alltag –

Vergütung erfolgt nur bedingt

Regelmäßige Überstunden für viele Alltag – Vergütung erfolgt nur bedingt.
© Jonas Leupe – Unsplash


Auch wenn nur jede:r Neunte offiziell mehr arbeitet, als im Vertrag steht – die Zahlen machen deutlich, dass Überstunden in vielen Branchen zum Arbeitsalltag gehören. Besonders auffällig ist dabei nicht nur die Branchenverteilung, sondern auch die große Bandbreite beim Umfang und bei der Vergütung der Mehrarbeit. Angesichts aktueller Debatten um Arbeitszeitverkürzung, Fachkräftemangel und flexible Arbeitsmodelle werfen diese Ergebnisse wichtige Fragen auf: Wo endet das Maß an zumutbarer Mehrarbeit – und wie gerecht wird sie eigentlich behandelt?

Statt Überstunden hinzunehmen oder sogar zu fördern, sollten Unternehmen Strategien entwickeln, um dagegen vorzugehen. Eine erhöhte Belastung und Dauerstress führen andernfalls nur zu demotivierten und kranken Angestellten. Unternehmen und Arbeitgeber:innen sollten reagieren – mit offener Kommunikation, fairer Kompensation und echten Unterstützungsangeboten. Eine gute Zeiterfassung oder Weiterbildungsangebote stellen hier eine gute Möglichkeit dar. Oder wie wäre es mit der Einführung von Null-Bock-Tagen oder einer Vier-Tage-Woche? Denn wer die Anzeichen missachtet, riskiert ansonsten nicht nur die eigene Arbeitgeber:innenmarke, sondern auch die langfristige Leistungsfähigkeit ihrer Belegschaft.


Beschäftigte in Deutschland haben niedrigste Arbeitszeit:

Regierung will Überstunden attraktiver machen

Beschäftigte in Deutschland haben niedrigste Arbeitszeit: Regierung will Überstunden attraktiver machen.
© Adolfo Félix – Unsplash

Kommentare aus der Community

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*

Melde dich jetzt zu unserem HR-Update an und erhalte regelmäßig spannende Artikel, Interviews und Hintergrundberichte aus dem Bereich Human Resources.