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Human Resources
Beschäftigte in Deutschland haben niedrigste Arbeitszeit: Regierung will Überstunden attraktiver machen

Beschäftigte in Deutschland haben niedrigste Arbeitszeit: Regierung will Überstunden attraktiver machen

Marié Detlefsen | 17.05.24

Laut einer aktuellen Studie hat Deutschland die geringste durchschnittliche Arbeitszeit unter den Industrieländern. Erfahre, welche Ursachen dem zugrunde liegen und welche Reformen die Bundesregierung in diesem Zusammenhang plant.

Deutschland steht vor einer entscheidenden Phase in seiner Wirtschaftspolitik: Das Land hat aktuell die geringste durchschnittliche Arbeitszeit unter den Industrieländern, wie die neuesten Daten der OECD für 2022 zeigen. Die geringe Stundenanzahl und das stetig sinkende Wirtschaftswachstum haben in den vergangenen Monaten die Diskussionen in der Regierungskoalition intensiviert. Ein Wachstumsplan soll bereits in naher Zukunft vorgestellt werden, um Anreize für längere Arbeitszeiten zu schaffen und so die wirtschaftliche Leistung zu verbessern. Die Pläne stoßen allerdings auf Kritik.

Geringste Arbeitszeit mit 1.349 Stunden pro Jahr

Die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Laut OECD wird die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit definiert als die Gesamtzahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden pro Jahr, geteilt durch die durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten pro Jahr. Dazu gehören reguläre Arbeitszeiten von Vollzeit-, Teilzeit- und Teiljahresbeschäftigten, bezahlte und unbezahlte Überstunden, Arbeitsstunden in zusätzlichen Jobs und sie schließen jegliche Zeiten aus, in denen nicht gearbeitet wird, wie zum Beispiel Feiertage oder Streiks. Die Daten decken sowohl Angestellte als auch Selbstständige ab und werden in Stunden pro Arbeiter:in pro Jahr gemessen.

Die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland betrug 2022 laut OECD etwa 1.349 Stunden pro Jahr. Diese Zahl ist die niedrigste unter den Industrieländern und verdeutlicht die wachsende Präferenz der Arbeitnehmer:innen in Deutschland für Teilzeitarbeit und mehr Freizeit. Insgesamt sind die durchschnittlichen jährlichen Arbeitsstunden der Menschen in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren um 30 Prozent gesunken und liegen nun ein Viertel unter dem US-Niveau. Dies spiegelt auch die wachsende Präferenz der Europäer:innen für längere Urlaubszeiten und mehr Freizeit wider.

Arbeitnehmer:innen in Deutschland arbeiten durchschnittlich etwa 1.349 Stunden pro Jahr.
Arbeitnehmer:innen in Deutschland arbeiten durchschnittlich etwa 1.349 Stunden pro Jahr, © OECD

Pandemie als Grund für kürzere Arbeitszeiten und Wirtschaftsverlust

Als mögliche Begründung für die starke Reduzierung der Arbeitszeit in den vergangenen Jahren nennt die OECD zwei Faktoren: Einerseits hat die Pandemie den Rückgang der Arbeitsstunden in Europa beschleunigt, was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Region beeinträchtigt hat. Andererseits lässt die Alterung der Bevölkerung die Anzahl der Erwerbstätigen schrumpfen.

Auch der Trend hin zu kürzeren Arbeitszeiten hat sich seit der Pandemie in der EU verstärkt. So haben die deutschen Bahnmitarbeiter:innen in diesem Jahr erfolgreich durchgesetzt, dass ihre Wochenarbeitszeit bis 2029 von 38 auf 35 Stunden reduziert wird. Die Europäische Zentralbank schätzt, dass die Beschäftigten im Euroraum Ende vergangenen Jahres im Durchschnitt fünf Stunden weniger arbeiteten als vor der Pandemie 2020, was einem Verlust von zwei Millionen Vollzeitbeschäftigten pro Jahr entspricht, während die durchschnittlichen Arbeitsstunden der US-Arbeiter:innen stabil geblieben sind.

Allerdings wurden in Deutschland 2023 auch mehr als eine Milliarde Überstunden gemacht – der Großteil davon unbezahlt.

Lindner möchte Überstunden attraktiver machen, aber nur für Vollzeitkräfte

Die Energiekrise, die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine verschärft wurde, führte ebenfalls dazu, dass die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr um 0,2 Prozent schrumpfte. Während die größte Volkswirtschaft Europas im ersten Quartal ein Wachstum von 0,2 Prozent verzeichnete, wird erwartet, dass sie in diesem Jahr weiterhin eine der schwächsten großen Volkswirtschaften der Welt bleibt, mit einem jährlichen BIP-Wachstum von unter einem Prozent. Um dem entgegenzuwirken, arbeitet die Bundesregierung derzeit an einem Paket, um die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland zu erhöhen.

Nach bisherigen Informationen sollen in diesem Plan unter anderem Steuererleichterungen für Überstunden sowie eine Überarbeitung des Sozialleistungssystems folgen. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Attraktivität von Mehrarbeit zu erhöhen, da derzeit viele Geringverdiener:innen wenig Anreiz haben, mehr zu arbeiten, weil ein Großteil des zusätzlichen Einkommens durch Steuern und verringerte Sozialleistungen verloren geht.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) schlug in diesem Rahmen die Einführung von Steuerfreiheit für Überstunden vor. Gemäß einem Beschluss des FDP-Präsidiums könnte die steuerfreie Stellung einer begrenzten Anzahl von Überstunden und die Auszahlung von Überstundenzuschlägen dazu beitragen, dass individuelle Leistung wieder stärker belohnt wird. Doch die Bedingungen, unter denen diese Steuervorteile gewährt werden sollen, werfen bei vielen Fragen auf, denn sie sollen nicht für alle Arbeitnehmer:innen gleichermaßen gelten. Laut eines Berichts des Tagesspiegels sieht die Ankündigung nämlich vor, dass diese Steuerfreiheit erst ab der 41. Arbeitsstunde pro Woche greifen soll. Damit würden nur Vollzeitkräfte von der Befreiung von zusätzlichen Steuern auf ihren Lohn profitieren.

Staat und Unternehmen müssen bessere Anreize für längere Arbeitszeiten schaffen

Deutschland steht vor einer komplexen Herausforderung, die sowohl strukturelle als auch konjunkturelle Aspekte umfasst. Mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von nur 1.349 Stunden pro Jahr befindet sich das Land am unteren Ende der Skala im internationalen Vergleich. Die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung, wie Steuererleichterungen für Überstunden und eine Reform des Sozialleistungssystems, zielen zwar darauf ab, die Anreize für längere Arbeitszeiten zu erhöhen und die wirtschaftliche Dynamik zu stärken, jedoch sind diese Reformen umstritten und stoßen insbesondere bei Gewerkschaften auf Widerstand.

Wie erfolgreich diese Initiativen sein werden, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass Deutschland einen Weg finden muss, um die Produktivität zu steigern und die strukturellen Herausforderungen zu bewältigen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen müssen sich überlegen, wie realistisch Arbeitskonzepte wie die 4-Tage-Woche wirklich sind.


Studie:

66 Prozent der Arbeitnehmer:innen erachten 4-Tage-Woche als unrealistisch

Deutschland hat bereits die niedrigste Arbeitszeit, ist da eine 4-Tage-Woche noch realistisch?
© Roman Bozhko – Unsplash

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