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Social Media Marketing
Interview: „TikTok wird Mainstream und Instagram das Leben schwer machen“
Adil Sbai und Johannes Ruisinger sind TikTok-Experten, © OnlinePunks, Bytedance

Interview: „TikTok wird Mainstream und Instagram das Leben schwer machen“

Niklas Lewanczik | 12.05.20

Im exklusiven Interview verraten uns Adil Sbai und Johannes Ruisinger von OnlinePunks, warum TikTok ganz anders ist als Instagram, aber für Marken mindestens genauso wichtig.

Ist TikTok bereits das neue Mekka für Marken? Die populäre App hat jüngst die Marke von zwei Milliarden Downloads geknackt, entwickelt immer neue Monetarisierungsoptionen und ist für zahlreiche Creator, Influencer und sogar Unternehmen schon zu einem wichtigen Bestandteil im Social Media Mix geworden. Gleichzeitig sind Top TikToker und die Zielgruppe vergleichsweise jung. Welche Potentiale bieten sich also für welche Marken und Advertiser? Und mit welcher Art von Strategie sollte man sich dem Kosmos von TikTok überhaupt nähern? Wir diskutieren das mit den Experten Adil Sbai und Johannes Ruisinger vom Social-Media-Expertise-Unternehmen OnlinePunks – und werfen auch einen Blick in den aufschlussreichen influData Report des Unternehmens, der zahlreiche Insights zur App liefert.

Mit TikTok zum Kern des Engagements: Potentiale für Marken und Creator

Als vergleichsweise junge Social-Plattform hat TikTok gegenüber Snapchat, Instagram oder natürlich Facebook noch Einiges aufzuholen. Hinsichtlich der Features für Creator und der Optionen für Advertiser kommen aber immer neue Möglichkeiten hinzu. Insbesondere die In-Feed Video Ads, die in der App zwischen den TikToks laufen, können sich als relevanter Marketing-Kanal für Marken beweisen.

Doch viele Unternehmen und Marken müssen erst einmal sondieren, ob und inwieweit TikTok für sie Relevanz hat. Sind wertvolle Zielgruppen in der App unterwegs, und welche TikToker sprechen diese womöglich an? Um über das Umfeld des sozialen Mediums – besonders auch in Deutschland – mehr datenbasierte Aussagen treffen zu können, analysiert influData öffentliche Zahlen, sodass die Digitalgemeinde TikTok besser verstehen kann. Der CEO und CTO von influData, Johahnnes Ruisinger, erklärt im Data Report:

TikTok funktioniert in jeglicher Hinsicht ganz anders als Instagram. Daten sind der erste Schritt, die Community aus der Sicht eines Marketers zu verstehen.

Deutschsprachige Creator – bekannt sind unter anderem der TikToker Younes Zarou, aber auch Persönlichkeiten wie Herr Anwalt – haben bereits über 70.000 Jahre an Playzeit generiert. Und es werden jeden Tag mehr. Während Hashtags wie „viral“, „fürdich“, „duett“ oder „meinerstestiktok“ sehr populär sind (derzeit auch „quarantäne“ oder „corona“), werden bei TikTok auch diverse Marken häufig erwähnt. Allen voran Fortnite, aber auch Netflix, Apple, Nike, BMW und Co.

Populäre Brand Mentions bei TikTok, influData, OnlinePunks
Populäre Brand Mentions bei TikTok, © influData, OnlinePunks

Auffällig ist, dass Kampagnen von Marken Wendungen oder Hashtags etablieren können, etwa Congstar mit „probiertwasgeht“ oder Electronic Arts mit „playwithlife“ (für Die Sims 4).

@marekfritz

Wenn’s mal wieder schnell gehen muss😂Was ist euer Ding? Macht bei der ##probiertwasgeht Challenge mit!🎉@congstar ##Anzeige

♬ congstar #probiertwasgeht – congstar

In unserem exklusiven Interview mit den Experten von OnlinePunks und influData erfahrt ihr, welche Marken schon erfolgreich bei TikTok unterwegs sind, warum die App langsam, aber sicher in den Mainstream übergeht, und weshalb genau jetzt die beste Zeit ist, um B2C-Produkte bei TikTok zu promoten.

Das Interview

OnlineMarketing.de: TikTok ist derzeit schon in aller Munde, glaubt ihr, dass die App mittelfristig als ebenbürtige Konkurrenz-Plattform neben Instagram bestehen kann?

OnlinePunks: Absolut. Die Wachstumszahlen sind beeindruckend und TikTok ist vermutlich einer der Gewinner der Coronakrise. Untermalt wird das dadurch, dass große und eher durch Instagram bekannte Influencer und auch Promis immer aktiver werden. TikTok wird Mainstream und kann Instagram das Leben durchaus schwer machen, mittel- und langfristig.

Adil Sbai von OnlinePunks, © OnlinePunks

Marken haben bisher auch davor zurückgeschreckt, Influencer Marketing bei TikTok zu betreiben, weil die Zielgruppe sehr jung ist. Ist das eine legitime Begründung oder lässt sich diesem Ansatz auch statistisch etwas entgegensetzen?

Die Anzahl der unter-25-jährigen Nutzer hat sich in den USA in den letzten 18 Monaten verfünffacht. Und auch Instagram hatte anfangs überwiegend junge Nutzer und galt als „Teenie-App“. Die Dynamik ist nicht zu unterschätzen und das Wachstum exponentiell. Man denke nur mal zurück daran, wie schnell damals StudiVZ kam – und auch wieder ging. Die nächsten Jahre werden sehr spannend für Marken, die jetzt „mutig“ sind: Noch kann man sich Creator extrem günstig sichern, aber das wird sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten ändern, weil sich Influencer Marketing auf TikTok etablieren und professionalisieren wird.

Der Großteil der internationalen und deutschen TikToker ist um die 20 oder Anfang 20. Ähnlich sieht es bei den Usern aus. Glaubt ihr, dass sich diese Altersstruktur noch stark ändern könnte oder bleibt TikTok eher eine Plattform für die jüngeren Generationen? Und bedeutet das auch, dass nur bestimmte Marken hier einen guten Nährboden für Kampagnen finden oder ist es eine Chance für alle, junge Menschen medienwirksam per Branding zu überzeugen?

Auch 15-Jährige werden älter. Trends gehen meist von Jüngeren aus. Die Kids machen sich heute als erstes einen Snapchat oder TikTok-Account. Kaum jemand unter 18 ist auf Facebook. Selbst Instagram ist nicht mehr das erste Social-Media-Netzwerk. Wer das verkennt und verpennt, wird in einigen Jahren Probleme bekommen.

Laut des influData-Datenreports zu TikTok haben über 17.000 deutschsprachige TikToker bereits mehr als 130 Milliarden Plays generiert. Welches Potential könnten Marken in solchen Zahlen erkennen, sind diese Werte schon Indikatoren für die Relevanz der Content-Rezeption bei TikTok im deutschsprachigen Raum?

TikTok wird immer noch als reiner „Branding-Kanal“ verkannt, dabei gibt es durchaus messbaren Impact. International ist Levi’s ein gutes Beispiel, das seine Besucherzahlen dank TikTok-Integrationen verdoppeln konnte. National waren Congstar oder Cookie Bros sehr erfolgreich. Letztere haben ohne große Ad-Budgets und überwiegend durch gute Social-Media-Strategie ihre Umsätze von 2019 im Januar und Februar bereits getoppt – was unfassbar ist.

Johannes Ruisinger von OnlinePunks, © OnlinePunks

Wenn aktuell guter Content  auf TikTok richtig platziert wird, hat dieser auch Strahleffekte auf Instagram und Influencer – und durchaus auf dies Sales. Cookie Bros hat einen Hype generiert, der aktuell zu 600 Direct Messages täglich führt, davon zehn Prozent von Influencern, die um Produkte bitten. Wo andere Marken aufwändig Influencer sourcen müssen, bekommt Cookie Bros Inbound Leads, was die Power guten Content Marketings zeigt. Ein anderes gutes Beispiel ist die Werbung von Ahoj Brause mit Friedrich Liechtenstein, die Millionen Mal ausgespielt wurde und über 55.000 Follower generierte. 

Ein TikToker wie Younes Zarou hat mehrere Millionen Follower und wächst immens schnell. Das weckt bei Marken Interesse. Aber worauf müssen die Marken zuallererst achten, wenn sie an eine Kooperation denken? Fallen beispielsweise View-Zahlen und Videofrequenz noch mehr ins Gewicht als die Followerzahl allein?

TikTok „tickt“ anders. Die View-Zahlen sind sehr viel volatiler als auf Instagram und auch YouTube. Younes‘ erfolgreichstes Video hat 204 Millionen Views, seine schlecht laufenden „nur“ etwa eine Million. Ein Faktor von 200 ist auf Instagram und YouTube kaum vorstellbar und eher die große Ausnahme. Das macht Kampagnen schwieriger planbar und dem „Lotto“ ähnlicher – aber zu einem Lotto mit einem positiven Erwartungswert! Denn Creator sind günstig und die Resonanz nativer Integration ist gut. Gleichwohl verbrennen sich aktuell die ersten Brands die Finger, weil sie Produkte „plump“ einbetten oder Hashtag Challenges zu kompliziert machen.

Anders als bei Instagram sind die Follower-Zahlen nicht zwingend ein Indikator für viele Views kommender Videos, richtig?

Doch, es korreliert schon, aber die View-Zahlen sind eben volatiler. Ein Beispiel dazu: Selbst „schlechter“ ankommende Videos von Younes haben zum Beispiel immer noch etwa eine Million Views, was kaum jemand sonst erreicht. Das gleiche Video auf einem kleinen Kanal würde keine Chance haben. Aber Younes beste Videos könnten auf jedem (auch kleineren) Kanal performen und würden vermutlich Millionen Views generieren. TikToks Algorithmen raten jeden Account intern und je höher das Account Rating (das auf der Performance alter Videos basiert), umso mehr Usern wird es auch angezeigt.

Könnt ihr uns eine ungefähre Vorstellung davon vermitteln, was Marken investieren müssten, um eine einmalige Kampagne mit einem TikToker in der Größenordnung von Younes Zarou durchzuführen?

Mittlerweile schon einen fünfstelligen Betrag, allerdings würden wir nur mit Brands zusammenarbeiten, die perfekt passen. Deshalb haben wir auch noch keine Anfrage angenommen. Shampoo einfach in die Kamera halten und die Produktvorzüge erwähnen – no way. Aber mit dem Shampoo etwas Verrücktes machen – gern! Wenn Brands dafür offen sind, bekommen sie unfassbare Reichweite für immer noch wenig Geld. TikTok Content benötigt Storytelling, Dynamik, Kreativität. Das macht Influencer Marketing herausfordernd, aber auch reizvoll.

Was ist eure Prognose, welche TikToker und Content Trends sollten Marken künftig auf jeden Fall auf dem Zettel haben?

Hashtag Challenges werden sich fest etablieren und sicher auch Impact auf andere Plattformen haben. Ich bin auch überzeugt, dass sich bei Brands und Influencern die Spreu vom Weizen trennen wird, dank der kreativen Herausforderung TikToks. Das finde ich gut, schließlich war Instagram ein wenig eintönig und Influencer Marketing oft stupide. In anderen Worten: Oliver Pocher würde sein Influencer Bashing auf Tiktok deutlich schwerer fallen, denn die Gen Z spottet Bullshit und stumpfe Werbebotschaften mindestens so gut wie er selbst.

Daten sind für Marketer grundsätzlich entscheidend beim Aufbau von Kampagnen. Ihr analysiert und nutzt spezifische TikTok-Daten. Welche Werte sind für Marketer, aber auch Influencer von Belang?

Was Marketer angeht, ist das sehr kampagnenabhängig. Aber am Endes des Tages interessiert viele Brands Umsatz. Was nicht immer gut ist, weil Influencer Marketing „nachhallt“ und Branding schwierig quantifizierbar, aber nicht zu leugnen ist. Man könnte sagen, hier scheiden sich die Geister. Fakt ist aber auch, dass zahlreiche Startups via Instagram und Influencer Marketing innerhalb weniger Jahre von null auf acht- oder gar neunstellige Umsätze wuchsen. Und das gilt nicht nur international, zum Beispiel für Daniel Wellington oder HiSmile, sondern auch national (HelloBody, Kapten&Son, Foodspring). Selbiges prophezeie ich auch für TikTok: Die Plattform wird neue Brands groß machen und anderen, die den Kanal zu spät oder schlecht bespielen, Marktanteile rauben. So geht es etwa Falke oder Bahlsen hierzulande oder auch der Swatch Group international, deren Social Media Game jeweils sehr schwach ist. Wie sagt man so schön: Unternehmen, die nicht mit der Zeit gehen, gehen mit der Zeit.

Zu den Creatorn oder Influencern selbst: Ich bemerke schon, dass die meisten Influencer beziehungsweise Content Creator zu sehr auf ihre Zahlen achten, statt sich auf das Wesentliche, also guten Content, Branding und Community Building, zu fokussieren. Ich kenne hunderte Instagram Influencer, die händisch Bots und inaktive oder ausländische Follower entfernen, um ihr Engagement und ihre Statistiken zu „bereinigen“. Das ist auf TikTok zum Glück noch nicht so problematisch, natürlich auch, weil es weniger Brands und Agenturen gibt, die nach Insights fragen.

Gibt es eurer Ansicht nach klar erkennbare Muster (bezogen auf Content, Profil-Ausrichtung oder Persönlichkeiten), die bei TikTok Erfolg versprechen – und letztlich auch für Marken von Interesse sein könnten, weil sie Ansätze für Kampagnen bieten?

Mut wird oftmals belohnt. Ein Tipp, den ich vielen Content Creatorn gebe: Wenn du denkst, es ist „zu viel“, ist es perfekt. Das gilt auch für Brands. Political correctness ist fein, aber Samthandschuhe gehen auch nicht viral. Ich finde zum Beispiel die oben angesprochene Werbung von Ahoj genial, obwohl sie mit 26 Sekunden recht lang ist für die Gen Z. Werbebotschaften müssen subtil und authentisch sein. Aktualität und Relevanz sind von größerer Wichtigkeit als auf Instagram. #dothecolonel von KFC und Butter war in der Hinsicht auf verschiedenen Ebenen „unglücklich“ und erntete einen kleinen Shitstorm, wenngleich die Viewzahlen der Kampagne beeindruckend waren (415 Millionen Views). Ich bin aber überzeugt, dass Authentizität und Originalität durch TikTok größere Relevanz erhalten werden.

Was sind die drei Dinge, die TikTok so besonders machen, dass auch ein Skeptiker überzeugt wird?

Ganz ehrlich: Wer ein B2C-Produkt hat, langfristig denkt und über die Ressourcen verfügt, sollte eher gestern als heute mit TikTok starten, überspitzt formuliert. Selbst wenn man Kinderwagen verkauft, sollte man lieber heute als morgen anfangen. Günstiger wird es nicht mehr, hier die Zielgruppe von morgen zu erreichen. Außerdem ist TikTok genial, um auch Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden (Employer Branding).

Übrigens: Durch Corona wird Content Creation dezentralisiert: Events und Shootings entfallen – wer weiß, wie lang. Creator einzubinden, um den Kanal zu bespielen, wird damit umso potenter. Deshalb ist nicht nur TikTok, sondern auch Influencer Marketing auf dem Vormarsch und wird 2021 seine Hochzeit erleben, zumal viele Marketing-Budgets von Events und Shootings in Influencer Marketing verschoben werden müssen.

Ein perfektes Beispiel für langfristiges Denken ist Herr Anwalt, der juristische Themen auf TikTok erfolgreich platziert. Was zeigt: Wenn Jura auf TikTok funktioniert, dann auch andere Formate. Aber bringt ihm das viele Anfragen? Vermutlich noch nicht. Gleichwohl ist die Brand „Herr Anwalt“ sicher schon extrem viel wert und die oben angesprochenen Abstrahleffekte auf Instagram sind eindeutig in den Zahlen zu erkennen, was im Übrigen auch für Younes Zarou gilt. Beide wachsen aktuell bezogen auf Follower vierstelligen Bereich pro Tag, auch auf Instagram.


OnlinePunks verarbeitet Daten von Instagram- und TikTok-Creatorn und wird morgen offiziell seinen ersten TikTok-Datenreport auf Adils LinkedIn-Profil vorstellen. 

Wir bedanken uns herzlich für das Interview und die aufschlussreichen Insights zu den Entwicklungen bei TikTok.

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