Human Resources
Jobmarkt im Stresstest: Historischer Tiefpunkt für Bewerbende

Jobmarkt im Stresstest: Historischer Tiefpunkt für Bewerbende

Marié Detlefsen | 16.12.25

Die Zuversicht von Bewerber:innen in Deutschland ist auf einem historischen Tiefpunkt angekommen. Erfahre, warum viele ihre Chancen am Arbeitsmarkt so kritisch einschätzen wie seit Jahren nicht mehr und wieso 2026 Hoffnung macht.

Der Optimismus auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland ist spürbar abgeflaut. Wo vor wenigen Jahren noch Zuversicht und Wechselbereitschaft dominierten, machen sich nun Zurückhaltung und Skepsis breit. Aktuelle Ergebnisse des Confidence Index der Personalberatung PageGroup zeichnen ein deutliches Bild: Bewerber:innen bewerten ihre Chancen so pessimistisch wie lange nicht mehr – sogar zurückhaltender als im ersten Coronajahr 2020.

Nur noch 43 Prozent der befragten Kandidat:innen in Deutschland blicken insgesamt zuversichtlich auf die Lage. Damit fällt das Vertrauen in die wirtschaftliche Gesamtsituation niedriger aus als in einer Phase, die von Lockdowns, Kurzarbeit und massiver Unsicherheit geprägt war.

Blick auf den Jobmarkt wird für Bewerber:innen immer düsterer

Besonders kritisch sehen Bewerber:innen aktuell den Arbeitsmarkt selbst. Lediglich ein Drittel (33 Prozent) hält die momentanen Bedingungen für gut. Im Vergleich zum Vorjahresquartal bedeutet das einen Einbruch um 19 Prozentpunkte. Noch drastischer wird der Absturz im längerfristigen Vergleich: Im Frühsommer 2022 gingen 81 Prozent der Befragten von einem positiven Arbeitsmarkt aus. Innerhalb von drei Jahren ist dieser Wert um nahezu die Hälfte eingebrochen.

Nur 33 Prozent der Bewerber:innen halten die momentanen Bedingungen auf dem Jobmarkt für gut, © PageGroup
Nur 33 Prozent der Bewerber:innen halten die momentanen Bedingungen auf dem Jobmarkt für gut (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht), © PageGroup

Auch die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage folgt diesem Abwärtstrend. Nur 35 Prozent der Kandidat:innen bewerten sie derzeit positiv – zehn Prozentpunkte weniger als ein Jahr zuvor. Die Unsicherheit ist damit längst nicht mehr nur ein diffuses Gefühl, sondern spiegelt sich konkret in Erwartungen und Entscheidungen wider.

Nur noch 30 Prozent der Bewerber:innen sehen gute Work-Life-Balance

Interessant ist der differenzierte Blick auf individuelle Perspektiven. Während der Glaube an mögliche Beförderungen mit 47 Prozent vergleichsweise stabil bleibt, verlieren andere Faktoren deutlich an Kraft. So rechnen nur noch 42 Prozent mit einer positiven Entwicklung beim Gehalt (ein Rückgang um fünf Prozentpunkte). Noch stärker eingebrochen ist die Wahrnehmung der Work-Life-Balance: Lediglich 30 Prozent sehen hier aktuell eine gute Situation. Damit erreicht dieser Wert einen historischen Tiefstand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2016.

Die Work-Life-Balance erlebt einen historischen Tiefstand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2016, © PageGroup
Die Work-Life-Balance erlebt einen historischen Tiefstand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2016 (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht), © PageGroup

Des Weiteren wird die Jobsuche generell als zunehmend langwierig empfunden. Nur noch 36 Prozent der Befragten trauen sich zu, innerhalb von drei Monaten eine neue Stelle zu finden. Das sind etwa zwölf Prozent weniger als noch im Vorjahr.

Deutschland im europäischen Vergleich auf den hinteren Plätzen

Der Stimmungseinbruch ist allerdings kein rein deutsches Phänomen. Auch Bewerber:innen in Frankreich, Italien oder der Türkei äußern sich ähnlich skeptisch, mit Zuversichtswerten zwischen 42 und 46 Prozent. Gleichzeitig zeigt der Blick auf andere Länder, dass es auch anders geht: In den Niederlanden liegt der Wert bei 63 Prozent, in Österreich bei 54 Prozent, in Belgien bei 49 Prozent. Zwischen Deutschland und den europäischen Spitzenreiter:innen klafft damit eine Lücke von rund 20 Prozent.

Deutschland liegt etwa 20 Prozent hinter den europäischen Spitzenreiter:innen zurück, © PageGroup
Deutschland liegt etwa 20 Prozent hinter den europäischen Spitzenreiter:innen zurück (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht), © PageGroup

Die Studie macht drei zentrale Treiber:innen für das Stimmungstief aus.

  • Erstens: Das wahrgenommene Angebot schrumpft. Weniger offene Positionen, längere Prozesse und eine zähe Vermittlung lassen Bewerber:innen vorsichtiger werden.
  • Zweitens: Der erwartete Nutzen eines Jobwechsels sinkt. Wenn weder Gehalt noch Work-Life-Balance klar besser erscheinen, verliert ein Wechsel an Attraktivität.
  • Drittens: Die Risikoaversion wächst. Zwar sehen viele ihre eigene Leistungsfähigkeit intakt, doch das fragile Umfeld bremst den Mut zur Veränderung.

Oder anders gesagt: Wer mit längeren Suchphasen rechnet und keine klaren Verbesserungen erwartet, entscheidet defensiver.

EU-Lohntransparenz-Richtlinie bringt neuen Schwung für Bewerber:innen

Trotz der gedämpften Stimmung gibt es Lichtblicke, vor allem mit Blick auf 2026. Die Umsetzung der EU-Lohntransparenz-Richtlinie dürfte Gehaltsstrukturen nachvollziehbarer machen und Bewerber:innen in Verhandlungen stärken. Gleichzeitig zahlen sich Spezialisierungen zunehmend aus: In Bereichen wie Finance, Banking oder Engineering werden (je nach Profil) Gehaltssteigerungen zwischen vier und fünf Prozent erwartet. Für Fachkräfte mit ausgeprägten KI-Kompetenzen können die Zuwächse sogar deutlich höher liegen.

Auch Weiterqualifizierung wirkt kurzfristig. Wer jetzt in gefragte Skills investiert, verbessert messbar seine Marktchancen. Ergänzt durch Soft Skills und eine wachsende Offenheit für europäische Mobilität ergeben sich neue Optionen jenseits des nationalen Tellerrands. Der Arbeitsmarkt steckt aktuell in einer Phase der Ernüchterung. Doch gerade diese Zurückhaltung könnte den Boden für eine neue, realistischere Zuversicht bereiten, für jene Bewerber:innen, die sich strategisch aufstellen und den Blick nach vorn nicht verlieren.


Lohntransparenz 2026:

EU macht Schluss mit undurchsichtigen Gehältern

Lohntransparenz 2026: EU macht Schluss mit undurchsichtigen Gehältern
© Mikhail Nilov – Pexels

Kommentare aus der Community

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*

Melde dich jetzt zu unserem HR-Update an und erhalte regelmäßig spannende Artikel, Interviews und Hintergrundberichte aus dem Bereich Human Resources.