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Technologie
„Es gibt nicht wenige Firmen, die gerade mal im E-Commerce angekommen sind“: Nino Bergfeld von Salesforce zum Potential von KI und Web3 für den Retail-Sektor
Nino Bergfeld von Salesforce, Salesforce-Logo, © Salesforce

„Es gibt nicht wenige Firmen, die gerade mal im E-Commerce angekommen sind“: Nino Bergfeld von Salesforce zum Potential von KI und Web3 für den Retail-Sektor

Larissa Ceccio | 06.06.23

Im Interview mit Nino Bergfeld von Salesforce haben wir uns intensiv mit den Auswirkungen von Web3 und KI auf den Retail-Sektor auseinandergesetzt. Bergfeld gibt Einblicke in die aktuellen Entwicklungen und zeigt auf, wie Retail-Expert:innen von den innovativen Anwendungen dieser Technologien profitieren können.

Die Welt des Einzelhandels erlebt aktuell eine Revolution, angetrieben von den aufstrebenden Technologien des Web3 und den jüngsten Fortschritten im Bereich KI. Für Retail-Expert:innen, die ihre Geschäfte zukunftsfähig gestalten wollen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Möglichkeiten und Auswirkungen dieser Entwicklungen zu verstehen. Vom Einsatz personalisierter KI-Algorithmen bis hin zur Integration von Blockchain-Technologie – der Einfluss von Web3 und KI auf den Retail-Sektor ist nicht zu unterschätzen. Denn die neue Internetgeneration sowie die innovativen KI-Tools bieten ungeahnte Potenziale für zielgerichtete und effiziente Kund:innenerlebnisse.

Vor diesem Hintergrund haben wir mit Nino Bergfeld von Salesforce gesprochen. Er ist als Director Retail Advisory bei dem Software-Unternehmen tätig und erklärt im Interview, wie er die derzeitigen und künftigen Auswirkungen von Web3 und KI auf den Retail-Sektor einschätzt – inklusive spannender Anwendungsfälle. Zudem gibt er gibt Tipps, mit denen sich Unternehmen auf das neue digitale Zeitalter vorbereiten können. Mithilfe seiner Expertise können wir einen tiefen Einblick in die aktuellen Entwicklungen gewähren und aufzeigen, wie Retail-Expert:innen von den innovativen Anwendungen von Web3 und KI profitieren können.


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Das Interview

OnlineMarketing.de: Wie würdest du Web 3 in einfachen Worten erklären und welche Vorteile bietet es für das Marketing und den Einzelhandel im Vergleich zu Web2?

Nino Bergfeld: Im Web 1.0 der neunziger Jahre hatten wir erstmals einen demokratischen Zugang zu Informationen, konnten also lediglich lesen. Im heute noch dominanten Web 2.0 geht es um Transaktionen und bidirektionale Kommunikation – das heißt wir können auch schreiben. Das Web3 erweitert das ganze um die Dimension des Besitzes, also den Besitz von Daten und digitalen Identitäten wie beispielsweise NFTs

Das hat natürlich große Auswirkungen auf das Marketing. Im Web3 geht es nicht um Broadcast. Es geht um Glaubwürdigkeit, es geht um eine bilaterale Beziehung zu meinen Kund:innen. Die zentrale Frage lautet dabei „Wie kann ich glaubwürdig für meine Kund:innen einen Mehrwert stiften?“ Denn ein NFT ist per se kein Mehrwert – es sind die exklusiven Inhalte, Produkte, Services und Events, die dem NFT die Power geben. Auch im Web 2.0 gibt es Communities wie beispielsweise den Adidas Runners Club. Im Web3 kommt die Komponente des Besitzes hinzu, was die Spielräume erheblich erweitert. Zum Beispiel kann der Besitz eines NFTs, etwa in Form eines Loyalty Tokens, Kund:innen den Zugang zu exklusiven Vorteilen wie Livekonzerten oder limitierten Produkten eröffnen.

Wie hast du deine ersten Schritte mit Web3 gemacht? 

Zum ersten Mal wirklich in Kontakt gekommen bin ich mit dem Thema in einem Meeting im Jahr 2020. In meiner Rolle als Retail Advisor arbeite ich viel mit Kund:innen, die bei solchen Innovationen Vorreiter:innen sind. In dem Meeting wurde mir klar, dass ich nicht ganz verstehe, worum es geht. Also hieß es für mich lernen, Wissen aufbauen – zur Technologie, den Implikationen für Marken und Händler:innen und natürlich für uns.

Nino Bergfeld

Learning by doing war da ein wichtiger Teil: Ich habe mir ein Metamask Wallet angelegt, Geld darauf geladen und mein erstes NFT gekauft – vom TIME Magazine. Diese neue Welt von direktem Customer Engagement, diese neuen Community-Chancen haben mich verblüfft. TIME hat es geschafft, über Kollaborationen mit Künstler:innen seine Reichweite organisch zu erhöhen. Adidas hat mit seiner Kampagne Into the Metaverse mehr als 20 Millionen US-Dollar Umsatz erzielt. Und auch Gucci hat mich inspiriert mit den frühen Gehversuchen, digitale Produkte bei Roblox und Co. anzubieten.

Wie schätzt du die derzeitigen und künftigen Auswirkungen von Web3 und KI auf den Retail-Sektor ein? Bist du der Meinung, dass Marken die Potenziale schnell nutzen werden? 

Händler und Marken experimentieren bereits intensiv mit Web3 und NFTs als neue Wege zur Kund:innenbindung. Denn Unternehmen müssen ihre Kund:innen dort abholen, wo sie sich befinden; und das gilt eben für diese neuen Technologien genauso wie für das Metaverse und weitere Kanäle, die berücksichtigt werden müssen. Wenn man diese neuen Technologien mit der Entwicklung des Internets vergleicht, sind wir aktuell noch in der Phase des Dial-up-Modems, richtige Standards gibt es noch nicht beziehungsweise werden sie gerade erst definiert. Es wird viel ausprobiert, auch wenn der – wie so oft bei Innovationen etwas überzogene – Hype im Jahr 2022 wieder etwas abgeflacht ist. Viele Unternehmen testen das Web3 aber weiterhin für sich aus und werden diese Experimentierphase fortsetzen.

Kannst du Beispiele für konkrete und erfolgreiche Anwendungsfälle von Web3 und KI im Retail-Bereich nennen? Welche Art von Marken ist derzeit noch am stärksten an der Entwicklung von Web3-Produkten interessiert? 

Aktuell sind da vor allem Luxus- und Lifestyle-Marken wie Gucci, Louis Vuitton oder Philippe Plein, aber auch Adidas aktiv. Dahinter steckt in gewisser Weise eine Entdeckung neuer Räume, in denen sie neue Kund:innen kennenlernen können, vor allem die Generation Z, die sich viel selbstverständlicher in digitalen Welten bewegt. Das ist ein großes Experiment, genau wie die Experimente mit neuen Umsatzströmen wie dem Verkauf von virtueller Kleidung. Und es hat auch schon funktioniert. Gucci hat in Roblox in kurzer Zeit recht viel Geld verdient mit dem Verkauf von virtuellen Sonnenbrillen, Handtaschen und so weiter. Tatsächlich hat eine Gucci-Handtasche als NFT zwischenzeitlich mehr gekostet als das physische Original. Adidas hat bereits 2021 mit seinem ersten NFT-Drop am Primärmarkt 23 Millionen US-Dollar umgesetzt. 

Welche Vorteile bietet der Einsatz von KI im Retail-Bereich in Bezug auf Personalisierung, Kund:innenerfahrung und Verkaufsprognosen? 

Salesforce hat mit Einstein GPT die weltweit erste generative KI für CRM eingeführt. Für den Handel kombiniert Einstein GPT for Commerce Echtzeitdaten mit KI, um bessere, stärker personalisierte Kaufempfehlungen zu bieten und so die Beziehungen und das Vertrauen zu stärken. Zum Beispiel lassen sich mit unserem generativen CRM personalisierte Anzeigen automatisch erstellen, um bestimmte Zielgruppen entsprechend ihres Surf- und Kaufverhaltens anzusprechen – aber eben auch Prognosen, die das Kaufverhalten von Kund:innen vorhersagen. Mit einer Google-Integration lässt sich das auch auf die lokale Ebene herunterbrechen. Wenn Sie zum Beispiel ein neues Geschäft eröffnen, kann das generative CRM gezielte Werbung für soziale Medien entwerfen, die in dieser Gegend Kund:innen anspricht, für die das Angebot Ihres Ladens aufgrund früherer Einkäufe oder von Beiträgen und Kommentaren in sozialen Medien am ehesten interessant ist. Und wenn sich diese Kund:innen für ein bestimmtes Produkt interessieren, können sie online gleich sehen, ob Sie es vorrätig haben. 

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie über ausreichende Ressourcen und Fähigkeiten verfügen, um die Möglichkeiten von Web3 und generativer KI voll auszuschöpfen? Setzen bereits jetzt vermehrt Unternehmen im Recruiting auf solche Skills? 

Hier gibt es tatsächlich noch Nachholbedarf. Nach einer Umfrage von Salesforce wollen mehr als ein Drittel der Unternehmen generative KI bereits einsetzen, aber genauso viele beklagen, dass ihre Belegschaft nicht die Skills dafür mitbringt. Auch bei LinkedIn Jobs gab es von 2021 auf 2022 über 50 Prozent mehr Jobangebote mit Bezug zu generativer KI. Aber drei Viertel der Beschäftigten schätzen ihre digitalen Fähigkeiten als ungenügend ein. Fortbildung ist also ein brennendes Thema. Wir setzen dabei auf unsere eigene Weiterbildungsplattform Trailhead, die übrigens kostenlos von allen Menschen genutzt werden kann. 

Schon jetzt ist zu erkennen, dass sich die Art von Skills, die Unternehmen suchen, seit ChatGPT verändert hat. Die Devise lautet dabei nicht, den Menschen zu ersetzen, sondern den Menschen zu befähigen, der KI die richtigen Fragen – den richtigen Prompt – zu stellen, die richtigen Anweisungen zu geben. Viele Personalberatungen suchen bereits „KI-Prompter:innen“, um effektiv und präzise mit KI-Modellen zu  kommunizieren. 

Welche Trends siehst du in Bezug auf die zukünftige Entwicklung von Web3 und KI im Retail-Bereich? Wie können Unternehmen sich darauf vorbereiten? 

Die Motivation und Zielsetzung der Unternehmen hat sich verändert. Vor einem, anderthalb Jahren ging es ihnen darum, über NFTs und digitale Güter zusätzlichen Umsatz zu erzielen. Jetzt kommen NFTs stärker für Kund:innenbindung zum Einsatz – sehr gute Beispiele dafür sind der Retailer Kickz oder auch Starbucks mit seinem Odyssey-Programm. Wir müssen zunächst mal feststellen, dass es tatsächlich nicht wenige Firmen gibt, die gerade mal im E-Commerce angekommen sind. Für das Web3 gibt es eine Reihe von Herausforderungen und Stolpersteinen, von der neuen Technologie über Fragen der Sicherheit und Nachhaltigkeit bis hin zu den neuartigen Geschäftsmodellen auf Basis von Digital Ownership. 

Die öffentliche Diskussion dreht sich gerade nicht mehr so stark um Web3 – auch, weil die Kryptowährungen eingebrochen sind und viele der ersten NFT-Projekte die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt haben. Nichtsdestotrotz arbeiten viele Marken an ihren Strategien, diesmal aber stärker mit Blick auf Vorteile für die Verbraucher:innen.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass die Verwendung von generativer KI ethisch und verantwortungsbewusst erfolgt? 

Um KI sicher und effektiv einzusetzen, braucht jedes Unternehmen Leitplanken. Salesforce hat dafür bereits vor einigen Jahren das Office of Ethical & Humane Use eingerichtet, damit unsere Technologie verantwortungsvoll konzipiert, entwickelt und genutzt wird. Für die Entwicklung von generativer KI haben wir jetzt fünf neue Prinzipien festgelegt. Dazu gehören Genauigkeit und Überprüfbarkeit, Sicherheitsthemen wie das Vermeiden von Verzerrungen, Vorurteilen oder gar schädlichen Ergebnissen und Nachhaltigkeit.

Kannst du zum Schluss deine persönliche Vision davon skizzieren, wie Web3 und KI den Retail-Sektor in den nächsten Jahren verändern könnten? 

In der öffentlichen Wahrnehmung hat KI einen kometenhaften Aufstieg erlebt, gerade durch ChatGPT oder generell generative KI in Formen, die Verbraucher:innen direkt zugänglich sind. Im Retail-Bereich erwarte ich, dass KI viele Effizienzgewinne liefern wird: zum Beispiel durch beschleunigte Prozesse im Kund:innenservice, Marketing-Automatisierung, Unterstützung bei der Erstellung von Marketing-Inhalten oder im E-Commerce durch Erstellung von Produktbeschreibungen. Spannend werden auch die Innovationen in der Zusammenarbeit, auch zwischen Mensch und KI. Auch an der Stelle ist Gucci wieder ein schönes Beispiel, das man im Auge behalten sollte. 
 
Mittelfristig werden wir von Innovationen beim Kund:innenerlebnis profitieren, wenn generative KI hier direkt einen Einfluss nimmt. Generativ erstellte Avatare etwa, die sehr personalisiert auf Kund:innen zugehen, mit denen auch E-Commerce zum Dialog wird.

Ich gehe zudem davon aus, dass generative KI und Web3 zusammenfinden werden. Generative KI hat großes Potenzial, Inhalte selbst zu erstellen. In einer Zukunft, in der Inhalte nicht mehr ohne weiteres auf Echtheit validiert werden können, wird der „Proof of Authenticity“ und Besitznachweis zunehmend wichtiger werden. Und da sind wir wieder beim Thema Web3.


Wir bedanken uns recht herzlich bei Nino Bergfeld von Salesforce für die ausführlichen Insights im schriftlichen Interview.


Salesforce Connections

Digital Marketing und Commerce satt: Am 6. und 7. Juni findet in Chicago, USA, die Connections 2023 statt. Über 10.000 Branchenführer:innen werden vor Ort sein und den 250 Sessions an zwei Tagen lauschen, wertvolle Verbindungen knüpfen und die Side Events besuchen.

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