Human Resources
Titel statt Aufstieg: Wie falsche Jobbezeichnungen das Karrierewachstum vortäuschen

Titel statt Aufstieg: Wie falsche Jobbezeichnungen das Karrierewachstum vortäuschen

Marié Detlefsen | 27.10.25

HR Senior Specialist oder Chief Growth Officer – immer mehr Unternehmen verteilen beeindruckende Jobtitel, ohne echte Karrierefortschritte zu ermöglichen. Erfahre, wie dieser Trend Mitarbeitende täuscht, frustriert und das Vertrauen in Arbeitgeber:innen untergräbt.

Jobtitel sollen eigentlich Auskunft darüber geben, wie weit jemand in seiner beruflichen Laufbahn gekommen ist. Doch in der Realität werden sie zunehmend zu einem Marketing-Instrument, nach außen wie nach innen. Eine neue Untersuchung von MyPerfectResume, bei der 1.000 US-amerikanische Arbeitnehmer:innen befragt wurden, zeigt deutlich: Der schöne Schein trügt. Titel klingen immer beeindruckender, während Gehalt, Verantwortung oder tatsächliche Beförderungen oft ausbleiben.

Karriere im Jobtitel, Stillstand im Alltag

Laut der Studie sind 92 Prozent der Befragten überzeugt, dass Unternehmen bewusst mit aufgeblasenen Jobbezeichnungen arbeiten, um Wachstum und Entwicklung nur zu simulieren. 91 Prozent glauben sogar, dass Titelwechsel gezielt eingesetzt werden, um Gehaltserhöhungen zu umgehen. Was früher ein Zeichen für Anerkennung und Aufstieg war, wird heute oft zum Placebo beziehungsweise einem Etikett, das mehr verspricht, als es hält.

Rund 66 Prozent der Arbeitnehmer:innen berichten, dass sie in den vergangenen Jahren immer häufiger wohlklingende Titel gesehen haben, denen jedoch keine realen Veränderungen bei Bezahlung oder Aufgaben zugrunde lagen. Was auf LinkedIn beeindruckend aussieht, sorgt intern eher für Ernüchterung. Viele fühlen sich ausgenutzt: mehr Arbeit, mehr Verantwortung, aber kein Cent mehr auf dem Konto.

Karriere als eine Art Ghost Growth

Fast vier von zehn Befragten (39 Prozent) erhielten einen scheinbar höherwertigen Titel, ohne dafür eine Gehaltserhöhung zu bekommen. 38 Prozent gaben an, dass ihr Titel deutlich mehr Seniorität suggerierte, als ihre tatsächliche Rolle hergab. Und 37 Prozent fühlten sich sogar unter Druck gesetzt, eine neue Bezeichnung zu akzeptieren, ohne über eine angemessene Entlohnung zu verhandeln. Besonders alarmierend: 15 Prozent nahmen bewusst ein niedrigeres Gehalt in Kauf, nur um einen prestigeträchtigeren Titel zu tragen.

Falsche Jobtitel lassen Mitarbeitende glauben, sie hätten Fortschritte gemacht, obwohl sie im Grunde auf der Stelle treten. Die Studie spricht hier von einer Art Ghost Growth: einem Phantom-Aufstieg, der weder echte Anerkennung noch Perspektive mit sich bringt.


Beförderung ohne Gehaltserhöhung:

Lohnt sich das wirklich?

Beförderung ohne Gehaltserhöhung: Lohnt sich das wirklich?
© Andrea Piacquadio – Pexels


Warum Unternehmen Jobtitel aufblasen

Laut der Befragten steckt hinter der Titelinflation eine klare Strategie. 20 Prozent glauben, dass Unternehmen auf diese Weise zusätzliche Aufgaben rechtfertigen wollen, ohne dafür mehr zu bezahlen. 19 Prozent sehen darin den Versuch, Mitarbeitenden zu schmeicheln oder sie ruhigzustellen, während 18 Prozent ganz direkt davon ausgehen, dass höhere Titel schlicht dazu dienen, Gehaltserhöhungen zu vermeiden. Weitere 16 Prozent nennen Mitarbeiter:innenbindung als Grund und 14 Prozent sind überzeugt, dass Firmen so größer oder professioneller wirken wollen, als sie tatsächlich sind. Viele Beschäftigte empfinden den Umgang mit Titeln daher als manipulierend und verlieren Vertrauen in ihre Arbeitgeber:innen.

Aus diesen Gründen, vergeben Unternehmen laut Beschäftigten aufgeblähte Jobtitel (die Grafik wurde anhand der vorliegenden Studienergebnisse mithilfe von ChatGPT erstellt).
Aus diesen Gründen vergeben Unternehmen laut Beschäftigten aufgeblähte Jobtitel (die Grafik wurde anhand der vorliegenden Studienergebnisse mithilfe von ChatGPT erstellt).

Die unklare Bedeutung von Titeln sorgt zudem für Chaos. So berichteten 41 Prozent der Befragten, dass ihr Titel sie gegenüber Recruitern entweder über- oder unterqualifiziert erscheinen ließ. Elf Prozent hatten so kreative oder unübliche Bezeichnungen, dass sie ihre tatsächliche Tätigkeit kaum erklären konnten. Und 57 Prozent sagten, dass Kolleg:innen mit identischen Titeln völlig unterschiedliche Aufgaben oder Gehälter hatten.

Falsche Jobtitel sorgen für Verwirrung auf dem Arbeitsmarkt

Nicht wenige geraten durch diesen Trend in eine paradoxe Situation. 34 Prozent der Befragten fühlen sich „title trapped“ – also gefangen in einer Position, deren klangvoller Name ihnen paradoxerweise den nächsten Karriereschritt verbaut. Wer etwa als Senior Executive firmiert, hat es schwer, sich glaubhaft auf eine mittlere Position zu bewerben, selbst wenn die tatsächliche Erfahrung genau dazu passt.

Etwa 34 Prozent der Befragten fühlen sich „title trapped“ (die Grafik wurde anhand der vorliegenden Studienergebnisse mithilfe von ChatGPT erstellt).
Etwa 34 Prozent der Befragten fühlen sich „title trapped“ (die Grafik wurde anhand der vorliegenden Studienergebnisse mithilfe von ChatGPT erstellt).

Gleichzeitig sagen 65 Prozent, ihr Titel spiegle grundsätzlich ihre Aufgaben wider. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: 23 Prozent finden, dass ihre Bezeichnung ihre Verantwortung unterschätzt, und 13 Prozent, dass sie sie übertreibt. Auch das trägt zur allgemeinen Verwirrung und Frustration bei.

Jobtitel sind kein Ersatz für echten Fortschritt

Die Studie zeigt eindrücklich, dass Titelinflation weder Loyalität noch Motivation erzeugt. Im Gegenteil: Sie schwächt das Vertrauen, hemmt das Selbstbewusstsein und verschleiert, wo echte Leistung entsteht. Jobtitel sollen eigentlich Würdigung ausdrücken, nicht Täuschung. Zwar stammen die Daten aus den USA, dennoch lässt sich dieses Phänomen auch in Deutschland und global beobachten. So gibt es auch immer mehr Anglizismen und übergreifende Jobbezeichnungen, die teilweise aber etwas ganz anderes meinen. Wenn Unternehmen also Karriere spielen, ohne substanzielle Entwicklung zu ermöglichen, bleiben Mitarbeitende zurück: enttäuscht, orientierungslos und zunehmend misstrauisch gegenüber allem, was nach Wachstum klingt.


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© Yan Krukau – Pexels

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