Human Resources
95 Prozent der Arbeitnehmer:innen belastet: Warum die Arbeitswelt ein Mental-Health-Problem hat

95 Prozent der Arbeitnehmer:innen belastet: Warum die Arbeitswelt ein Mental-Health-Problem hat

Marié Detlefsen | 26.08.25

Trotz guter Unternehmensvorsätze bleibt die mentale Gesundheit vieler Arbeitnehmer:innen in Deutschland auf der Strecke. Erfahre, wie groß die Diskrepanz zwischen den Ansprüchen von Unternehmen und der tatsächlichen Unterstützung durch Führungskräfte im Bereich Mental Health ist.

Die Arbeitswelt in Deutschland hat ein Mental-Health-Problem. Obwohl in Leitbildern vieler Unternehmen Fürsorge und Mitarbeiter:innenbindung großgeschrieben werden, bleibt die Realität für zahlreiche Arbeitnehmer:innen ernüchternd. Eine aktuelle Untersuchung von OpenUp zeigt: Zwischen den Bedürfnissen der Beschäftigten und den Angeboten der Führungskräfte klafft eine tiefe Lücke.

So stark drückt der Job auf das Mental-Health-Empfinden

Die Ergebnisse der Studie präsentieren ein klares Bild: 95 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Arbeit ihre psychische Gesundheit bereits beeinträchtigt hat – ein Drittel erlebt diesen Druck sogar regelmäßig. Damit wird deutlich, wie sehr der Job als Stressfaktor wirkt. Was als Arbeitsplatz gedacht ist, an dem Leistung, Kreativität und Zusammenarbeit im Vordergrund stehen sollten, entwickelt sich für viele zum Ort ständiger Überlastung.

Auf der anderen Seite sind viele Führungskräfte überzeugt, bereits genug zu tun. 85 Prozent glauben, ihren Teams ausreichend Unterstützung zu bieten. Doch die Sichtweise der Mitarbeiter:innen fällt laut der Untersuchung anders aus:

  • 61 Prozent sagen, ihre direkte Führungskraft habe noch nie proaktiv ein Gespräch zur mentalen Gesundheit angestoßen.
  • Nur 19 Prozent sprechen überhaupt mit ihrer Führungskraft über psychische Belastungen.
  • Lediglich 17 Prozent fühlen sich in solchen Gesprächen wirklich wohl.
  • Nur 13 Prozent fühlen sich von ihrer Führungskraft vollumfänglich unterstützt.

Damit zeigen die Ergebnisse einen gefährlichen Widerspruch: Gute Absichten treffen auf eine Praxis, die bei den Betroffenen nicht ankommt. Der Wille ist vorhanden, die Umsetzung bleibt jedoch oft unsichtbar – mit Folgen für Motivation, Bindung ans Unternehmen und letztlich die Produktivität. An dieser Stelle muss allerdings angemerkt werden, dass die Studie von OpenUp erhoben wurde, welche sich selbst auf die Lösung von Mental-Health-Problemen spezialisiert haben.

Mental Health scheitert an mangelhafter Kommunikation

Dennoch lassen sich auch positive Erkenntnisse aus der Umfrage gewinnen, denn in vielen Führungsetagen ist das Thema Mental Health angekommen. 90 Prozent der befragten Führungskräfte sind überzeugt, dass psychische Stabilität im Team entscheidend für die Gesamtleistung ist. Doch Wissen allein reicht nicht. Fast die Hälfte der Manager (46 Prozent) fühlt sich durch die Doppelrolle – Leistung sichern und gleichzeitig Fürsorge leisten – überfordert.


„Benefits greifen oft zu kurz“ –

jede:r vierte Erwerbstätige leidet unter mentalen Belastungen

„Benefits greifen oft zu kurz“ – jede:r vierte Erwerbstätige leidet unter mentalen Belastungen
© Kaboompics.com – Pexels


Auch die angebotenen Trainings greifen bislang zu kurz. Zwar berichten neun von zehn Führungskräften, dass ihr Unternehmen Weiterbildungen anbietet. Aber aus Sicht der Belegschaft sind diese nicht ausreichend: Nur knapp ein Viertel der Beschäftigten (24 Prozent) glaubt, dass ihre Vorgesetzten keine zusätzliche Schulung benötigen. Das zeigt, wie stark die Wahrnehmungen auseinandergehen. Gijs Coppens, Psychologe und Gründer von OpenUp, sagt hierzu:

Die Unterstützung scheitert oft nicht am fehlenden Willen. Sie scheitert an mangelhafter Kommunikation, unzureichender Schulung und dem anhaltenden Stigma rund um mentale Gesundheit. Deshalb müssen wir Raum für offene Gespräche und echte Unterstützung im Arbeitsumfeld schaffen, dürfen Führungskräfte dabei aber nicht mit der gesamten Verantwortung überfordern. Es braucht Systeme, die Mitarbeitenden in Not weiterführende Hilfe bieten.

Das Bewusstsein für Mental Health ist da, nur die Umsetzung nicht

Doch welche Schritte können unternommen werden, um die Problematik gezielt anzugehen?

  1. Kommunikation ist der erste Hebel. Wenn 61 Prozent nie eingeladen wurden, über mentale Gesundheit zu sprechen, ist die Schwelle zu hoch. Regelmäßige, niedrigschwellige Check-ins – klar benannt, klar terminiert – sind Pflicht, nicht Kür.
  2. Kompetenz ≠ Komfort. Obwohl sich die Mehrheit der Führungskräfte „gut ausgebildet“ fühlt, sagen nur wenige der Mitarbeitenden, sie seien in Gesprächen „wirklich komfortabel“. Es braucht Gesprächsführung, die Sicherheit tatsächlich herstellt und in der sich Angestellte wohlfühlen, um bewusst Problematiken ansprechen zu können.
  3. Rollen sauber ziehen. Fast jede:r zweite Person in Führung fühlt sich überfordert. Führungskräfte sind erste Ansprechpersonen, aber nicht Therapeut:innen. Organisationen müssen klare Eskalationspfade und professionelle Angebote etablieren – zugänglich, vertraulich und sichtbar.
  4. Trainings schärfen und evaluieren. Wenn 90 Prozent der Unternehmen Angebote zu Mental Health melden, aber 76 Prozent der Arbeitnehmer:innen mehr Schulung erwarten, passt entweder Inhalt (Praxisnähe), Zielgruppe (Teamleads vs. Senior Management) oder Format (Snack Learning, Peer Sparring, Supervision) nicht – oder die Kommunikation darüber. Unternehmen sollten daher ihre Konzepte analysieren, eventuell durch Umfragen innerhalb der Belegschaft, um dadurch ein Programm zu finden, welches auch zu der Mehrheit der Angestellten passt.

Die Studie offenbart ein strukturelles Defizit: Während Führungskräfte den Eindruck haben, ausreichend für das Wohlbefinden ihrer Teams zu tun, fühlen sich viele Arbeitnehmer:innen mit ihren Sorgen alleingelassen. Mentale Gesundheit darf jedoch kein Randthema bleiben. Unternehmen, die die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität ernsthaft schließen, investieren nicht nur in das Wohlbefinden ihrer Angestellten, sondern auch in ihre eigene Zukunftsfähigkeit.


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