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Von Quiet Quitting zu Quiet Cracking: Leiden statt kündigen

Von Quiet Quitting zu Quiet Cracking: Leiden statt kündigen

Marié Detlefsen | 20.10.25

Immer mehr Arbeitnehmer:innen bleiben in ihren Jobs, obwohl sie innerlich längst zerbrechen. Das Phänomen Quiet Cracking zeigt, wie wirtschaftliche Unsicherheit, fehlende Anerkennung und Zukunftsängste zu einer stillen Krise am Arbeitsplatz führen.

Morgens ins Büro fahren, freundlich lächeln, die To-do-Liste abarbeiten – und sich dabei insgeheim fragen, wie lange man das noch durchhält. Viele Arbeitnehmer:innen erleben genau diesen Spagat: Sie bleiben, weil der Arbeitsmarkt unsicher ist, obwohl sie sich längst entfremdet haben. Dieses stille Zerbrechen am Arbeitsplatz hat inzwischen einen Namen: Quiet Cracking. Doch was genau versteht man unter diesem Phänomen, wodurch wird es beeinflusst und wie können Arbeitgeber:innen dagegen vorgehen? All das erfährst du im folgenden Artikel.

Was ist Quiet Cracking?

Das Schlagwort Quiet Cracking beschreibt eine Entwicklung, die noch tiefer greift als das bereits bekannte Quiet Quitting. Während beim Quiet Quitting Mitarbeiter:innen bewusst nur das Nötigste tun, um nicht mehr als ihre vertraglich geschuldeten Aufgaben zu erfüllen, handelt es sich beim Quiet Cracking um eine stille Form des inneren Zusammenbruchs im Job. Betroffene bleiben zwar im Unternehmen, fühlen sich aber zunehmend gefangen – nicht aus Loyalität oder Überzeugung, sondern aus Angst vor Kündigungswellen, unsicheren Arbeitsmärkten oder fehlenden Alternativen.

Die Symptome reichen von stiller Resignation über emotionale Distanz bis hin zu ernsthaften psychischen Belastungen. Laut Forbes lässt sich das Phänomen sogar als tiefergehende mentale Reaktion beschreiben: Mitarbeitende lächeln im Büro, während sie innerlich zerbrechen, leiden unter Schlaflosigkeit, Grübeleien und stressbedingten Gewohnheiten wie Überessen oder ständiger Anspannung. Quiet Cracking ist damit weniger eine Entscheidung als vielmehr ein Überlebensmodus.

Wie viele Arbeitnehmer:innen sind von Quiet Cracking betroffen?

Die Dimensionen des Problems werden laut neusten Studien erst jetzt richtig bekannt, und doch zeichnen verschiedene Studien ein ähnliches Bild:

  • Laut TalentLMS gibt über die Hälfte der Beschäftigten an, regelmäßig Quiet Cracking zu erleben. Jede:r Fünfte spricht sogar von einem dauerhaften Zustand.
  • Eine Studie von Ey zeigt, dass in Deutschland 28 Prozent der Arbeitnehmer:innen unmotiviert sind. Nur 24 Prozent sind uneingeschränkt zufrieden, und vor allem unter Gen Z und Millennials ist die Zufriedenheit in kurzer Zeit von über 50 auf nur noch 33 Prozent gefallen.
  • Auch global betrachtet sinkt das Engagement kontinuierlich. Gallup berichtet, dass die Weltwirtschaft jährlich rund 8,8 Billionen US-Dollar durch mangelnde Mitarbeiter:innenbindung verliert.

Diese Zahlen belegen: Quiet Cracking ist kein Randphänomen, sondern ein strukturelles Problem, das weit über individuelle Unzufriedenheit hinausgeht.


Zwischen Glück und Kündigung:

23 Prozent der Angestellten haben eine niedrige Arbeitszufriedenheit

Zwischen Glück und Kündigung: 23 Prozent der Angestellten haben eine niedrige Arbeitszufriedenheit
© Anna Tarazevich – Pexels


Diese Trends verstärken Quiet Cracking

Doch welche Trends verstärken Quiet Cracking und das Gefühl der Isolation und Lustlosigkeit? Laut der Studie von TalentLMS spielen in diesem Fall mehrere Faktoren eine Rolle:

Unsicherheit trotz Jobstabilität
Obwohl sich viele in ihrer aktuellen Position sicher fühlen, glauben nur 62 Prozent, dass sie langfristig eine Zukunft im Unternehmen haben. Diese Diskrepanz zwischen Gegenwart und Zukunft führt zu innerem Rückzug und einer starken Unsicherheit in Bezug auf den eigenen Arbeitsplatz.

Ökonomischer Druck
Inflation, Rezessionsängste und stagnierende Karrieren erhöhen den Druck. Wer schon lange keine Gehaltserhöhung oder Weiterbildung erhalten hat, spürt besonders stark das Gefühl des Stillstands.

Über diese Dinge machen sich Arbeitnehmer:innen am meisten Sorgen (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht), © TalentLMS
Über diese Dinge machen sich Arbeitnehmer:innen am meisten Sorgen (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht), © TalentLMS

Führung und fehlende Anerkennung
Fast die Hälfte der Betroffenen berichtet, dass Vorgesetzte ihre Sorgen nicht ernst nehmen. Hinzu kommt, dass 42 Prozent der Beschäftigten im letzten Jahr keinerlei Trainings- oder Weiterbildungsangebote erhalten haben – ein direkter Treiber für Unsicherheit und fehlende Motivation.

Technologische Disruption
Die zunehmende Automatisierung und die Verlagerung von Aufgaben an Künstliche Intelligenz verschärfen Zukunftsängste. Viele fühlen sich von der Geschwindigkeit der Veränderung überrollt und gleichzeitig zu ausgelaugt, um aktiv gegenzusteuern. Die Angst, durch KI ersetzt zu werden oder nicht die richtigen Skills zu besitzen, steigt somit stetig weiter.

Auswirkungen auf Wirtschaft und Unternehmen

Quiet Cracking bleibt nicht ohne Folgen – weder für die betroffenen Personen noch für die Unternehmen, in denen sie arbeiten. Wenn Mitarbeiter:innen zwar körperlich anwesend, aber innerlich längst distanziert sind, entstehen erhebliche Produktivitätsverluste. Aufgaben werden zwar erledigt, doch ohne Engagement und Innovationskraft, wodurch Teams weniger flexibel auf Veränderungen reagieren können. Gleichzeitig steigen die Kosten für Krankmeldungen, da psychische Belastungen, Burn-out oder Depressionen immer häufiger zu Ausfällen führen.

Auch die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens leidet, denn wer innerlich bereits gekündigt hat, bringt weder neue Ideen ein noch ist bereit, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Besonders problematisch ist zudem die oft abrupte Fluktuation: Viele Betroffene verharren lange Zeit still, bis sie eines Tages unerwartet kündigen – und Unternehmen stehen plötzlich vor dem Verlust von wertvollem Wissen und Know-how. Zusammengenommen wird deutlich: Quiet Cracking ist nicht nur eine stille persönliche Krise, sondern auch ein ernst zu nehmendes Risiko für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Stabilität der Wirtschaft.


Phänomen Quiet Quitting:

Ein Drittel ist genervt von Quiet Quittern

Phänomen Quiet Quitting: Ein Drittel ist genervt von Quiet Quittern
© Elisa Ventur – Unsplash


Was Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen gegen Quiet Cracking tun können

Da Quiet Cracking mehrere Auslöser haben kann, gibt es auch verschiedene Lösungsansätze, wie man dieser Problematik entgegengehen kann. Dabei liegt die Verantwortung nicht nur beim Unternehmen selbst, sondern bei Arbeitnehmer:innen und -geber:innen gleichzeitig. Im Folgenden haben wir vier Tipps für beide Gruppen:

Lösungsansätze gegen Quiet Cracking für Arbeitnehmer:innen:

  • Gespräch suchen: Auch wenn es schwerfällt, hilft es, Unzufriedenheit offen anzusprechen. Viele Vorgesetzte wissen gar nicht, wie es ihren Mitarbeitenden wirklich geht. Sie darauf anzusprechen, kann der erste Schritt in die richtige Richtung sein.
  • Selbstwirksamkeit stärken: Weiterbildung – auch in Eigeninitiative – kann ein Gefühl von Kontrolle zurückgeben. Wer in seine Kompetenzen investiert, fühlt sich zukunftssicherer. In diesem Rahmen können Weiterbildungsangebote auch den Führungsetagen vorgestellt werden, denn sich weiterbildende Angestellte kommen auch dem Unternehmen selbst zugute.
  • Netzwerke nutzen: Austausch mit Kolleg:innen oder Mentor:innen kann den Blick öffnen und das Gefühl von Isolation lindern. Auch Teamevents oder Veranstaltungen mit anderen Angestellten können das Gemeinschaftsgefühl stärken und die allgemeine Motivation in der Gruppe stärken.
  • Eigene Grenzen anerkennen: Stress ist kein Zeichen von Schwäche. Es lohnt sich, auf Warnsignale des Körpers zu hören und rechtzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen – sei es in Form von Coaching, Therapie oder finanzieller Beratung.

Lösungsansätze gegen Quiet Cracking für Arbeitgeber:innen:

  • Wertschätzung leben: Lob darf nicht nur den „großen Projekten“ gelten. Auch alltägliche Leistungen verdienen Anerkennung und stärken das Selbstwertgefühl der Mitarbeitenden.
  • Transparenz schaffen: Offene Kommunikation über Unternehmensziele, mögliche Umstrukturierungen oder Karrierewege nimmt Ängste und stärkt das Vertrauen im Team. Unternehmen, die ihre Absichten offen darlegen, schaffen eine stärkere Mitarbeiter:innenbindung und dadurch einen größeren Zusammenhalt.
  • Weiterbildung fördern: Wer regelmäßig in Schulungen und Kompetenzentwicklung investiert, signalisiert Zukunftssicherheit und investiert gleichzeitig in die eigenen Mitarbeiter:innen und damit in die Produktivität des eigenen Unternehmens.
  • Führungskräfte schulen: Empathie, aktives Zuhören und die Fähigkeit, Sorgen ernst zu nehmen, sind Schlüsselqualifikationen moderner Führung. Wer weiß, wie sensible Themen angesprochen werden können, stärkt das Vertrauen und die Bindung der Angestellten. Auch finanzielle Beratungsangebote, psychologische Hilfe und flexible Arbeitsmodelle können die emotionale Belastung spürbar senken.

Wer zuhört und investiert, verhindert, dass Mitarbeiter:innen leise zerbrechen

Quiet Cracking ist mehr als ein kurzlebiger Trendbegriff. Es beschreibt die sinkende Arbeitszufriedenheit und Motivation – ausgelöst durch ökonomische Unsicherheit, fehlende Anerkennung und mangelnde Zukunftsperspektiven. Für Arbeitnehmer:innen bedeutet es oft einen schleichenden Verlust von Energie und Gesundheit. Für Unternehmen und die Wirtschaft summiert es sich zu enormen Schäden.

Doch die Spirale ist nicht unumkehrbar. Mit offener Kommunikation, echter Wertschätzung und struktureller Unterstützung lässt sich der Kreislauf durchbrechen. Die zentrale Botschaft: Wer zuhört, investiert und anerkennt, verhindert, dass Mitarbeiter:innen leise zerbrechen – und gewinnt ein starkes, motiviertes Team zurück.


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Warum die Arbeitswelt ein Mental-Health-Problem hat

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© Andrew Neel – Pexels


Dieser Beitrag erschien erstmals am 27. August 2025.

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