Human Resources
„Gute Leute kündigen nicht den Job, sondern die Führung“ – Strategien gegen Abwerbung

„Gute Leute kündigen nicht den Job, sondern die Führung“ – Strategien gegen Abwerbung

Marié Detlefsen | 12.03.25

Viele Unternehmen verlieren ihre besten Mitarbeitenden – oft nicht wegen der Konkurrenz, sondern wegen schlechte Führung und fehlender Perspektiven. Im Interview mit OnlineMarketing.de erklärt Recruiting-Expertin Verena Fritzenwenger, welche Strategien helfen, Top-Talente langfristig zu binden und Abwerbung zu verhindern.

In Zeiten des Fachkräftemangels ist es für Unternehmen wichtiger denn je, ihre Mitarbeitenden langfristig zu halten. Doch viele Arbeitgeber:innen stehen vor einem Problem: Hochqualifizierte Talente kehren ihrem Unternehmen den Rücken – und das nicht immer wegen besserer Gehälter oder verlockender Angebote der Konkurrenz. Oft liegt der Grund in mangelnder Wertschätzung, schlechter Führung oder fehlenden Entwicklungsperspektiven. Die Bereitschaft, den aktuellen Arbeitsplatz zu verlassen und nach neuen beruflichen Möglichkeiten Ausschau zu halten, wächst dabei stetig. Dies belegt auch eine aktuelle Studie der digitalen Recruiting-Plattform The Stepstone Group. Das Ergebnis: Fast drei Viertel (73 Prozent) der Befragten denken monatlich über einen Jobwechsel nach, während es im Vorjahr noch 64 Prozent waren. 

Ich halte es für geschickter, Mitarbeitende zum Bleiben einzuladen, anstatt vom Gehen abzuhalten.

Dieser Ansicht ist Verena Fritzenwenger, CEO der People Consulting GmbH. Die häufigsten Gründe sind der Wunsch nach einem höheren Gehalt (35 Prozent), Unzufriedenheit mit der derzeitigen Tätigkeit (34 Prozent) und übermäßiger Stress am Arbeitsplatz (33 Prozent). Ein attraktiveres Angebot von einem anderen Unternehmen spielt ebenfalls eine große Rolle (26 Prozent). Unternehmen müssen daher nicht nur eine gute Mitarbeiter:innenbindung aufbauen, sondern auch aufpassen, dass sie ihre Angestellten nicht durch Abwerbung an andere Arbeitgeber:innen verlieren.

Wie können Unternehmen Abwerbung verhindern?

Wenn Mitarbeitende sich nicht gehört, gefördert oder respektiert fühlen, wächst die Bereitschaft, sich nach Alternativen umzusehen. Gerade in unsicheren Zeiten suchen viele nach einem Arbeitsumfeld, das Stabilität, Vertrauen und echte Zukunftsperspektiven bietet. Unternehmen, die das nicht bieten, riskieren eine hohe Fluktuation – mit enormen Kosten und negativen Auswirkungen auf das gesamte Team.

Doch wie können Unternehmen verhindern, dass ihre besten Köpfe abgeworben werden? Genau darüber haben wir mit Verena Fritzenwenger gesprochen. Sie erklärt, warum gute Führung, offene Kommunikation und gezielte Weiterentwicklung der Mitarbeitenden entscheidend sind – und welche konkreten Maßnahmen helfen, die eigene Belegschaft langfristig zu binden.

Das Interview

OnlineMarketing.de: Welche Branchen oder Unternehmen sind besonders stark von Abwerbung betroffen – und warum?

Verena Fritzenwenger

Verena Fritzenwenger: Ganz ausgenommen ist aufgrund des akuten Fachkräftemangels und des demografischen Wandels keine Branche, auch kein Unternehmen. Aber generell lässt sich sagen, dass Unternehmen mit unattraktiven Rahmenbedingungen am ehesten mit Abwerbungen rechnen müssen. Beispiel Familienfreundlichkeit: Firmen, die keine flexiblen Arbeitszeiten und andere Anreize für Arbeitnehmende bieten, werden es immer schwerer haben, gute Leute zu halten.

Welche sind die häufigsten Gründe, aus denen Top-Talente ihr Unternehmen verlassen? Welche Rolle spielen Faktoren wie Gehalt im Vergleich zu Unternehmenskultur und Führung?

Ein Hauptgrund ist der Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung. Gibt es innerhalb des dafür im Unternehmen keine Möglichkeiten – sei es auch strukturellen Möglichkeiten oder weil sie nicht geschaffen werden – orientieren sich Top-Talente extern. Dabei spielt sowohl Gehalt wie auch Aufgabenbereich eine Rolle. Eine gute Führung befasst sich intensiv mit dem Thema Weiterentwicklung der Mitarbeitenden.

Verena, du sagst, dass Mitarbeitende oft nicht das Unternehmen, sondern ihren Chef oder ihre Chefin verlassen. Woran scheitert Führung aus deiner Sicht am häufigsten?

Meistens scheitert sie tatsächlich am Zwischenmenschlichen: Lob und Anerkennung für gute Leistung fehlen, Wünsche nach mehr Verantwortung oder Möglichkeiten zur Karriereentwicklung werden ignoriert, Mitarbeitende in Entscheidungen nicht einbezogen – das alles sind schmerzhafte Erfahrungen, die das Klima vergiften können. Mangel an Transparenz und Wertschätzung führt häufig zu Mangel an Loyalität dem Unternehmen gegenüber.


Nur 25 Prozent sind mit Vorgesetzten rundum zufrieden –

höhere Wechselwilligkeit als Konsequenz

Nur 25 Prozent sind mit Vorgesetzten rundum zufrieden – höhere Wechselwilligkeit als Konsequenz.
© iStock.com/pixdeluxe


Warum reagieren Unternehmen oft erst, wenn Mitarbeiter:innen schon gehen wollen und versäumen aktive Maßnahmen zur Bindung?

Ich denke, es liegt daran, dass ‚pflegeleichte‘ Mitarbeitende mit der Tendenz wenig einzufordern, bei gleichzeitiger hoher Leistungsbereitschaft und Gewissenhaftigkeit oft übersehen werden. Lohnerhöhungen und Zugeständnisse werden hauptsächlich denen zugestanden, die am lautesten schreien. Ich kann den Unternehmen nur empfehlen, der tatsächlichen Leistung entsprechend zu belohnen und entlohnen. Sonst ist das Risiko groß, genau diejenigen Mitarbeitenden zu verlieren, die man gerne behalten möchte.

Welche Eigenschaften machen eine gute Führungskraft aus, die Mitarbeitende langfristig an das Unternehmen bindet?

Die Fähigkeit, situativ auf Bedürfnisse einzelner Mitarbeitenden einzugehen und den Führungsstil entsprechend anzupassen. Und gleichzeitig muss sie Leistung einfordern. Wichtig ist also gleichzeitiges Fördern und Fordern. Stimmt die Balance, macht das macht Mitarbeitende nachhaltig glücklich und schafft langfristige Mitarbeiter:innenbindung.

Wie können Unternehmen eine Kultur des Vertrauens und der Wertschätzung aufbauen, um ihre besten Köpfe zu halten?

Kommunikation spielt dabei eine maßgebliche Rolle. Sie sollte stets respektvoll und transparent sein. Vertrauen ist schnell verspielt, wenn sich Worte und Taten nicht decken. Transparenz ist wichtig, um Mitarbeitenden psychologische Sicherheit zu geben. Wertschätzende Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, Mitarbeitende und deren Leistungen zu sehen und das Gesehene zu kommunizieren, im positiven wie im negativen. Dabei ist zwischenmenschliches Fingerspitzengefühl gefragt, es gilt, das Positive hervorzuheben und zu betonen, und gleichzeitig Verbesserungspotentiale aufzuzeigen.

Inwiefern kann eine schlechte Feedback-Kultur dazu beitragen, dass Mitarbeitende sich nach Alternativen umsehen? Und wie sollte ein effektives Feedback-System aussehen?

Das Prinzip ‚kein Tadel ist schon Lob genug‘ hat ausgedient. Anerkennung von Leistung ist wichtig, um Mitarbeitende motiviert zu halten und verhindert die ‚innere Kündigung‘. Gleichzeitig ist es wichtig, Probleme frühzeitig offen anzusprechen, um Lösungen zu finden, damit sich Frustration gar nicht erst aufbauen kann.


Unzufriedenheit auf Höchststand:

Ein Fünftel der Beschäftigten hat keine emotionale Bindung ans Unternehmen

Unzufriedenheit auf Höchststand: Ein Fünftel der Beschäftigten hat keine emotionale Bindung ans Unternehmen. Gefahr um Abwerbung steigt.
© Magnet.me – Unsplash


Was sind die wichtigsten Maßnahmen, die Unternehmen sofort umsetzen können, um ihre Talente vor Abwerbung zu schützen?

Anstatt Mitarbeitende davon abhalten zu wollen zu gehen, ist es besser, Bedingungen zu schaffen, die zum Bleiben einladen. Das muss nicht einmal teuer sein: Eine offene und transparente Kommunikation kostet ebenso wenig extra wie ein wertschätzender Umgang. Führungskräfte, die ihren Mitarbeitenden das Gefühl geben, gehört und gesehen zu werden, tun bereits viel, um Abwerbungen zu vermeiden. Studien zum Thema Wechselbereitschaft zeigen aber auch, dass interne Entwicklungsmöglichkeiten sowie eine angemessene Vergütung eine große Rolle spielen. Alles gibt es nicht gratis.

Wie wichtig sind flexible Arbeitsmodelle wie Remote Work oder die Vier-Tage-Woche, um die Bindung von Mitarbeitenden zu stärken?

Das hängt von der Art der Tätigkeit ab, Remote Work ist nicht immer möglich. Wobei es von einer Unternehmenskultur des Vertrauens zeugt, Flexibilität anzubieten, wo es möglich ist. Flexible Teilzeitmodelle sind sehr wichtig, um es Mitarbeitenden zu ermöglichen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Nicht ohne Grund wird die Frage nach der flexiblen Arbeitszeit im Recruiting-Prozess oft schon im ersten Gespräch gestellt. Für viele Mütter und immer häufiger auch für Väter ist die Antwort ausschlaggebend bei der Entscheidung für oder gegen einen Arbeitsplatz. Eine Vier-Tage-Woche bei gleicher Bezahlung halte ich in allen Unternehmen für wirtschaftlich tragfähig.

Welche Fehler machen Unternehmen häufig, wenn sie versuchen, ihre Mitarbeitenden zu halten – und wie können sie diese vermeiden?

Reisende kann man nicht aufhalten. Wie ich bereits erwähnt hatte, halte ich es für geschickter, Mitarbeitende zum Bleiben einzuladen, anstatt vom Gehen abzuhalten. Eine Gehaltserhöhung während des Kündigungsgesprächs anzubieten, halte ich für die falsche Maßnahme. Da ist vorher schon zu viel schief gegangen. Und ein gewisses Maß an Fluktuation ist gesund und unvermeidbar. Ich denke, man sollte sich darauf fokussieren, gute Bedingungen für Mitarbeitende zu schaffen, um die Fluktuation gering zu halten.

Wie positionieren sich Unternehmen bestmöglich, um etwaige Rückkehroptionen der Fachkräfte zu ermöglichen?

Wichtig ist es, diese Möglichkeit der Rückkehr zu kommunizieren im Rahmen des Offboardings. Also bewusst zu kommunizieren, dass die Tür für die Rückkehr offensteht. Oft trauen sich Mitarbeitende nämlich nicht, an der Tür ehemaliger Arbeitgeber:innen anzuklopfen, aus Angst vor negativer Resonanz.


Wir bedanken uns recht herzlich für das schriftliche Interview mit Verena Fritzenwenger sowie für die spannenden Insights aus ihrer Perspektive.


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© Antoni Shkraba – Pexels

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