Human Resources
Licht ins Dunkel der Löhne: Gehaltstransparenz in Europas Arbeitswelt

Licht ins Dunkel der Löhne: Gehaltstransparenz in Europas Arbeitswelt

Marié Detlefsen | 29.04.25

Gehaltstransparenz soll bald als neue EU-Richtlinie eingeführt werden – doch viele Länder und Branchen bleiben zögerlich. Eine neue Analyse zeigt, wo Offenheit wächst und wo Löhne weiterhin ein gut gehütetes Geheimnis sind.

„Sag mal, wie viel verdienst du eigentlich?“ Die Debatte um das Thema Gehaltstransparenz bleibt weiterhin auf dem Tisch. Inzwischen wird in vielen Ländern intensiver darüber diskutiert, wie offen Arbeitgeber:innen mit dem Thema Entlohnung umgehen – und warum das von zentraler Bedeutung für gerechtere Löhne ist. Eine aktuelle Analyse des Hiring Lab von Indeed zeigt: Auch wenn die Offenlegung von Gehaltsinformationen zunimmt, ist sie noch lange nicht flächendeckend Realität. Vor allem in Deutschland herrscht nach wie vor Zurückhaltung – mit deutlichem Nachholbedarf im internationalen Vergleich.

Warum Gehaltstransparenz zählt

Gehaltstransparenz ist mehr als ein wohlklingendes Schlagwort – sie ist ein Hebel gegen Diskriminierung. Wer weiß, was andere in vergleichbaren Positionen verdienen, kann fairer verhandeln. Gleichzeitig zwingt Offenheit Arbeitgeber:innen dazu, interne Lohnstrukturen zu hinterfragen und geschlechtsspezifische oder ethnisch bedingte Ungleichheiten zu beseitigen. Besonders in Berufen, die traditionell von Männern dominiert werden oder in denen hohe Qualifikationen gefragt sind, ist das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern weiterhin spürbar.

Zudem schafft Transparenz Vertrauen. Bewerber:innen können besser einschätzen, ob sich der Bewerbungsaufwand lohnt, Unternehmen profitieren von einem zielgerichteten Recruiting und einem verbesserten Employer Branding. Das frühzeitige Kommunizieren von Gehalt kann den Bewerber:innen-Pool erweitern und den Auswahlprozess beschleunigen.

Wo in Europa wird das Gehalt offengelegt?

Trotz wachsender Aufmerksamkeit ist der Status quo ernüchternd: Ende 2024 enthielt laut der Analyse lediglich rund jede sechste Stellenanzeige in Deutschland eine konkrete Gehaltsangabe. Damit bildet die Bundesrepublik das Schlusslicht unter den sechs analysierten europäischen Ländern. Ganz anders Großbritannien: Dort wurden bei über zwei Dritteln der Jobangebote klare Gehaltsinformationen bereitgestellt.

2024 enthiet lediglich rund jede sechste Stellenanzeige in Deutschland eine konkrete Gehaltsangabe.
2024 enthiet lediglich rund jede sechste Stellenanzeige in Deutschland eine konkrete Gehaltsangabe, © Indeed

Auch in Frankreich, Irland und den Niederlanden hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Zwischen 40 und etwas über 50 Prozent der Stellenanzeigen dort enthielten Angaben zur Bezahlung. Italien liegt mit knapp 20 Prozent ebenfalls vor Deutschland, zeigt jedoch ebenfalls nur verhaltenen Fortschritt.

Berücksichtigt man zusätzlich jene Anzeigen, die auf Tarifverträge verweisen – also indirekte Gehaltsinformationen liefern –, steigen die Transparenzraten leicht: In Deutschland auf knapp 24 Prozent, in den Niederlanden auf fast 50 Prozent. Doch auch damit bleibt der Rückstand bestehen

Gute Theorie, schwache Praxis

Dabei war das Thema Gehaltstransparenz vor ein paar Jahren noch in aller Munde. Zwischen 2019 und 2023 gaben immer mehr Arbeitgebende Gehälter transparent an. Doch dieser Aufschwung ist ins Stocken geraten. Seit Mitte 2023 zeigen sich kaum noch Fortschritte – obwohl mit der EU-Richtlinie zur Gehaltstransparenz ein mächtiger Hebel in den Startlöchern steht. Ab Juni 2026 müssen Gehälter spätestens vor dem Vorstellungsgespräch offengelegt werden. In der Praxis wird sich erst dann zeigen, ob sich daraus ein echter Kulturwandel entwickelt oder ob Arbeitgeber:innen weiterhin auf freiwillige Zurückhaltung setzen.


Gehaltstransparenz als wichtiges Instrument:

So viel verdienen Arbeitnehmer:innen in Deutschland


In welchen Branchen gibt es die größte Gehaltstransparenz?

Spannend ist der Blick auf die Branchen: Am häufigsten werden Gehaltsinformationen in Tätigkeitsfeldern mit eher niedrigen Löhnen veröffentlicht. Spitzenreiter:in ist der Reinigungssektor – mit Offenlegungsquoten von bis zu 92 Prozent in Großbritannien und immerhin 41 Prozent in Deutschland. Auch im Transportwesen, im Bildungsbereich sowie in der Gastronomie wird vergleichsweise häufig über das Gehalt gesprochen.

Tätigkeitsfeldern mit eher niedrigen Löhnen legen Gehälter eher offen.
Tätigkeitsfelder mit eher niedrigen Löhnen legen Gehälter eher offen, © Indeed

Ganz anders sieht es in akademischen oder technischen Berufen aus: In Sektoren wie Software-Entwicklung, Data Analytics, Projektmanagement oder im juristischen Bereich bleibt das Gehalt oft unter Verschluss. In Deutschland, Italien und Irland enthalten weniger als zehn Prozent der Anzeigen in diesen Bereichen eine Gehaltsangabe – ein auffälliger Kontrast zur vergleichsweise hohen Offenheit in niedrigeren Lohngruppen.

Diese Zurückhaltung hat System: Gerade bei hochbezahlten Positionen wird das Gehalt meist individuell ausgehandelt. Unternehmen wollen sich oft nicht festlegen, aus Angst vor Konkurrenz oder weil sie auf flexible Gehaltsmodelle setzen. Doch genau in diesen Berufsfeldern verstecken sich oft die größten Lücken – vor allem zwischen den Geschlechtern.

Gehaltstransparenz als Schlüssel zur Gerechtigkeit

Ein zentrales Ziel der Transparenzregelungen ist die Bekämpfung des Gender Pay Gaps. Untersuchungen zeigen: Gerade in Führungspositionen, bei Managern oder hochqualifizierten Fachkräften, ist das geschlechtsspezifische Lohngefälle besonders groß. Wer in diesem Kontext Gehälter nicht offenlegt, verschleiert womöglich nicht nur Ungleichheiten, sondern erschwert auch gezielte Maßnahmen zur Angleichung. Durch die geringe Gehaltstransparenz wollen viele Arbeitnehmer:innen auch nicht über ihren Lohn verhandeln. Vor allem junge Arbeitnehmer:innen reden zwar offen über ihr Gehalt – doch sobald es ans Verhandeln geht, fehlt ihnen oft der Mut.

In Österreich ist die Gehaltsangabe in Stellenanzeigen bereits verpflichtend und auch die kommende EU-Richtlinie könnte neuen Schwung bringen, wenn sie konsequent umgesetzt wird. Die meisten anderen Staaten aber hinken hinterher. Bis dahin liegt es an Unternehmen selbst, den Wandel aktiv zu gestalten – und damit nicht nur Chancengleichheit zu fördern, sondern auch Vertrauen und Attraktivität als Arbeitgeber:in zu stärken. Vielleicht reden dann auch Arbeitnehmer:innen selbst offener über ihr Einkommen.


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