Human Resources
996-Arbeitsmodell: Warum Startups wieder auf 72-Stunden-Wochen setzen

996-Arbeitsmodell: Warum Startups wieder auf 72-Stunden-Wochen setzen

Marié Detlefsen | 26.11.25

Das 996-Arbeitsmodell sorgt aktuell für Diskussionen, vor allem, weil manche US-KI-Startups wieder auf extreme 72-Stunden-Wochen setzen. Warum dieses Modell derzeit so viel Anklang findet, gleichzeitig massive Risiken birgt und was es für Arbeitnehmende bedeutet, liest du im Artikel.

Während hierzulande immer öfter die Frage gestellt wird, ob die Vier-Tage-Woche unser Arbeitsleben retten könnte, schaut man in Teilen der Tech-Szene auf der anderen Seite des Atlantiks in eine ganz andere Richtung: hin zu mehr Arbeit. Und zwar deutlich mehr. Einige US-Startups, vor allem im KI-Bereich, propagieren aktuell ein Arbeitsmodell, das an eine Mischung aus Silicon-Valley-Mythos und 2000er-Hustle-Kultur erinnert: das sogenannte 996-Modell.

Was bedeutet 996 eigentlich?

Der Begriff 996 kommt ursprünglich aus China und steht für ein Arbeitsregime, das wenig Raum für ausgiebige Hobbys, soziale Kontakte oder überhaupt einen Feierabend lässt: Arbeiten von neun bis 21 Uhr, sechs Tage pro Woche. Das macht zusammen stolze 72 Stunden pro Woche und damit fast das Doppelte der in den USA oder Deutschland üblichen 40-Stunden-Woche.

Ironischerweise ist diese Praxis in China selbst offiziell gar nicht erlaubt. Das chinesische Arbeitsrecht schreibt eine reguläre 40-Stunden-Woche vor und gestattet nur begrenzte Überstunden. Laut Recht dürfen Angestellte dort maximal drei Überstunden pro Tag und 36 im Monat machen, wobei der langfristige Durchschnitt zwingend wieder auf 40 Stunden sinken muss.

Warum greifen KI-Startups ausgerechnet jetzt auf 996 zu?

Vor allem Firmen aus dem KI-Bereich setzen derzeit auf Hochleistungsteams, die ihre Energie fast vollständig ins Unternehmen stecken sollen. Die Logik dahinter: Wer mehr Stunden reinsteckt, bringt die Technologie schneller voran und schlägt die Konkurrenz. Ein Beispiel ist das Startup Rilla, das in einer Stellenausschreibung ziemlich unverblümt darauf hinweist, dass Bewerber:innen, die sich nicht auf 70-Stunden-Wochen freuen, sich lieber gar nicht erst melden sollen. Dies berichtete die Frankfurter Rundschau. Unterstrichen wird diese Haltung vom eigenen Management, das sich auf die „Leistungsikonen“ der Tech-Welt beruft – Menschen wie Steve Jobs oder Bill Gates, die laut Aussagen unermüdlich an ihren Visionen gearbeitet haben.

Doch auch andere Tech-Größen wie Googles Mitbegründer Sergey Brin haben sich öffentlich dafür ausgesprochen, dass mindestens 60 Stunden pro Woche eine gute Arbeitsgrundlage seien. Elon Musk ging nach seiner Twitter-Übernahme sogar noch weiter und forderte laut der Frankfurter Rundschau einen „extrem hardcore“-Einsatz mit „langen Stunden bei hoher Intensität“.


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© Mart Production – Pexels


Weniger arbeiten – mehr leisten?

Während manche Startups an der 72-Stunden-Fantasie festhalten, warnen Expert:innen eindringlich vor den Folgen einer solchen Dauerbelastung. In den USA meldete die Plattform Care.com kürzlich Rekordwerte bei Burn-outs: Fast 70 Prozent der Befragten sehen sich einem mittleren bis hohen Risiko ausgesetzt. Diese Erkenntnis verwundert nicht, denn wer ständig über der Belastungsgrenze arbeitet, fühlt sich irgendwann erschöpft, was am Ende zudem die Produktivität eher nach unten zieht als nach oben.

Dass Arbeitszeitreduktion nicht automatisch Leistungsverlust bedeutet, zeigt eine britische Studie der Organisation Autonomy mit 60 Unternehmen. Dort stellte sich heraus, dass Angestellte, die weniger Stunden arbeiten, pro Stunde produktiver sind, seltener fehlen und weniger Stress empfinden. Zudem wollen 56 der beteiligten Unternehmen dauerhaft an der Viertagewoche festhalten.

71 Prozent berichteten von weniger Stress und geringerem Burn-out durch Einführung der 4-Tage-Woche, © Autonomy
71 Prozent berichteten von weniger Stress und geringerem Burn-out durch Einführung der 4-Tage-Woche, © Autonomy

Auch in Deutschland sehen das viele Arbeitnehmer:innen ähnlich. Hierzulande fühlen sich 44 Prozent der Angestellten häufig ausgebrannt. Besonders stark betroffen ist dabei die Generation Z. Fast 80 Prozent der jungen Arbeitnehmer:innen in Deutschland mit einem universitären Abschluss litten bereits an einem Burn-out oder haben zumindest Erfahrungen mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Exakt 78 Prozent der jungen Angestellten haben bereits negative Erfahrungen mit Stress und hohem Druck während der Arbeit machen müssen. Kein Wunder also, dass gerade die jüngeren Jahrgänge traditionelle Arbeitsmodelle zunehmend kritisch beäugen und stattdessen Wert auf Flexibilität und klare Grenzen zwischen Job und Freizeit legen.

Zwar nicht 996, doch Forderungen nach mehr Arbeit nehmen zu

Trotz der Burn-out-Zahlen argumentieren manche Ökonom:innen, dass Deutschland mehr arbeiten müsse, nicht weniger. Auch Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, spricht sich für die Erhöhung der Arbeitszeit und die Streichung eines Feiertags aus. Er sieht letztere nicht als Allheilmittel, aber als bedeutenden Schritt in einer Zeit, in der der Staat auf vielen Ebenen an seine Grenzen stößt. Es gehe nicht nur um Finanzierung, sondern auch um die Verfügbarkeit von Arbeitskraft.

Dennoch bleibt die Frage offen, welches Arbeitszeitmodell am besten funktioniert und ob das 996-Prinzip kleinen Tech-Startups tatsächlich mehr Effizienz bringt oder nicht. Wie sollte deiner Meinung nach mit der Arbeitszeit umgegangen werden? Hältst du die Einführung von mehr oder weniger Arbeitstagen für sinnvoll? Schreib es uns gerne in die Kommentare.


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Kommentare aus der Community

Thomas Stahl am 04.12.2025 um 14:23 Uhr

Die Vergleiche mit oder der Bezug auf Tech-Gründer wie Steve Jobs hinkt gewaltig. Sie arbeiteten an ihren eigenen Unternehmen, ihren eigenen Visionen. Ein Arbeitnehmer (egal ob in den USA, in Deutschland oder sonst wo) hat dieses Motiv nicht. Entsprechend fehlt ein entscheidender Motivationsfaktor für 996 oder allgemein Überstunden.

Antworten
Niklas Lewanczik am 04.12.2025 um 14:38 Uhr

Hallo Thomas,

das ist richtig. Der Vergleich kommt ja vom ausschreibenden Unternehmen. Aber es stimmt, oft erwarten Unternehmen Leistungen und Arbeitszeit wie bei Selbstständigen, CEOs oder Gründer:innen, die für ein eigenes Unternehmen arbeiten, während keine entsprechenden Gegenleistungen geboten werden. Da gibt es eine große Diskrepanz. Vermutlich wären einige Arbeitnehmer:innen bereit, mehr/länger zu arbeiten, wenn sie dafür zum Beispiel Firmenanteiler erhielten o. Ä.

Liebe Grüße

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