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E-Commerce
„Einmal gelerntes neues Einkaufsverhalten wird nicht so schnell wieder abgelegt“ – Nadine Wolanke von Salesforce im Interview

„Einmal gelerntes neues Einkaufsverhalten wird nicht so schnell wieder abgelegt“ – Nadine Wolanke von Salesforce im Interview

Niklas Lewanczik | 15.12.20

Besuchen Shopper bald nur noch digitale Showrooms statt klassischer Geschäfte? Diese und weitere Fragen diskutiert Retail-Expertin Nadine Wolanke von Salesforce mit uns im Interview zum Handel im Jahr 2020.

Kehren die Menschen bald überhaupt noch in die Offline-Geschäfte zurück? Das durch Corona geprägte Jahr 2020 hat dem E-Commerce – der ohnehin in einem stetigen Wachstum begriffen ist – einen weiteren enormen Boost verliehen. Ob beim Amazon Prime Day oder in der Cyber Week: Verkaufsrekorde wurden bei den Online-Händlern gebrochen. Zwar war in den Innenstädten des Landes gerade in der Vorweihnachtszeit noch reger Betrieb zu sehen. Doch nun kommt ein harter Lockdown auf Deutschland zu, der insbesondere den Einzelhandel hart treffen wird. Damit rückt der E-Commerce – und auch der Social Commerce – noch deutlicher in den Fokus der User, wenn das überhaupt möglich ist. Dazu gehören auch Formate wie Live Shopping, etwa über Amazon, Facebook und Instagram.

Bereits im Mai gab uns Nadine Wolanke, bei Salesforce verantwortlich für den Retail- und Konsumgüterbereich, in einem ausführlichen Interview einen Einblick in den E-Commerce-Markt in Deutschland. Dabei betonte sie beispielsweise, dass die Zahl der Online-Bestellungen in Q1 in Deutschland um 19 Prozent zugenommen hatte. Über ein halbes Jahr später fragen wir uns, wie der Online-Handel im Weihnachstgeschäft funktioniert und was Händler im Kontext ihrer Digitalstrategien jetzt umsetzen müssen. Daher stand uns Nadine Wolanke noch einmal Rede und Antwort und erklärt unter anderem, dass User ihr einmal gelerntes Verhalten kaum mehr ändern werden. Und dass digitale Showrooms zur Konkurrenz für den Offline-Handel werden könnten. Immerhin geht ein Trend zwangsläufig hin zum „Cocooning“.

Das Interview mit Nadine Wolanke

OnlineMarketing.de: Man hört häufig von der Veränderung des Konsumverhaltens der User im Kontext der Coronapandemie. Der E-Commerce boomt. Aber hat sich das Verhalten vom Frühjahr 2020 bis zur Festtagssaison des Jahres nochmal gewandelt?

Nadine Wolanke: Die im März mit dem ersten Lockdown begonnenen Trends in Richtung Home und Sport Equipment halten an: „Cocooning“ ist nach wie vor das Stichwort, inzwischen werden auch nicht nur Dekorationsartikel, sondern auch Möbel oder ähnlich große Produkte online eingekauft. Mit dem Amazon Prime Day im Oktober wurde die Weihnachtssaison zudem in diesem Jahr früher als sonst eingeläutet. Hoch im Kurs stehen mit Blick auf die Geschenksaison in diesem Jahr auch vermehrt Kinder-Artikel, angefangen mit Spielzeug bis zu ergänzenden Produkten aller Art, die vermehrt im E-Commerce gefragt sind. Die aktuelle Situation der Pandemie befeuert die Nachfrage nach wie vor stark und verlangt schon früh und vor allem sehr konstant von den Unternehmen ein Level, das normalerweise erst in den Aktionswochen rund um Black Friday und Cyber Monday erreicht wird. 

Nadine Wolanke, Salesforce

Was heißt das für Retailer, wie müssen sie ihre Geschäftsmodelle auf das Weihnachtsgeschäft ausrichten?

Nach wie vor gilt es hier zwischen zwei verschiedenen Typen zu unterscheiden: Auf der einen Seite sehen wir Unternehmen, die noch nicht online vertreten sind. Sie benötigen dringend eine entsprechende E-Commerce-Strategie und müssen sich gut digital aufstellen. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen, die online zwar gut aufgestellt sind, aber den nächsten Schritt gehen möchten und vor allem das Thema Personalisierung in den Blick nehmen. Insgesamt wird es im Weihnachtsgeschäft umso wichtiger, den Kunden komfortablen, kanalübergreifenden und individualisierten Service anzubieten. 

Sollten Online-Händler annehmen, dass etwaige Zuwächse beim Traffic und Umsatz, die durch die Pandemie bedingt sein könnten, sich auch 2021 nicht zurückentwickeln? Gibt es belegbare Hinweise, die auf eine konstant hohe Nachfrage auch in Zukunft hindeuten?

Generell sehen wir auch weiterhin steigende Zahlen und einen Fokus auf das Online Shopping. Die neuesten Zahlen des Salesforce Q3 Shopping Index belegen, dass sich das E-Commerce-Wachstum in Deutschland stabilisiert hat. Nach wie vor legt Deutschland im weltweiten Vergleich mit 18 Prozent im Jahresvergleich das geringste Wachstum vor – allerdings kommt der deutsche E-Commerce auch von einem größeren Volumen als beispielsweise Spanien oder Italien. Das muss man immer im Kontext sehen. Unsere Auswertungen aus vergangenen Jahren zeigen außerdem, dass Konsumenten ihr einmal gelerntes neues Einkaufsverhalten nicht so schnell wieder ablegen.

Wie sieht es in den verschiedenen Branchen aus? Gilt es beispielsweise für Home-Fitness-Anbieter, jetzt die große Nachfrage rein finanziell auszunutzen oder sollte der Boost für diese Produkte als Sprungbrett für die Integration langfristig zielorientierter neuer Strategien (im Marketing, aber auch im Verkaufsprozess) sein?

Hier entwickeln sich die Branchen unterschiedlich. Allerdings sehen wir besonders bei Spielwaren, Kindersitzen und anderen Produkten rund um die Familie einen Boost in Richtung online. Viele Hersteller haben hier den Trend verpasst, sind primär über große Einkaufshäuser stationär erhältlich. Hier wird im Direct-to-Consumer-Geschäft nach- und aufgerüstet. Grundsätzlich ergibt es Sinn, Strategien langfristig anzulegen und durch enge Beobachtung der Entwicklung Trends frühzeitig zu erkennen – und umzusetzen. Gute Ansätze sind beispielsweise Click-and-Collect-Modelle, digitale Dienstleistungen, die Einführung von Abholdiensten oder die Bereitstellung eines virtuellen Kundendienstes. Aber auch Konzepte im stationären Einzelhandel, die feste Zeit-Slots für den Einkauf vergeben, sind denkbar.

Wie könnte eine Optimierung der Customer Journey basierend auf den Learnings aus dem durch Corona geprägten Jahr 2020 auch für 2021 aussehen?

Das Stichwort Omnichannel ist höchstrelevant und wird es auch weiterhin bleiben, es wird sogar noch an Bedeutung gewinnen. Die Unternehmen stehen nämlich vor einer speziellen Herausforderung: Wenn der Kunde einkaufen geht, sollte das gesuchte Produkt im besten Fall auch offline verfügbar sein. Oder zumindest via Online Shop einfach bestellt und direkt nach Hause geliefert werden können. Es geht daher nicht nur um Verfügbarkeiten, sondern auch um Individualisierung und Personalisierung, die die Weiterentwicklung des Handels stark beeinflussen werden.  

An welcher Stellschraube der Customer Journey sollte ich als Händler als erstes drehen?

Ein Kernthema ist und bleibt die Kundenbindung. Die Pandemie hat die Verlagerung auf den E-Commerce beschleunigt und Einzelhändler vor die Herausforderung gestellt, ihre Geschäfte schnell digital zu denken, sofern das noch nicht passiert war. Mit Weihnachten in Sichtweite werden ein reaktionsschneller Kundendienst und die bequeme, sichere Abwicklung für Kunden entscheidend für den Geschäftserfolg sein. Es gilt, inspirierende Online-Shopping-Erlebnisse zu schaffen, direkt mit dem Kunden zu kommunizieren und den Kundenservice im stationären Handel anzupassen.

Kann ich aus dem Umstand, dass Verkaufsflächen möglicherweise wenig genutzt oder frequentiert werden, einen Vorteil machen? Welche Marketing-Ansätze oder Änderungen des Offline-Store-Konzepts wären denkbar?

Click-and-Collect ist ein bereits etabliertes und gerne genutztes Konzept, das in diesem Kontext relevant ist. Mit dem Boom des Online-Handels kommt beispielsweise auch die Logistik an ihre Grenzen. Denkbar ist daher, dass neue Konzepte für die Flächen erarbeitet werden, etwa in Form von Collect-Stationen, die die klassischen Logistikunternehmen unterstützen. In diesem Kontext können sich auch neue Kooperationspartner finden, um die letzte Meile für den Kunden zu schaffen. Es stellt sich dann insgesamt die Frage nach der Fläche der Zukunft – und ob wir vielleicht bald nur noch Showrooms statt klassischer Geschäfte besuchen werden.  

Wie können Retailer und Brands individuell hervorstechen, wenn jegliche Konkurrenz die gleichen Potentiale zu nutzen versucht? Welcher Punkt in der Customer Journey eignet sich besonders für diese Individualisierung?

Individualisierung lässt sich auf verschiedenen Ebenen umsetzen. Je nach Retailer oder Brand kann der sinnvollste Anhaltspunkt ein anderer sein. Beim Kundenservice beispielsweise gilt es nun, noch flexibler zu agieren – über Telefon, klassische Online-Kanäle und Social Media. Letzteres ist auch für das Marketing wichtig, um Bestandskunden und neue Kunden anzusprechen. Gerade Branchen, die sonst stark auf den stationären Handel setzen oder bei denen ein Ortsbezug wie bei der Gastronomie gegeben ist, dürfen das jetzt nicht außer Acht lassen. 

Ist eine markengerechte und visuell hochwertige sowie in Echtzeit reagierende Social-Media-Präsenz jetzt und künftig gewichtiger als vor Beginn der Coronapandemie?

Ja, absolut. Vor allem, da insgesamt mehr über Mobile passiert. Wie der aktuelle Salesforce Q3 Shopping Index zeigt, nimmt Mobile über alle Märkte hinweg den größten Traffic-Anteil ein. In Deutschland liegt Mobile beispielsweise mit 70 Prozent im dritten Quartal 2020 weit vor dem Computer (28 Prozent) oder dem Tablet (zwei Prozent). Auch der Blick auf die getätigten Bestellungen nach Kanal spricht klar für Mobile – hier sind die Anteile im Vorjahresvergleich gestiegen und haben größtenteils, wenn auch knapp, den Computer als beliebtesten Kanal abgelöst. Der Trend ist sichtbar. Besonders deutlich zeigt sich die Präferenz für den mobilen Kanal im asiatischen Raum, wo die Menschen sowieso “mobile only” aufwachsen. Über alle Länder hinweg kamen zudem im dritten Quartal 2020 9,2 Prozent der Nutzer über eine Social-Media-Plattform zu ihrem Online Shop – gegenüber 1,7 Prozent via Computer ist das eine beachtliche Zahl, die die Relevanz von guten Social-Media-Präsenzen unterstreicht.  

Wir bedanken uns herzlich bei Nadine Wolanke und Salesforce für die ausführlichen Erläuterungen und Insights zum Handel allgemein, E-Commerce und CRM im Jahr 2020 und darüber hinaus.

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