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Social Media Marketing
Das Dilemma der Creator Economy: Gibt es authentisches Influencer Marketing?

Das Dilemma der Creator Economy: Gibt es authentisches Influencer Marketing?

Ein Gastbeitrag von Silvia Lange | 07.08.23

Wo Werbung dran steht, ist auch Werbung drin: Können von Kooperationspartner:innen abhängige Influencer wirklich völlig authentischen Content liefern?

„Kostenlose Inhalte, aber bitte ehrlich und ohne Werbung“: Aussagen wie diese sind ein Zeichen unserer Zeit, denn an jeder Ecke bekommen Konsument:innen Gratis-Content angeboten. Dass kostenloser Content aber nicht kostenlos produziert werden kann, sondern Zeit, Aufwand und Ressourcen durch Werbung finanziert werden muss, blenden dabei viele Menschen aus. Dieser Zwiespalt sorgt gerade auch für Unruhen im Influencer Marketing. Denn kaum eine andere Werbeform vermengt Werbung und persönliche Meinungen so stark wie die Zusammenarbeit mit Creatorn, die sowohl private Einblicke in ihren Alltag gewähren als auch als Unternehmer:innen agieren. Viele Influencer, die einerseits gerne authentischen Content erstellen möchten, andererseits aber auf die Einnahmen aus sozialen Netzwerken angewiesen sind, stehen damit vor einem Dilemma. Wie ehrlich und unabhängig können sie in ihren Postings sein, wenn sie parallel Einnahmen für ihre Werbepartner:innen generieren müssen?

Zwischen Werbung und Ehrlichkeit

Zuerst solltest du dich fragen, ob klassische Werbung jemals ehrlich authentisch sein kann. Am Ende geht es bei beiden Marketing-Disziplinen immer darum, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen. Viele Influencer leben von solchen Kooperationen, andere arbeiten auf dieses Ziel hin. Im Gegensatz zu klassischer Werbung in Printmedien, Radio oder Fernsehen findet im Influencer Marketing eine gewisse Vorfilterung statt. Diese Vorfilterung ist individuell – manche Influencer empfehlen ausschließlich nachhaltige Produkte oder haben strenge Werberichtlinien, andere haben nur wenige Ausschlusskriterien. Es gibt jedoch kaum Influencer, die wirklich für jedes Produkt Werbung machen würden.

Dennoch müssen sie den Spagat zwischen einer hohen Reichweite und einer engen und verlässlichen Bindung zur Community realisieren. Dadurch müssen sie sich mit Trendthemen auseinandersetzen, oder auf Hype-Produkte eingehen, die auch von anderen Influencern beworben werden. Ob und inwieweit sie sich kritisch zu bestimmten Produkten oder Marken äußern können oder wollen, hängt, neben den persönlichen Einstellungen und Werten, auch davon ab, ob sie auf weitere Werbekooperationen aus diesem Bereich angewiesen sind. Die Influencerin Jenni Kuzu, die auf Instagram den Account @mehralsgruenzeug betreibt, steht zu hundert Prozent hinter ihren Kooperationen – und sieht ihre Inhalte daher als authentisch an:

Mittlerweile ist das kein Zwiespalt mehr für mich. Ich muss meine laufenden Kosten decken, wie alle anderen Menschen auch, und liefere kostenfrei Unterhaltung und Informatives. Werbung finanziert diese Verfügbarkeit für alle Menschen. Ehrlich und authentisch sind die Inhalte trotzdem, weil ich sehr genau auswähle, mit wem ich arbeite und dann (in der Regel) zu hundert Prozent hinter den Kooperationen stehen kann.

Der Trend um #Deinfluencing

Dass die Influencer Community in der Authentizitätsfrage ziemlich zerrissen ist, zeigt sich auch am Deinfluencing-Trend: Seit Anfang des Jahres 2023 geben immer mehr Creator Empfehlungen ab, welche Marken und Produkte sie heute nicht mehr kaufen würden. Diese Aussagen sind sicherlich gut gemeint, stoßen aber nicht bei allen auf Begeisterung. Anstatt für die Ehrlichkeit dankbar zu sein, fragen sich viele Konsument:innen: Wieso kommt der Trend erst jetzt? Habt ihr nicht die ganze Zeit schon behauptet, eure ehrliche Meinung mit der Öffentlichkeit zu teilen?

Häufig kommt daher die Kritik auf, dass wirklich authentische Creator von Anfang an von Produktempfehlungen Abstand genommen hätten, die sie nicht mit gutem Gewissen verbreiten können. Trotzdem ist es begrüßenswert, dass mit dem Deinfluencing-Trend mittlerweile ein Umdenken stattfindet. Geschönte Testimonials nützen auf lange Sicht weder Creatorn noch Marken oder Kund:innen. Die Influencerin Jenni Kuzu testet Produkte im Vorhinein und stellt offen gebliebene Fragen, um Kooperationen mit Unternehmen, die beispielsweise Greenwashing betreiben, vermeiden zu können:

Ich informiere mich im Vorfeld eingehend über das Unternehmen, schaue mir Presseberichte, LinkedIn-Profile und alles, was ich sonst auch über die CEOs finden kann, an. Falls ich Fragen habe, stelle ich die meinem Kontakt — da ich mittlerweile ein paar Jahre in der Nachhaltigkeitsbranche unterwegs bin, falle ich nicht mehr so leicht auf Greenwashing herein. Sind Aussagen zu schwammig oder werden gar Informationen verweigert, ist das unter anderem ein Indiz für mich, dass Unternehmen und Produkt nicht so grün oder fair sind, wie sie vorgeben wollen zu sein. Produkte teste ich selbst natürlich im Vorfeld, sollten sie mir nicht schon bekannt sein.

Die Verantwortung der Influencer

Die Beziehung von Influencen und Followern ist komplex. Abonnent:innen wissen oft genau, welche Inhalte auf sozialen Netzwerken durch bezahlte Kooperationen finanziert wurden und welche nicht. Durch die Verbindung mit der Persönlichkeit der Influencer kann es trotzdem schwerfallen, die Meinung kritisch zu hinterfragen und einzuordnen. Das ist gleichzeitig eine große Schwäche und Stärke des Influencer Marketings. Denn wenn Influencer wirklich authentisch und ehrlich sind, können sie ihren Followern viele Enttäuschungen ersparen – oder diese erst herbeiführen. Influencern kommt hier also eine gigantische Verantwortung zu. Ist das wirklich fair?

Wie so häufig hat sich auch bei sozialen Netzwerken die Technologie schneller entwickelt, als die Gesellschaft hinterherkommen kann. Besonders junge Menschen wachsen heute mit sozialen Netzwerken auf, können aber durch ältere Generationen nur unzureichend im Umgang damit geschult werden, denn diese kennen sich in der Regel viel schlechter damit aus. Dabei ist Medienkompetenz eine sehr relevante Fähigkeit, die den Konsument:innen dabei hilft, Werbebotschaften kritisch zu hinterfragen.

Dass einige Influencer von ihrer Präsenz in der Öffentlichkeit leben, ist allgemein bekannt. Aber kaum eine öffentliche Person kann sich wirklich ehrlich und öffentlich äußern, ohne negative Konsequenzen zu befürchten. Davon zeugen zahlreiche Promiskandale, aber auch Social Media Shitstorms, die viele Influencer schon am eigenen Leib erfahren haben. Creator fahren meist besser damit, wenn sie zumindest einen Teil ihrer Meinung für sich behalten und nur in ihrem Privatleben teilen. Und Konsument:innen müssen sich selbst bewusst machen, dass ehrliche Authentizität in der Öffentlichkeit nur schwer zu erlangen ist.

Und jetzt?

Heißt das jetzt, dass Marken, Creator und Follower sich einfach damit abfinden müssen, dass Influencer Marketing gar nicht authentisch sein kann? Natürlich darf und muss auf Instagram, TikTok und Co. nicht jede Werbebotschaft völlig ungefiltert in den Äther geschickt werden. Aber alle Beteiligten wären gut beraten, genau zu überlegen, welchen Personen sie folgen und mit welchen man kooperiert. Influencer sollten alle Produkte zumindest testen und nicht nur die Produktbeschreibung ablesen, bevor sie ein Produkt empfehlen. Marken hingegen können viel genauer schauen, mit wem sie eine Kooperation eingehen. Im Idealfall sind das Personen, die selbst schon Kund:innen sind und im Vorfeld bereits vom Produkt oder von der Dienstleistung begeistert waren. Das erfordert aber ein gewisses Maß an Flexibilität in der Creator-Suche. Denn authentische Kund:innen sind nicht immer die großen Influencer. Mikro- und Nano-Influencer passen vielleicht auf den ersten Blick nicht perfekt zur Marke – durch eine ehrliche Kaufempfehlung und eine passende Community können sie dies aber mehr als wettmachen. 

Auch wenn die Inhalte auf Social Media umsonst sind, sind sie trotzdem nicht kostenlos. Influencer haben eigene Kosten und müssen manchmal Angestellte oder Equipment bezahlen. Konsument:innen müssen sich daher klarmachen, dass viele Inhalte, die sie auf sozialen Netzwerken sehen, in irgendeiner Form durch Werbung finanziert werden. Wichtig ist, dass nicht alle Inhalte unhinterfragt akzeptiert und geglaubt werden.  Dass sie dafür sensibilisiert sind, ist dabei auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Insbesondere Kinder und Jugendliche sollten bereits in der Schule befähigt werden, eigene Meinungen und Perspektiven unabhängig von der Beeinflussung von sozialen Netzwerken und Influencern zu treffen. Wenn diese wichtigen Schritte unternommen werden, kann man sich auch guten Gewissens an kreativen und bereichernden Influencern erfreuen. 

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