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Zwischen Pflichtgefühl und Selbstschädigung: Die unterschätzten Folgen von Präsentismus

Zwischen Pflichtgefühl und Selbstschädigung: Die unterschätzten Folgen von Präsentismus

Marié Detlefsen | 11.11.25

Viele Arbeitnehmer:innen schleppen sich krank ins Büro – aus Pflichtgefühl, Angst oder Gewohnheit. Doch wer das regelmäßig tut, riskiert langfristige Erschöpfung, schwächt sein Immunsystem und gefährdet auch Kolleg:innen.

Husten, Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme – und trotzdem ins Büro? Für viele Arbeitnehmer:innen ist das keine Ausnahme, sondern Routine. Doch was als Pflichtgefühl oder Kollegialität beginnt, kann langfristig in Erschöpfung, Überlastung und sogar Krankheit münden. Eine aktuelle Studie der Technischen Universität Chemnitz, der Universität Groningen und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zeigt eindrücklich, wie sehr kranker Präsentismus Körper und Psyche belasten kann.

Was ist Präsentismus?

Der Begriff Präsentismus beschreibt das Verhalten, krank zur Arbeit zu gehen, statt sich auszukurieren. Im Gegensatz zum Absentismus, also dem Fehlen am Arbeitsplatz, sind Betroffene körperlich anwesend, aber oft nur eingeschränkt leistungsfähig. Gründe für die ständige Anwesenheit gibt es viele: Druck durch Deadlines, Angst vor negativen Reaktionen im Team, ein übergroßes Verantwortungsgefühl oder schlicht das Gefühl, unersetzbar zu sein. Doch genau diese Haltung kann sich rächen. Denn wer seinem Körper keine Erholung gönnt, überfordert ihn, und das hat teils langfristige Konsequenzen.

In der genannten Studie begleiteten Forschende 123 Berufstätige über einen Zeitraum von 16 Wochen. Die Teilnehmenden führten Tagebuch darüber, ob sie krank zur Arbeit gingen und wie müde oder erschöpft sie sich fühlten. Das Ergebnis: In den Wochen, in denen Beschäftigte trotz Krankheit arbeiteten, stieg ihr Erschöpfungslevel deutlich an und blieb auch danach überdurchschnittlich hoch.

Mit anderen Worten: Wer sich krank zur Arbeit schleppt, braucht wesentlich länger, um sich wieder vollständig zu erholen. Die Müdigkeit und Leistungsabnahme verschwinden nicht einfach nach ein paar Tagen, sondern können sich über Wochen hinweg halten.


Millionen Arbeitnehmer:innen von Schlafstörungen betroffen –

darf man sich dafür krankmelden?

Millionen Arbeitnehmer:innen von Schlafstörungen betroffen – darf man sich dafür krankmelden?
© cottonbro studio – Pexels


Krank arbeiten? Keine gute Idee!

Besonders problematisch: Präsentismus kann sich zu einer gefährlichen Routine entwickeln. Laut der Studie berichteten rund zwei Drittel der Teilnehmenden, mindestens einmal im Beobachtungszeitraum krank gearbeitet zu haben, einige sogar mehrfach. Und je häufiger dies geschah, desto stärker waren Anzeichen chronischer Erschöpfung und Müdigkeit.

Forschende sprechen hier von einer Spirale aus Überforderung und Erschöpfung. Wer sich krank an den Arbeitsplatz schleppt, fühlt sich danach noch erschöpfter, kann sich schlechter erholen und läuft Gefahr, beim nächsten kleinen Infekt wieder nicht zu pausieren. So entsteht ein Kreislauf, der langfristig die Gesundheit gefährdet. Interessant dabei ist, dass die erhöhte Erschöpfung laut Analyse nicht allein durch die Krankheit selbst erklärt werden kann. Es ist auch das Verhalten, krank weiterzuarbeiten, das die Müdigkeit verstärkt – nicht die Krankheit allein. Selbst eine leichte Erkältung kann schwerwiegende Folgen haben, wenn sie ignoriert wird und der Körper keine Chance auf Genesung bekommt.

Krank im Büro hat auch Auswirkungen auf das Umfeld

Des Weiteren beeinflusst Präsentismus nicht nur die Betroffenen selbst. Wer krank zur Arbeit kommt, riskiert auch, Kolleg:innen anzustecken, insbesondere in offenen Büros oder Teams mit engem Kontakt. Zudem sinkt die Produktivität: Eine angeschlagene Person arbeitet oft langsamer, macht mehr Fehler und kann ihre Aufgaben nur eingeschränkt erfüllen. Für Unternehmen bedeutet das: Statt von engagierten Mitarbeiter:innen zu profitieren, entsteht im schlimmsten Fall ein Dominoeffekt aus Ansteckungen, sinkender Motivation und erhöhter Krankheitsquote.

Präsentismus wird häufig mit Fleiß und Loyalität verwechselt, dabei ist es in Wahrheit ein Warnsignal. Wer krank ist, sollte sich Ruhe gönnen, um langfristig leistungsfähig zu bleiben. Eine kurze Auszeit kann verhindern, dass kleine Beschwerden zu größeren Problemen heranwachsen. Sich krankmelden ist außerdem kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge und Verantwortung gegenüber Kolleg:innen.


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