Human Resources
Unsichtbares Wissen: Warum KI am Erfahrungsschatz vieler Mitarbeiter:innen scheitert

Unsichtbares Wissen: Warum KI am Erfahrungsschatz vieler Mitarbeiter:innen scheitert

Marié Detlefsen | 24.10.25

Zwei von drei Beschäftigten in Deutschland verlassen sich im Arbeitsalltag auf Wissen, das nirgendwo dokumentiert ist, und bleiben damit für KI unsichtbar. Erfahre, warum das zum Problem für Unternehmen werden kann und weshalb gerade dieser Umstand auch eine Chance birgt.

Künstliche Intelligenz soll den Arbeitsalltag erleichtern, Prozesse beschleunigen und Wissen im Unternehmen nutzbar machen. Doch was passiert, wenn ein großer Teil dieses Wissens überhaupt nicht greifbar ist, weder für neue Kolleg:innen noch für Maschinen? Der aktuelle AI Readiness Report von Lucid Software zeigt genau dieses Dilemma: Der wertvollste Schatz vieler Unternehmen liegt in den Köpfen ihrer Mitarbeiter:innen und bleibt dort.

Erfahrungswissen steckt in Köpfen, nicht in Dokumenten

Laut dem Report verlassen sich zwei von drei Beschäftigten (66 Prozent) in Deutschland regelmäßig auf Wissen, das nirgendwo schriftlich festgehalten ist. Gemeint sind Routinen, kleine Kniffe und bewährte Vorgehensweisen, die sich über Jahre eingeschliffen haben, das sogenannte implizite Erfahrungswissen. Dieses Wissen wird häufig nur beiläufig geteilt: im kurzen Gespräch an der Kaffeemaschine, in der spontanen Hilfestellung am Schreibtisch oder im ungeschriebenen Verständnis, wie „man hier Dinge erledigt“. Für neue Teammitglieder oder KI-basierte Tools bleibt dieses Wissen dagegen unsichtbar.

Gleichzeitig nutzen bereits 68 Prozent der befragten Arbeitnehmer:innen in Deutschland KI-gestützte Tools, fast jede:r Zweite (49 Prozent) sogar täglich. Doch diese Systeme stoßen schnell an Grenzen, wenn die Datenbasis lückenhaft ist. Die KI kann nur so klug sein wie das, was ihr zur Verfügung steht, und das ist in vielen Fällen nicht vollständig oder lückenhaft.

Kund:innenservice, HR und Vertrieb besonders stark auf Erfahrungswissen angewiesen

Wie sehr Mitarbeitende auf ihr Erfahrungswissen angewiesen sind, hängt stark von ihrer Rolle ab. Besonders hoch ist die Abhängigkeit laut Studie in Bereichen, die stark von menschlicher Interaktion und situativem Handeln geprägt sind, etwa im Kund:innenservice (35 Prozent), im operativen Geschäft (35 Prozent), in der Personalabteilung (34 Prozent) und im Vertrieb (34 Prozent).

Kund:innenservice, HR und Vertrieb sind besonders stark auf Erfahrungswissen angewiesen (die Grafik wurde anhand des AI Readiness Reports mithilfe von ChatGPT erstellt)
Kund:innenservice, HR und Vertrieb sind besonders stark auf Erfahrungswissen angewiesen (die Grafik wurde anhand des AI Readiness Reports mithilfe von ChatGPT erstellt)

Fast zwei Drittel (63 Prozent) der Befragten geben an, dass mindestens die Hälfte ihrer Arbeitsabläufe auf solchem informellen Wissen basiert. Das bedeutet: Wenn eine Person das Unternehmen verlässt oder krankheitsbedingt ausfällt, geht ein Teil dieses Wissens verloren. Diese Abhängigkeit hat konkrete Folgen. 69 Prozent der Befragten sagen, dass nicht dokumentierte Prozesse ihre Produktivität zumindest zeitweise beeinträchtigen. Ein Problem, das sich quer durch Branchen und Hierarchien zieht.

Lückenhafte Dokumentation als KI-Bremse

Selbst dort, wo Wissen bereits dokumentiert wird, zeigt sich ein weiteres Hindernis: Rund ein Drittel der Befragten empfindet die vorhandene Dokumentation als lückenhaft (31 Prozent), schwer nutzbar (30 Prozent) oder nicht umfassend genug (29 Prozent). Wenn aber schon Menschen Schwierigkeiten haben, die internen Wissenssammlungen zu verstehen oder anzuwenden, ist für KI-Systeme erst recht Schluss. Denn sie sind auf strukturierte und zugängliche Daten angewiesen. Nicht umsonst nennen 33 Prozent der Befragten die Datenqualität und weitere 17 Prozent die Dokumentation selbst als zentrale Baustellen, die Unternehmen schließen müssen, um KI sinnvoll einsetzen zu können.

Rund ein Drittel der Befragten empfindet die vorhandene Dokumentation als lückenhaft, © Lucid Software
Rund ein Drittel der Befragten empfindet die vorhandene Dokumentation als lückenhaft, © Lucid Software

Erfahrungswissen von Mitarbeiter:innen bleibt unersetzlich

So wichtig die Dokumentation für den Einsatz von KI ist, gibt es auch gute Gründe, warum nicht alles maschinenlesbar sein muss. Denn manche Tätigkeiten leben gerade von menschlicher Intuition, Erfahrung und Flexibilität. Nicht jede Entscheidung lässt sich in Zahlen oder Textbausteine fassen. Gerade in komplexen oder emotionalen Situationen, etwa in der Mitarbeiter:innenführung, im Kund:innengespräch oder in kreativen Prozessen, sind es die zwischenmenschlichen Nuancen, die zählen. Hier kann KI unterstützen, aber nicht ersetzen.


Wenn KI-Know-how nur eingebildet ist und Unternehmen leiden

Wenn KI-Know-how nur eingebildet ist und Unternehmen leiden.
© Yan Krukau – Pexels


Zudem schafft die Tatsache, dass nicht alles vollständig dokumentiert oder automatisiert ist, auch Spielräume: für spontane Lösungen, für individuelle Handschrift im Arbeitsprozess, für menschliche Unvollkommenheit. Diese Freiräume halten Organisationen lebendig und verhindern, dass Arbeit zu einer rein datengetriebenen Routine verflacht. Könnte KI sämtliche Aufgaben übernehmen, wäre der Arbeitsmarkt nicht nur steril und klar durchstrukturiert, sondern vor allem überlaufen von Jobsuchenden, die ihre Arbeit an eine künstliche Intelligenz verloren haben.

Kombination aus Erfahrungswissen und KI-Kompetenzen

Die Studie von Lucid Software macht somit deutlich: Der größte Wissensspeicher vieler Unternehmen ist nicht digital, sondern menschlich. Damit KI ihr volles Potenzial entfalten kann, braucht sie Zugang zu diesen Erfahrungswerten, ohne sie zu ersetzen. Unternehmen, die beides kombinieren, also das Wissen der Menschen strukturieren und gleichzeitig die Menschlichkeit bewahren, werden langfristig am erfolgreichsten sein. Dieser Ansicht ist zumindest Dan Lawyer, Chief Product Officer bei Lucid Software:

Erfahrungswissen prägt die tägliche Arbeit vieler Beschäftigter. Ohne Dokumentation und Struktur fällt es Teams jedoch schwer, sich abzustimmen und Prozesse weiterzuentwickeln. Mit der richtigen Strategie kann KI helfen, den unsichtbaren Erfahrungsschatz sichtbar und nutzbar zu machen. Dafür sollten Unternehmen kritisches Know-how dokumentieren und wiederkehrende Prozesse implementieren. Werden Abläufe gestrafft und wiederholbar gemacht, unterstützt KI die Zusammenarbeit und beschleunigt Ergebnisse im gesamten Unternehmen.


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