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Human Resources
„Equal Care für alle“ – Interview über Chancengleichheit bei der Elternzeit

„Equal Care für alle“ – Interview über Chancengleichheit bei der Elternzeit

Marié Detlefsen | 21.05.24

Im Interview mit OnlineMarketing.de erklärt Tabea Fesser, wie Unternehmen geschlechtsneutrale, bezahlte Elternzeit für alle Mitarbeitenden umsetzen können und wie das Konzept zur Mitarbeiter:innenbindung sowie Chancengleichheit beiträgt.

Auch in diesem Jahr sind die Geschlechterunterschiede beim Gehalt enorm, wie die Kampagne des Equal Pay Day 2024 verdeutlichte. Laut Auswertungen des Statistischen Bundesamtes lag die unbereinigte Gender Pay Gap 2023 bei 18 Prozent – und damit ist sie unverändert zu 2022. Dennoch gibt es nicht nur starke Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Diskrepanzen auf dem Arbeitsmarkt erreichen vor allem ihren Höhepunkt, wenn Kinder ins Spiel kommen. Frauen leisten nämlich deutlich mehr Care-Arbeit als Männer, während diese zudem oft weniger Elternzeit nehmen.

Zur Care-Arbeit zählen nicht nur die Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen, sondern auch Aufgaben im Haushalt wie Kochen und Putzen, Einkäufe und ehrenamtliches Engagement. Jene Aufgaben werden nach wie vor deutlich häufiger von Frauen erledigt als von Männern. Konkret haben Frauen in Deutschland im Jahr 2022 wöchentlich rund neun Stunden mehr unbezahlte Care-Arbeit geleistet als Männer. Daraus ergibt sich eine Gender Care Gap von 43,8 Prozent. Frauen verbrachten ganze 30 Stunden pro Woche mit unbezahlter Arbeit, bei den Männern waren es 21 Stunden. Dabei fällt die unbezahlte Sorgearbeit sehr stark in die Gewichtung.

Sorgearbeit wirkt sich auf Gender Gap aus

Laut einer Glassdoor-Studie von 2023 sind fast vier von zehn der sorgearbeitenden Frauen in Deutschland hauptverantwortlich für diesen Aufgabenbereich, auch wenn sie ihn sich mit einer anderen Person teilen. 68 Prozent der Befragten glauben zudem, dass eine fairere Aufteilung der Sorgearbeitsverpflichtungen dabei helfen würde, die Gender Pay Gap zu schließen. Hierbei können auch Arbeitgeber:innen einiges tun, um Sorgearbeitsleistende zu unterstützen.

Einen möglichen Ansatz, um dieser Herausforderung entgegen zu treten, hat uns Tabea Fesser in einem Interview vorgestellt. Tabea Fesser arbeitet als Chief People Officer bei Ketchum und begleitet dabei die Transformation im Bereich People and Culture. Als zertifizierte Agile HR Managerin entwickelt sie dabei Strategien und Konzepte für die Mitarbeitenden.

Nicht alle Arbeitnehmer:innen haben bezahlte Elternzeit

Eine Ursache für die unfaire Verteilung der Care-Arbeit liegt in den derzeitigen Regelungen für Elternzeit. Bisher gilt der Vaterschaftsurlaub als unbezahlter Urlaub im Rahmen der Elternzeit, während der Mutterschaftsurlaub vergütet wird. Daher nehmen sich angehende Väter oft weniger Zeit nach der Geburt des Kindes, da das familiäre Einkommen darunter leiden könnte. Aus diesem Grund ist die Einführung des bezahlten Vaterschaftsurlaubs auch im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart und soll im Laufe der Legislaturperiode kommen. Wie das Ganze aussehen und umgesetzt werden soll, steht allerdings noch nicht fest. Bisher wird dieser Aspekt laut dem Familienportal der Bundesregierung von den Regelungen zur Elternzeit und zum Elterngeld abgedeckt.

Elternzeit ist eine unbezahlte Auszeit vom Berufsleben für Mütter und Väter, die ihr Kind selbst betreuen und erziehen. Als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer können Sie Elternzeit von Ihrem Arbeitgeber verlangen. Während der Elternzeit muss Ihr Arbeitgeber Sie pro Kind bis zu 3 Jahre von der Arbeit freistellen. In dieser Zeit müssen Sie nicht arbeiten und erhalten keinen Lohn. Zum Ausgleich können Sie zum Beispiel Elterngeld beantragen. Der in anderen Ländern existierende Vaterschaftsurlaub wird in Deutschland von den Regelungen zur Elternzeit und zum Elterngeld abgedeckt.

Ihre Elternzeit können Sie vor dem 3. Geburtstag Ihres Kindes nehmen. Einen Teil davon können Sie auch im Zeitraum zwischen dem 3. und dem 8. Geburtstag nehmen. Das bedeutet: Sie können Ihre Elternzeit dann nehmen, wenn Sie und Ihr Kind sie wirklich brauchen.

Während der Elternzeit sind Sie auf besondere Weise vor Kündigungen geschützt. Nach der Elternzeit können Sie in den meisten Fällen auf Ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren.

Die Kommunikationsagentur Ketchum hat als eine der ersten Agenturen in Deutschland die geschlechtsneutrale, bezahlte Elternzeit für alle Mitarbeitenden, die ein Neugeborenes betreuen, eingeführt. Auf diese Weise soll eine faire Sorgearbeit für alle Mitarbeitenden erreicht werden. Wie genau das Konzept im Unternehmen umgesetzt wurde und welche Vorteile, aber auch Herausforderungen das Konzept mit sich bringt, berichtet Tabea Fesser in unserem Interview.

Das Interview

OnlineMarketing.de: Was waren die Motivation und Inspiration hinter der Entscheidung von Ketchum Deutschland, geschlechtsneutrale, bezahlte Elternzeit für alle Mitarbeitenden einzuführen? Wie kam es dazu, diese modernen Ansätze zu Equal Care umzusetzen?

Tabea Fesser: Unsere Entscheidung, eine voll bezahlte Elternzeit unabhängig von Geschlecht und Familienkonstellationen anzubieten, gründet sich auf der Überzeugung, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf essenziell ist – ohne Wenn und Aber. Diese Maßnahme schafft eine Win-Win-Situation für beide Seiten: das Unternehmen und unsere Mitarbeiter:innen.

Indem wir unseren Mitarbeiter:innen die Möglichkeit bieten, sich in den ersten Wochen nach Geburt oder Adoption ohne finanzielle Belastungen auf ihre Familie zu konzentrieren, steigern wir nicht nur deren Zufriedenheit, sondern stärken natürlich auch ihre langfristige Verbundenheit mit unserem Unternehmen. Investitionen in die eigenen Mitarbeiter:innen sichern aus unserer Sicht den langfristigen Erfolg eines Unternehmens und stärken die Arbeitgeber:innenmarke. Nicht zuletzt ist Equal Care für mich auch ein persönliches Anliegen: Ich lebe selbst in einer nicht-traditionellen Familienkonstellation und weiß um die Herausforderungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wie setzen sich die neuen Equal-Care-Maßnahmen von Ketchum Deutschland zusammen und wie wird dadurch eine inklusive Arbeitskultur ermöglicht?

Wir sind der Ansicht, dass es entscheidend ist, wirklich allen werdenden Eltern die Fürsorge für ihre Neugeborenen zu ermöglichen und wollen das als Arbeitgeber unterstützen. Deshalb haben wir beschlossen – als erste Agentur in Deutschland – eine voll bezahlte Elternzeit für alle anzubieten. Und es geht weit darüber hinaus. Freiräume für persönliche Zeit oder gemeinsame Momente sind essenziell, um durchzuatmen und um Energie zu tanken. Dabei hilft etwa unser Kooperationspartner HeyNanny, ein:e Dienstleister:in für Kinderbetreuung mit über 20.000 geprüften Betreuer:innen. Unsere Unterstützung erstreckt sich dabei über alle Lebensbereiche. Von Jobrädern für den Arbeitsweg, über professionelle Coaching-Möglichkeiten bis hin zu subventionierten Mitgliedschaften bei Urban Sports Club: Wir engagieren uns aktiv für das Wohlbefinden unseres Teams und orientieren uns dabei eng an deren Feedback.

Inwiefern glaubst du, dass Unternehmen eine Vorreiterrolle bei der Einführung von fortschrittlichen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielen sollten, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen?

Leider sehen noch nicht alle Unternehmen einen eigenen Handlungsbedarf für eine voll bezahlte Elternzeit. Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hält die gesetzlichen Regelungen derzeit noch für ausreichend, eine zusätzliche finanzielle Belastung der Arbeitgeber:innen ist ihrer Meinung nach nicht vertretbar. Diese Haltung stimmt nachdenklich, steht sie doch in deutlichem Widerspruch zu den dynamischen Veränderungen in der modernen Arbeitswelt. In einer Zeit, in der die Förderung von Chancengleichheit und -gerechtigkeit stetig an Bedeutung gewinnt, ist es entscheidend, dass Unternehmen die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter:innen antizipieren, ernst nehmen und entsprechend handeln. Unternehmen haben einen direkt Einfluss darauf, wie Menschen arbeiten und können die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter:innen sowie der Gesellschaft gestalten, indem sie als Vorreiter:innen agieren.


Familie und Job unter einen Hut bekommen

– Hälfte aller Eltern fühlt sich von Arbeitgeber:innen allein gelassen

Familie und Job unter einen Hut bekommen. Arbeitnehmer:innen fühlen sich bei Elternzeit alleine gelassen.
© Alexander Dummer – Unsplash


Welche Vor- und Nachteile bringen die neuen Equal-Care-Maßnahmen mit sich?

Wer neue Wege geht, stößt selbstverständlich auch auf Herausforderungen. Um eine neue HR-Strategie aufzusetzen und ein Unternehmen in eine neue Richtung zu lenken, bedarf es nicht nur Zeit und Geduld, sondern auch Mitarbeiter:innen, die sich dem Thema widmen und es dem Team vorleben. Wer also eine ähnliche Strategie aufsetzten möchte, braucht entweder Mitarbeiter:innen oder eine Agentur, die dabei unterstützen; denn solche Programme entwickeln wir nicht nur für uns, sondern bieten sie auch unseren Kund:innen an. In der Umsetzung dieser Maßnahmen sind auch wir auf organisatorische Herausforderungen gestoßen. Es war notwendig, Arbeitsprozesse anzupassen und sicherzustellen, dass diese Änderungen innerhalb des Unternehmens ausreichend kommuniziert und wahrgenommen werden.

Welche Tipps würdest du anderen Unternehmen geben, die darüber nachdenken, ihre inklusive Arbeitskultur auszuweiten, basierend auf deinen Erfahrungen?

Regelmäßige direkte Gespräche und Umfragen unter den Mitarbeitenden sind entscheidend, um zu verstehen, was das Team bewegt und welche Unterstützung es benötigt. Wir haben festgestellt, dass unsere Mitarbeiter:innen großen Wert auf Purpose, Vielfalt, Chancengleichheit und Individualität legen. Sie erwarten, dass diese Werte nicht nur schriftlich fixiert, sondern täglich in der Praxis gelebt werden. Themen wie Diversity, Equity und Inclusion erfordern eine kontinuierliche Auseinandersetzung und können nicht einfach durch sporadische Aktionen abgedeckt werden. In der heutigen Zeit ist es für Unternehmen unerlässlich, in einen echten Dialog zu treten, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu hören und darauf basierend Maßnahmen zu ergreifen. Studien zeigen auch, dass ein positives und unterstützendes Arbeitsumfeld die Mitarbeiter:innenbindung erhöht und die Fluktuationsrate senkt. Das Konzept führt zu geringeren Kosten für die Rekrutierung sowie die Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen und ermöglichen eine kontinuierliche Leistungssteigerung durch ein erfahrenes und engagiertes Team

Welche konkreten Schritte sollten Unternehmen gehen, um sicherzustellen, dass der Wiedereinstieg von Mitarbeitenden nach der Elternzeit reibungslos und erfolgreich verläuft?

Als Unternehmen können wir den Mitarbeitenden den Wiedereinstieg nach der Elternzeit erleichtern, indem wir frühzeitig planen und die Mitarbeitenden während der Elternzeit weiterhin einbeziehen. Vor Beginn der Elternzeit besprechen wir mit den Mitarbeitenden den Wiedereinstiegsplan und halten diesen schriftlich fest. Während der Elternzeit stehen wir in regelmäßigem Kontakt, um die Mitarbeitenden auf dem Laufenden zu halten und das Zugehörigkeitsgefühl zum Team zu erhalten. Mithilfe flexibler Arbeitszeitmodelle wie Mobile Working, Workation und Sabbaticals unterstützen wir die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und erleichtern so den Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Unsere Mitarbeiter:innen erhalten zusätzliche Unterstützung durch unsere Partnerunternehmen Voiio und HeyNanny, die unter anderem bezuschusste Kinderbetreuung und kostenfreie Nachhilfe anbieten. Unsere professionelle therapeutische Unterstützung und Coaching-Angebote sind für alle Mitarbeiter:innen der Agentur kostenlos zugänglich und bieten Hilfe in schwierigen Lebenssituationen. 

In einer Zeit, in der das Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen als Schlüssel zum Unternehmenserfolg gilt, ist es essenziell, dass wir als Arbeitgeber:in proaktiv agieren. Unsere Maßnahmen zur Förderung der Work-Life-Balance erhöhen nicht nur die Zufriedenheit und Produktivität unserer Teams, sondern setzen auch positive Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung. Dadurch stärken wir unsere Arbeitgeber:innenmarke und setzen uns erfolgreich gegenüber Wettbewerber:innen auf dem Arbeitsmarkt durch – ein Ansatz, der maßgeblich zu einem langfristigen Erfolg beiträgt.


Wir bedanken uns recht herzlich für das schriftliche Interview mit Tabea Fesser sowie für die spannenden Insights aus ihrer Perspektive.


Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten steigt:

Wunsch nach weniger Stunden wird größer

Wunsch nach weniger Arbeitsstunden steigt.
© Israel Andrade – Unsplash

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