Büroalltag
Warum Angestellte ChatGPT oft mehr vertrauen als ihren Vorgesetzten

Warum Angestellte ChatGPT oft mehr vertrauen als ihren Vorgesetzten

Marié Detlefsen | 14.10.25

Immer mehr Arbeitnehmer:innen wenden sich lieber an ChatGPT als an ihre Vorgesetzten. Die Gründe reichen von Effizienz über emotionale Unterstützung bis hin zu einem massiven Vertrauensdefizit gegenüber den Chef:innen.

Stellen wir uns eine typische Büroszene vor: Ein:e Mitarbeiter:in sitzt vor dem Bildschirm, ringt mit der Formulierung einer heiklen E-Mail oder überlegt, wie ein Konfliktgespräch mit dem Vorgesetzten geführt werden könnte. Früher wäre der nächste Schritt klar gewesen – ab zum Chef oder zur Chefin, nach Rat fragen. Doch genau das passiert immer seltener. Stattdessen öffnen viele Arbeitnehmer:innen ein KI-Tool wie ChatGPT und lassen sich dort beraten.

Eine aktuelle Befragung von Resume Now von knapp 1.000 Angestellten in den USA verdeutlicht, wie stark sich dieser Trend inzwischen in Amerika durchsetzt. 97 Prozent der Beschäftigten haben bereits mindestens einmal die Künstliche Intelligenz konsultiert, anstatt ihre Führungskraft um Hilfe zu bitten. Noch bemerkenswerter: 63 Prozent greifen regelmäßig auf diese digitale Unterstützung zurück. Doch warum holen sich Arbeitnehmer:innen lieber künstlichen statt menchlichen Rat.

Wenn ChatGPT empathischer wirkt als der Mensch

Der Grund für die Rat-Beschaffung über KI-Tools statt menschlicher Kommunikation liegt nicht nur in Bequemlichkeit. So gaben 72 Prozent der Befragten an, von ChatGPT bessere Ratschläge erhalten zu haben als von ihrer Führungskraft. Fast die Hälfte (49 Prozent) empfand die KI sogar als emotional unterstützender – ein Urteil, das Führungskräfte nachdenklich stimmen dürfte.

Auch die Angst vor negativen Konsequenzen spielt eine große Rolle. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Arbeitnehmer:innen fürchtet, durch falsche Fragen bei ihren Vorgesetzten in Ungnade zu fallen. Gleichzeitig sagen 38 Prozent, dass sie nicht inkompetent wirken wollen, und 37 Prozent äußerten generelles Misstrauen gegenüber den Entscheidungen ihrer Chefs. Das zeigt: Viele empfinden KI als einen geschützten Raum, in dem sie Fragen stellen können, ohne verurteilt zu werden.

ChatGPT wird zum heimlichen Co-Manager

Längst beschränkt sich die KI-Nutzung nicht mehr auf kleine Hilfestellungen. Die Studie zeigt, dass 93 Prozent der Arbeitnehmer:innen das Tool einsetzen, um Gespräche mit ihren Vorgesetzten vorzubereiten. Mehr als die Hälfte (61 Prozent) hat sogar Nachrichten an ihre Chef:innen verschickt, die direkt von der KI formuliert wurden. Darüber hinaus wird ChatGPT immer mehr zum Allround-Werkzeug am Arbeitsplatz:

  • 57 Prozent nutzen es für das Schreiben und Überarbeiten von E-Mails oder Berichten.
  • 53 Prozent setzen es für kreative Ideenfindung ein.
  • 52 Prozent vertrauen auf die Unterstützung beim Programmieren oder Debuggen.
  • 40 Prozent greifen für Recherchen oder Zusammenfassungen darauf zurück.

Damit ist die KI längst mehr als ein Hilfsmittel – sie übernimmt Aufgaben, die traditionell zum Verantwortungsbereich von Vorgesetzten gehörten: Feedback geben, Vorschläge liefern und Orientierung schaffen.

Für diese Aufgaben nutzen Arbeitnehmer:innen ChatGPT am Arbeitsplatz (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht), © Resume Now
Für diese Aufgaben nutzen Arbeitnehmer:innen ChatGPT am Arbeitsplatz (mit einem Klick aufs Bild gelangst du zur größeren Ansicht), © Resume Now

Produktivität ohne ChatGPT? Kaum denkbar

Interessant ist, dass ChatGPT nicht nur bei sachlichen Fragen punktet, sondern auch im Bereich der emotionalen Unterstützung. Laut der Studie könnten sich 93 Prozent der Befragten vorstellen, mit einer KI über Stress oder psychische Belastungen zu sprechen. Fast die Hälfte (49 Prozent) hat diesen Austausch bereits als hilfreicher empfunden als das Gespräch mit der eigenen Führungskraft.

Die Ergebnisse lassen außerdem erkennen, wie abhängig viele Beschäftigte inzwischen von der Technologie sind. 77 Prozent sind überzeugt, dass ihre Produktivität deutlich sinken würde, wenn ChatGPT nicht mehr verfügbar wäre. Für 44 Prozent wäre das laut eigenen Angaben sogar „ernsthaft schädlich“. Und die Wirkung der KI-Nutzung ist messbar: 56 Prozent berichten, dass sie ihre Leistung durch KI-Einsatz mindestens verdoppeln können. Nur zwei Prozent der Befragten gaben an, keinerlei Mehrwert in der Nutzung zu sehen.

Führungskräfte müssen Vertrauen zurückgewinnen

Die Studie macht klar: Arbeitnehmer:innen wenden sich nicht aus Abneigung gegen ihre Chefs der KI zu, sondern weil diese als zugänglicher, sicherer und effizienter wahrgenommen wird. Das ist weniger ein Wettstreit Mensch gegen Maschine, sondern vielmehr ein Hinweis darauf, wo Führung heute an ihre Grenzen stößt. Manager sind gefordert, Vertrauen zurückzugewinnen und Räume zu schaffen, in denen Mitarbeitende offen Fragen stellen können, ohne Angst vor negativen Folgen. Dennoch muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich die Ergebnisse auf eine Umfrage aus den USA beziehen und sich nicht eins zu eins hierzulande übertragen lassen. Außerdem gibt die Studie keine Angaben dazu, wie häufig Angestellte auf KI zurückgreifen, um Rat zu erhalten. Nichtsdestotrotz zeigt sich, dass Führungskräfte und Arbeitgeber:innen für ein sicheres Arbeitsklima sorgen sollten, damit die eigene Team-Kultur nicht verloren geht.


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© Yan Krukau – Pexels


Dieser Beitrag erschien erstmals am 29. September 2025.

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