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Digitalpolitik
Digital Markets Act – so verändert die neue EU-Gesetzgebung das digitale Marketing

Digital Markets Act – so verändert die neue EU-Gesetzgebung das digitale Marketing

Ein Gastbeitrag von Jan Pilhar | 14.11.22

Mit der Einführung des Digital Marketing Acts stehen Werbetreibenden, Agenturen und ihren zahlreichen Vermittler: innen große Umwälzungen im Digital Marketing bevor. Erfahre im Beitrag, welche Veränderungen anstehen.

Digitales Marketing ist ein schnelllebiges Feld, getrieben von technologischen Innovationen und sich verändernden Kundenanforderungen. Der Wandel ist eine Konstante für Unternehmen und Agenturen. Aber nur alle paar Jahre kommt eine wirkliche Disruption, ein Wandel, dessen fundamentale Auswirkungen teilweise erst im Rückblick erkennbar werden. Die Einführung des Smartphones, das Aufkommen von sozialen Netzwerken, die Einführung der DSGVO, die angekündigte Abschaffung von Cookies – all das waren und sind disruptive Veränderungen, die über die Aufnahme eines weiteren Marketing-Kanals oder Tools hinausgehen und die digitale Marketing-Landschaft tiefgreifend beeinflussen – von Taktik und Strategie bis hin zu Wertschöpfungsketten.

Aktuell steht wieder eine große Veränderung an, die viele Marketing-Verantwortliche noch nicht ausreichend auf dem Zettel haben. Die Rede ist vom Digital Markets Act – kurz DMA –, einem ambitionierten Gesetzespaket der EU, das (gemeinsam mit dem parallel entstehenden Digital Services Act) seit 2020 auf den Weg gebracht wurde, bereits die meisten bürokratischen Hürden genommen hat und sich nun auf der Zielgeraden befindet. Es soll 2024 in der Breite greifen.

Schon jetzt gilt dieses neue Regelwerk als eines der ambitioniertesten digitalen Gesetzespakete weltweit, mit weitreichenden Folgen für alle Akteur:innen im digitalen Marketing. Auch wenn zahlreiche Details noch unklar sind und von Expert:innen- und Lobbygruppen ausgehandelt werden, steht schon jetzt fest: Werbetreibenden, Agenturen und ihren zahlreichen Vermittler: innen im komplexen modernen Marketing-Ökosystem stehen Umbrüche bevor, die neues Denken und Handeln erfordern.

Die Macht von Big Tech begrenzen

Der DMA ist eine Reaktion auf die immer weiter zunehmende Marktmacht großer digitaler Plattformen wie Facebook, Google, Amazon und anderen. Erklärtes Ziel der neuen EU-Regelung: Die Macht dieser großen digitalen Plattformen zu begrenzen und auch kleineren Playern eine Chance geben, sich gegen diese zu behaupten. Dabei formulierte das EU-Parlament den eigenen Anspruch an den DMA in der begleitenden Pressemeldung im März 2022 sehr deutlich:

Die Vereinbarung läutet weltweit eine neue Ära technischer Regulierung ein. […] Mit dem DMA wird der immer weiter zunehmenden Marktmacht von Big Tech Unternehmen ein Ende bereitet. […] Mit dem DMA setzt Europa Standards für die digitale Wirtschaft der Zukunft.

Die hier zum Ausdruck gebrachte Ambition zeigt, es geht um Weitreichendes. Um nicht weniger als den Aspekt, die Megaunternehmen im Tech-Bereich endlich in ihre Schranken zu weisen.

Adressat:innen des DMA sind große Digitalplattformen wie soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Videoplattformen, Werbenetzwerke, Kommunikations- und Messenger-Dienste, Cloud-Computing-Anbieter:innen und weitere Plattformmodelle. Sobald sie eine kritische Größe erreichen, also im Rahmen des DMA beispielweise eine Marktkapitalisierung von 7,5 Milliarden Euro, 45 Millionen aktive monatliche Nutzer: innen und Geschäftsaktivitäten in mindesten drei europäischen Ländern aufweisen, werden sie als so genannte „Gatekeeper“ qualifiziert und unterliegen den neuen Regelungen. Dabei werden einzelne Plattformen auch jeweils einzeln betrachtet. So werden im Falle von Amazon beispielsweise Marketplace, AWS, Amazon Advertising, Prime, Echo und weitere Angebote, wenn sie groß genug sind, jeweils einzeln als Gatekeeper-Plattformen eingestuft.

Um die Macht dieser Gatekeeper-Plattformen künftig zu begrenzen und ein „faires Spielfeld“ zu schaffen, verfolgt die EU einen anderen Ansatz als beispielsweise die USA, wo seit geraumer Zeit ebenfalls Möglichkeiten für die Regulierung von Big Tech diskutiert werden. Während man in den USA eher über eine Entflechtung großer Plattformen nachdenkt, also beispielsweise die Zerschlagung von Meta in die drei eigenständigen Plattformen Facebook, Instagram und WhatsApp, setzt die EU auf das Prinzip der Öffnung. Mit dem DMA werden die großen Plattformen nun gezwungen, anderen Marktteilnehmer: innen Zugang zu Daten, Kund:innen und Diensten zu gewähren und so für einen größeren und faireren Wettbewerb zu sorgen.

Damit das Ganze auch Wirkung zeigt, setzt die EU auf potenziell drakonische Strafen. Diese reichen von Strafzahlungen, die bis zu zehn Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes ausmachen über „strukturelle Separation“, also die erzwungene Entflechtung von Plattformen bis hin zu einer Zugangsbeschränkung zum europäischen Markt, der einem Entzug der Geschäftserlaubnis gleichkommt.

Zugang zu Kund:innen und Daten und weniger Selbstreferenzialität

Auch wenn sich der DMA zunächst auf die Geschäfte der großen Plattformbetreiber:innen wie Meta, Amazon, Google (Alphabet) und Apple bezieht, reicht seine Wirkung weit darüber hinaus und wird in den kommenden Jahren digitales Marketing auf mehreren Ebenen verändern. Um diesen Wandel zu verstehen, muss man einen Blick auf einige Kernregelungen des neuen Gesetzespakets werfen.

So macht der DMA künftig weitreichende Vorgaben, wie Gatekeeper-Plattformen Daten nutzen dürfen und anderen Marktteilnehmer:innen und Nutzer:innen Zugang zu diesen ermöglichen müssen. Es wird Gatekeepern künftig nicht mehr erlaubt sein, Daten zu Nutzer:innenverhalten und -präferenzen über verschiedene Plattformen hinweg zu aggregieren. Das bedeutet konkret, dass zum Beispiel Google künftig ohne explizite Zustimmung der Nutzer:innen deren Daten aus Google Search, Google Maps, YouTube und dem Google Assistant nicht mehr in ganzheitlichen Nutzer:innenprofilen zusammenführen darf. Gerade aus der Kombination dieser Daten ergab sich aber bislang einer der bedeutendsten Wettbewerbsvorteile der großen Plattformen im Werbemarkt, denn nur sie konnten präzises Targeting auf Basis solch umfassender Profile bieten.

Ebenso müssen künftig gesammelte Daten mit Werbekund:innen geteilt werden. Auch dies verändert die aktuelle Praxis der großen Plattformen fundamental, Partner:innenunternehmen zwar Einblick in Daten zu gewähren – meist in so genannten Data Clean Rooms – diese aber nicht herauszugeben. So bekommen werbetreibende Unternehmen künftig Zugriff auf Daten, die vorher für sie so nicht verfügbar waren.

Weiterer Kernbestandteil des DMA sind Regeln, die dazu beitragen sollen, die „Selbstreferenzialität“, also die Bevorzugung von eigenen Angeboten und Diensten durch die Gatekeeper zu begrenzen. Hier geht es um Praktiken wie die bessere Platzierung eigener Angebote, zum Beispiel in Suchergebnissen, oder auch die Förderung eigener Dienste, etwa durch vorinstallierte Services oder Apps. Ebenso ist „fairer“, also freierer Zugang zu Hardware-Funktionen zu gewährleisten. Ein Beispiel ist hier Apples NFC Chip, der aktuell zum Bezahlen nur via Apple Pay genutzt werden kann. Künftig werden hier beispielweise auch andere Unternehmen wie etwa europäische Banken Angebote anbieten können, um mit dem iPhone kontaktlos zu bezahlen. Ebenfalls explizit mandatiert wird die Möglichkeit von „Sideloading“, also etwa der Kauf und die Installierung von Apps außerhalb der App Stores der jeweiligen Device-Hersteller:innen.

Veränderung des digitalen Marketings auf verschiedenen Ebenen

Diese weitreichenden Eingriffe in den Markt und die dadurch erzwungenen Veränderungen in vielen Geschäftsmodellen und -praktiken der großen Plattformen werden digitales Marketing und digitale Service-Innovation auf mehreren Ebenen verändern. Es wird insgesamt zu einer Neujustierung der digitalen Werbelandschaft kommen, bei der durch veränderten Zugang zu Daten und Kund:innen einige Geschäftsmodelle in den fragmentierten digitalen Wertschöpfungsketten zusammenbrechen und andere neu entstehen werden. Für Unternehmen zeichnen sich aber vor allem drei Handlungsbereiche ab.

1. Neue Privacy-Herausforderungen

Mit dem Zugang zu neuen Kund:innendaten, die die Gatekeeper künftig teilen und zeitnah bereitstellen müssen, ergeben sich für Unternehmen neue Möglichkeiten, aber auch neue Herausforderungen in Bezug auf Datenhaltung und -schutz von persönlichen Informationen. Wie bereits bei der Einführung des DSGVO erfordert dies eine intensive Auseinandersetzung mit nun entstehenden Möglichkeiten und Risiken. Es gibt auch noch zahlreiche Fragen zum Zusammenspiel von DSGVO und DMA, von denen sich viele erst nach Inkrafttreten in der betrieblichen Praxis herausschälen werden. Es ist schon jetzt ratsam, dass sich die eigenen Datenschutzbeauftragten und Hausjurist:innen mit den Herausforderungen vertraut machen und gemeinsam mit den Nutzer:innen neuer Daten, also in der Regel Marketing- und Sales-Verantwortlichen, künftige Nutzungsszenarien eruieren.

2. First Party Data wird noch wichtiger

Schon seit längerem treiben sowohl der zunehmend eingeschränkte Zugang zu Nutzer:innendaten durch die restriktive Politik der großen Plattformbetreiber:innen als auch technologische Veränderungen wie das (immer wieder verschobene) Ende der Tracking Cookies bei Google Chrome Unternehmen dazu, verstärkt in die eigene Datensammlung zu investieren. Diese First-Party-Data-Aktivitäten werden durch den DMA weiter zunehmen. Denn einerseits stehen, wie beschrieben, nun mehr Daten zu Verfügung, andererseits ist den Gatekeepern eine Cross-Plattform-Anreicherung und -Analyse in vielen Fällen nicht mehr möglich. Diese Zusammenführung werden Unternehmen künftig selbst inhouse durchführen müssen. Dies ist einerseits ein echter Schub für First-Party-Strategien in Unternehmen, erfordert aber auch, die dafür notwendigen Analytics-Systeme und -Expertise aufzubauen. Vorrausschauende Unternehmen bauen deshalb bereits jetzt ihre Data Science Teams und Fähigkeiten in diese Richtung aus.

3. Neue Chancen für digitale Angebote und Services

Modernes digitales Marketing geht über die Ausspielung von digitalen Ads hinaus und integriert nahtlos digitale Service-Angebote in die Marktbearbeitung. Bislang waren für eigene digitale Dienste viele Wege zu den Kund:innen durch die Gatekeeper blockiert. Durch den Zwang für große Gatekeeper, ihre Soft- und Hardware-Plattformen stärker für Dritte zu öffnen, schafft der DMA hier für viele Unternehmen neue Chancen zur Entwicklung und erfolgreichen Vermarktung eigener digitaler Angebote. Von eigenen Apps, die erstmalig die bislang nur den Device-Hersteller:innen zugänglichen Hardware-Funktionen nutzen, bis hin zu Diensten, die den neuen Zugang zu Kund:innen und Daten nutzstiftend aufgreifen, ergeben sich neue Möglichkeiten, den Weg zu den eigenen Kund:innen zu gestalten. Entsprechend sollten sich die Produkt- und Service Design Teams in Unternehmen mit den neuen Möglichkeiten vertraut machen und diese in ihre Innovations-Roadmaps einfließen lassen.

Der DMA ist die lange überfällige Antwort Europas auf die zunehmend konzentrierte Marktmacht der – insbesondere US-amerikanischen – Big-Tech-Unternehmen. Statt rückwirkend große Gatekeeper für unfaire Praktiken vor den Kadi zu ziehen, werden künftig klare Regeln für eine fairere digitale Wirtschaft sorgen. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen und Risiken. Und es wird höchste Zeit für Unternehmen, das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und die Auswirkungen auf das eigene digitale Angebot zu reflektieren. Aktuell liegt es bei zu vielen von ihnen – wenn überhaupt – nur auf dem Tisch der Hausjustiziar:innen. Um die Chancen, die sich aus dem DMA ergeben, sinnvoll zu nutzen, müssen sich aber auch Marketing, Product und Data Teams zeitnah diesem kommenden Gesetzespaket widmen. Und so vermeiden, 2024 von den dann greifenden Regelungen kalt erwischt zu werden.

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