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Weltretter-Konferenz re:publica: Wie Erpresser die Werbung killen

Weltretter-Konferenz re:publica: Wie Erpresser die Werbung killen

Ralf Scharnhorst | 04.05.16

Über Lösegeld, Terroristen und die Rettung der Welt - Ralf Scharnhorst berichtet von der 10. re:publica in Berlin (#rpTEN).

Zehn Jahre re:publica. Was als kleines Blogger-Treffen begann, um Politik und Internet zusammenzubringen, wurde inzwischen zur “größten Internet-Konferenz Europas” mit 7.000 Besuchern. Was hier passiert, ist immer utopisch angehaucht – selten veränderte davon etwas den realen Arbeits-Alltag des Online Marketers.

“Lösegeld für Deine Daten”

Nun treffen aber zwei Entwicklungen aufeinander. Das erste ist die rasante Entwicklung des Erpressungsgeschäfts. Erst hat es sich digitalisiert zum Daten-Diebstahl. Dann expandierte es von B2B nach B2C. Konkret: Früher haben Viren irgend etwas eher unbemerktes auf der Festplatte gemacht. Heute verschlüsseln sie die Festplatte und erpressen Lösegeld dafür, dass man wieder an alle seine Daten kommt. Und das nicht nur von Firmen, Polizei-Stationen und Krankenhäusern, sondern auch vom privaten Windows-User.

Wie kommt die Malware auf den Rechner? Unter anderem durch Java Script, das in Werbe-Bannern ausgeführt wird.

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Besser denn je: die re:publica

Viren durch Werbung

Die zweite Entwicklung ist das AdBlocking. Es entstand als Abwehr von Internet-Nutzern, denen die Werbung zu viel von ihrem Bildschirm wegnahm. Es entfaltet seine Kraft auch als Firewall gegen Malware, die vom AdServer kommt. AdBlocking geht den Weg von B2C zu B2B: Nicht nur die privaten User installieren es, sondern auch die Sys-Admins von Firmen-Netzwerken.

Keiner öffnet heute mehr .EXE-Dateien, die ihm per Mail zugeschickt werden. Durch den Browser und die Skripte hinter den Bannern lassen wir aber jede Menge ungeprüften ausführbaren Code in unseren Rechner,

sagen sinngemäß Frank Rieger und Thorsten Schroeder vom Chaos Computer Club auf der Bühne der re:publica.

Die vorhersehbare Konsequenz ist: Wer einen Virenscanner nutzt, wird bald auch einen AdBlocker nutzen. Immerhin haben Rieger und Schroeder einen Lösungsvorschlag: eine Content-Payment-Genossenschaft der Web-Publisher.

Vom Wegelagerer zum Piraten

Gewitterwolken am Horizont der Online-Werbung? Es kommt noch eine hinzu. AdBlock Plus hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt. Man will nicht nur der führende Anbieter auf allen Betriebssystemen sein, sondern auch die Welt retten – vor allem, indem man Online-Werber umerzieht zu weniger störender Werbung und bei den Vermarktern der Online-Werbung abkassiert.

Vor kurzem kam man mit einem weiteren Weltretter zusammen: Peter Sunde, der Erfinder von PirateBay ist längst aus dem Gefängnis zurück und experimentiert weiterhin zum Thema Copyright. 2010 hat er das Bezahlmodell für journalistische Inhalte Flattr gestartet. Ihm fehlt nur eines: die Nutzer. Und die hat AdBlockPlus.

Wie die Technik zusammengelegt werden soll, wurde noch nicht verraten. AdBlockPlus hat als PR-Managerin die ex-Bundestagskandidatin Laura Sophie Dornheim der Piratenpartei eingestellt, um die Zusammenarbeit zu verkünden.

Das Scheitern dieses rundum intransparenten Vorstoßes ist leicht zu prognostizieren, wenn man versucht, sich die Begeisterungsstürme vorzustellen. Wo ist der Begeisterungssturm von den großen Web-Publishern, sich bei AdBlockPlus anzumelden, um Einnahmen abzubekommen? Viele prozessieren gerade gegen AdBlockPlus.

Und wo ist der Begeisterungssturm der User: endlich Geld ausgeben für etwas, das vorher gratis war? Und von AdBlockPlus/Flattr genau beobachtet zu werden, welche Seiten man wie lange liest?

Flattr und AdBlock Plus verteilen Cookies
Flattr und AdBlock Plus verteilen Cookies

Google als Retter

Wer kann uns jetzt noch helfen? Wie immer: Google. Dort arbeitet man ja auch an der Rettung der Welt – und verdient sein Geld fast ausschließlich durch Online-Werbung. Was liegt also näher, als erst einmal die Online-Werbung zu retten?

Mit einem offiziellen Entwicklungsstand hält man sich zwar zurück, aber auf der osteuropäischen Webit Conference erklärte Benjamin Faes, Managing Director Publisher Business Solutions bei Google, dass man die Probleme erkannt habe: Publisher verdienen zu wenig für hochwertigen Content, User sind genervt von aufdringlicher Werbung und haben Sicherheitsbedenken. Und Google hat zu viel manuelle Arbeit: “at Google, we block 2.000.000 ads and 25.000 apps a day because they break ad rules”. Daher arbeite man intensiv an dem Problem.

Unternehmen im Bereich Ad-Technologie sollten sich dieses Jahr also noch auf einige Veränderungen einstellen.

Was gab es sonst noch auf der #rpTEN zu hören?

Wenn schon so viele “Netz-Aktivisten” in einer Halle versammelt sind, ist das eine Gelegenheit für Bekanntmachungen, die sofort auf Twitter zum Trending Topic werden. Am Montag nutzte das Greenpeace für Enthüllungen zum Thema TTIP.

rppten kugel
Der Appell: Rettet die Welt

Lobos Traditionsrede

Sascha Lobo, das Gewissen der deutschen Internet-Schaffenden und “Inhaber einer gut gehenden Frisur” – wie er es selbst nennt, war nach einem Jahr Pause zurück auf seiner Stamm-Bühne. Die letzten Jahre hatte er das Publikum angefleht, politisch aktiv zu werden, um das freie Internet zu retten – und damit die Welt. Dieses Jahr ist er eher resigniert vor der anlasslosen Überwachung aller Internetnutzer, dem Abschaffen der Netzneutralität und all den weiteren Bosheiten gegen das Internet. Er zeigt Verständnis für das untätige Publikum und verkündete nur ein “trotzdem”.

Seine weiteren Wünsche: “Gründet eine Suchmaschine – die Suche ist kaputt. Und ein Snapchat für Erwachsene. Und ein iTunes für alle Plattformen.”

Sein Aufruf: „Wenn man den Plattform-Kapitalismus weder aufhalten kann noch will, dann muss man ihn mitgestalten.”

“Wie hoch ist Dein Terroristen-Score?”

Diese Frage stellte Kate Crawford von Microsoft Research. Und antwortete: Wir werden es nie erfahren. Da sich kaum ein Internet-Aktivist die re:publica entgehen läßt, stellt sich die Frage, welche Sonderbehandlung man bekommt, wenn man danach in die USA einreisen will. Und was die NSA macht, wenn man sich in das freie WLAN der re:publica einwählt.

Kate Crawford und vielen anderen ging es aber mehr darum, auf die unbemerkte Diskriminierung durch Algorithmen hinzuweisen. Sie werden durch Daten der Vergangenheit trainiert und lernen so beispielsweise durch die Google-Bildersuche, dass ein CEO ein weißer älterer Mann mit Krawatte sein muss. Wenn die Gesichtserkennung nur mit Fotos von Weißen trainiert wird, hält sie Schwarze für Gorillas und denkt, Asiaten würden ständig zwinkern.

In the USA, you don’t browse the Internet. The Internet browses you.
In the USA, you don’t browse the Internet. The Internet browses you.

Der Hass in Social Media

Wo liegt dabei die Gefahr für die Offline-Welt? Kurz erklärt: Der braune K. schreibt auf Facebook, was er sich am Stammtisch nicht getraut hätte. Kriegt 500 Likes. Brüllt es jetzt auch auf der Straße.

Hack the Hackers

Hacker stellten die italienische Firma “Hacking Team” vor, die Regierungen Software liefert, um ihr Volk auszuspionieren – inklusive Passwort-Umgehung und Decryption. Nur an Regierungen? Eine mexikanische Aktivistin erklärte dazu: Wer an die mexikanische Regierung liefert, liefert gleichzeitig an die Mafia – das ließe sich nicht verhindern, so eng wie beide verbunden sind. Zum Glück wurde “Hacking Team” gehackt und auf der re:publica präsentiert, was man allein aus den Metadaten der Chefs über sie erfährt, denn: “’Metadata never lies. And it’s much easier to analyze by algorithms than content”.

Mehr zur re:publica auf Twitter unter dem Hashtag #rpTEN oder bei Ralf Scharnhorst auf Twitter: https://twitter.com/RalfScharnhorst

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