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Ist Deutschland zu bequem? Oliver Bierhoff warnt vor Rückstand durch 4-Tage-Woche

Ist Deutschland zu bequem? Oliver Bierhoff warnt vor Rückstand durch 4-Tage-Woche

Marié Detlefsen | 20.06.24

Oliver Bierhoff kritisiert die 4-Tage-Woche und warnt vor einem Rückstand Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Doch ist seine Analogie zum Fußball sinnvoll und welche Chancen bieten kürzere Arbeitszeiten wirklich?

Während ganz Deutschland im Fußballfieber der Heim-EM 2024 steckt, machen auch wirtschaftliche Fragen vor der Sportwelt nicht halt. So hat der ehemalige DFB-Topmanager Oliver Bierhoff kürzlich mit seiner Kritik an der 4-Tage-Woche für Aufsehen gesorgt und eine lebhafte Debatte entfacht. In einem Interview sagte der Ex-Profi und Siegrotschütze im EM-Finale 1996 kürzlich, dass er nicht glaube, dass Deutschland mit diesem Arbeitsmodell im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Bierhoff zog dabei Vergleiche zum Fußball und mahnte, dass nur durch gesteigerte Anstrengungen und mehr Arbeitsehrgeiz der Wohlstand und Erfolg des Landes gesichert werden könne. Doch wie fundiert sind diese Vergleiche und Aussagen wirklich? Wir ordnen die Aussage ein und stellen euch die Vor- und Nachteile des Arbeitsmodells vor.

Bierhoff sieht Deutschland als Verlierer:in im internationalen Wettbewerb

Bierhoff argumentierte in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, dass Deutschland im internationalen Vergleich hinterherhinke und sich mehr anstrengen müsse, um nicht den Anschluss zu verlieren. Er führte dabei das Beispiel der Bundesliga an:

Wenn man um die Spitze mitspielen will, wird kein Trainer sagen: Wir nehmen mal Tempo und Intensität raus und trainieren kontinuierlich einen Tag weniger.

Laut Bierhoff sei es nicht möglich, sich mit vier Tagen Arbeit bei gleichem Lohn im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Diese Analogie übertrug er auf die gesamte Wirtschaft und forderte mehr Engagement und weniger populistische Lösungen. Der Vergleich zwischen der Arbeitswelt und dem Profifußball ist jedoch nicht ohne Weiteres übertragbar. Während im Fußball kurzfristige Höchstleistungen und intensive Trainingsphasen entscheidend sind, geht es in der Wirtschaft oft um langfristige Strategien, Nachhaltigkeit und die Balance zwischen Arbeit und Erholung. Zudem ist er Leistungssport auf den unbedingten Wettbewerbswillen ausgelegt, bei dem mitunter das Privatleben der Menschen mindestens leidet. Für das Gros der Menschen in Deutschland ist die Arbeit womöglich aber anders als bei vielen Profisportler:innen nicht der Lebensmittelpunkt.

Und dass Aspekte wie die Work-Life-Balance und Überlegungen zur Effizienzoptimierung durch sinnvollen Ressourceneinsatz im Gespräch sind, kann langfristige Erfolgsmodelle stärken. Bierhoffs Vergleich zu anderen Nationen, die nicht warten, mag ein wenig hinken. Die Produktivität von Unternehmen kann höher sein, wenn es kaum arbeitsrechtliche Absicherungen, keine schützenden Sozialsysteme und dergleichen gibt; das ist aber ein äußerst kapitalistischer Gedanke, der die Gesellschaft der Arbeitnehmer:innen und deren Wohlergehen nicht unbedingt aktiv mitdenkt. Denn: Bei all den Vorschlägen dazu, nicht weniger oder gar wieder mehr zu arbeiten, wird in der Regel keine Erhöhung oder zumindest Anpassung der Reallöhne angeführt.

Und: Durch eine 4-Tage-Woche ist es durchaus möglich, dass die Bemühungen seitens der Unternehmen steigen müssen, um im Wettbewerb mithalten zu können. Dennoch zeigen viele Pilotprojekte auch die vielen Vorteile des neuen Arbeitsmodells.


Studie zeigt: 4-Tage-Woche lohnt sich auch für Arbeitgeber:innen

Studie zeigt: 4-Tage-Woche lohnt sich auch für Arbeitgeber:innen.
© Florian Weichelt – Unsplash


Nicht nur denken laut einer Studie insgesamt 75,4 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Deutschland, dass die Einführung einer 4-Tage-Woche in den kommenden fünf Jahren durchaus realistisch ist, auch viele Unternehmen haben das Modell bereits eingeführt. Auch die Gewerkschaft IG Metall fordert das Modell und möchte Angestellten der Stahlindustrie ermöglichen, künftig nur noch 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich pro Woche zu arbeiten. Die Ergebnisse sind durchaus positiv, denn durch die Entlastung der Arbeitnehmer:innen werden häufig Krankheitstage reduziert, das Engagement der Kräfte steigt und die Work-Life-Balance kann oftmals optimiert werden.

Auch das Klinikum Fürth hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Konzept zu testen und im November die 4-Tage-Woche eingeführt. Vorerst kann nur das OP- und Anästhesiepersonal in den Genuss einer verkürzten Woche kommen, doch aufgrund der positiven Resonanz hat das Klinikum Fürth entschieden, das Projekt dauerhaft anzubieten. Im nächsten Schritt plant das Klinikum, die 4-Tage-Woche auf weitere Bereiche auszuweiten und damit einen neuen Standard in der Gesundheitsbranche zu setzen. Professor Christoph Raspé, Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, berichtet dabei von den positiven Ergebnissen des Modells:

Wir haben eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt und hatten da sehr positive Ergebnisse. Die Belastung für die Mitarbeiter ist gesunken und auch aus Arbeitgeber- und Patientensicht ist die Pilotphase gut gelaufen. Wir konnten mehr Operationen durchführen und mussten weniger Eingriffe absagen.

Die vielen Vor- und Nachteile der 4-Tage-Woche

Eine Untersuchung der internationalen Jobsuchmaschine Jooble hatte im April das derzeitige Stimmungsbild der Arbeitnehmer:innen eingefangen und gefragt, was denn die Vorteile einer 4-Tage-Woche wären. Vor allem durch die Verkürzung der Arbeitswoche, wenn nicht an vier Tagen zehn Stunden gearbeitet wird, sahen über drei Viertel der Befragten (77,8 Prozent) als Erstes einen klaren positiven Einfluss auf ihre Gesundheit durch mehr Zeit für Erholung und Ruhe. Doch nicht nur die Gesundheit profitiere: 67,1 Prozent glaubten, dass eine 4-Tage-Woche die Work-Life-Balance verbessert werden könnte, während 56,6 Prozent von der Aussicht auf flexiblere Arbeitszeiten angezogen waren. Darüber hinaus wurde von den Befragten erwartet, dass eine solche Umstellung zu einer Steigerung der Produktivität (51,1 Prozent) und Umweltvorteilen durch Ressourceneinsparungen (50,3 Prozent) führen muss. Die potenzielle Senkung der Kosten (47,7 Prozent) und die Förderung der Selbstdisziplin (47,1 Prozent) wurden ebenfalls als positive Effekte betrachtet.

Eine verbesserte Gesundheit und Work-Life-Balance stehen längeren Arbeitszeiten und Lohneinbußen gegenüber.
Eine verbesserte Gesundheit und Work-Life-Balance stehen längeren Arbeitszeiten und Lohneinbußen gegenüber, © Jooble

Trotzdem lässt sich auch die Aussage von Oliver Bierhoff aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehen. So gibt es trotz der optimistischen Aussichten auch Bedenken. In der Studie konzentrierten sich die Hauptbedenken der Befragten dabei auf die mögliche erhöhte Arbeitsbelastung (61 Prozent) und die Angst vor Gehaltskürzungen (56,6 Prozent). Einige fürchteten auch eine Verringerung der Urlaubstage (37,1 Prozent) und eine Verschlechterung oder Verlangsamung der internen Kommunikation (29 Prozent) durch die Umstellung. Zudem wurden potenzielle Auswirkungen auf das Privatleben (19,5 Prozent) und die Produktivität (16,2 Prozent) als Sorgen genannt. Eine große Rolle spielte hierbei die Familie und die Befürchtung, weniger Zeit für diese zu haben. Bei Schichtbetrieben, wie es bei Betrieben in der IG Metall oder dem Klinikum Fürth der Fall ist, müssen außerdem große Umstellungen im Zeit- und Schichtmanagement erfüllt werden. Dies kann für einige Unternehmen auch als größere Hürden gesehen werden.

4-Tage-Woche als mögliches Konzept für vereinzelte Branchen

Inwieweit Oliver Bierhoffs Ansichten begründet sind, lässt sich letztlich nicht pauschal sagen. Generell spiegelt die Meinung des ehemaligen Profispielers aber eine weit verbreitete Skepsis wider, die tief in traditionellen Arbeitsmodellen verwurzelt ist. So könnten Unternehmen in Deutschland durchaus von einer offenen Diskussion und einem konstruktiven Ansatz profitieren, der sowohl die Bedenken ernst nimmt als auch die Potenziale neuer Arbeitszeitmodelle ausschöpft. Denn letztlich geht es darum, im internationalen Wettbewerb nicht nur durch harte Arbeit, sondern auch durch intelligente und innovative Lösungen zu bestehen. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel auch neue Fachkräfte aus dem Ausland anziehen. Fest steht zumindest, dass viele Unternehmen das Modell der 4-Tage-Woche testen wollen, aber dass es für den Sportbereich wohl nicht sonderlich geeignet ist.


Die 4-Tage-Woche kommt:

44 Prozent der befragten Unternehmen wollen das Arbeitskonzept 2024 einführen

Die 4-tage-Woche kommt: 44 Prozent der befragten Unternehmen wollen das Arbeitskonzept 2024 einführen.
© Brooke Cagle – Unsplash

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