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Social Media Marketing
Drei fatale Fehler: Wissenschaftler entschlüsseln das Rezept für Shitstorms

Drei fatale Fehler: Wissenschaftler entschlüsseln das Rezept für Shitstorms

Niklas Lewanczik | 09.09.16

Eine innovative wissenschaftliche Studie zeigt Ursachen, Charakteristika und Konsequenzen eines Shitstorms bei einer Marketingkampagne auf.

Wissenschaftler der Uni Michigan, der Uni Bamberg und der Otto Beisheim School of Management haben eine erste Studie veröffentlicht, die sich mit der Entstehung, den verschiedenen Formen und Auswirkungen von Shitstorms sowie möglichen Handlungsstrategien vonseiten Betroffener befasst.

Was den Shitstorm auslöst und was ihn gefährlich macht

Social Media-Plattformen bieten Marken die Möglichkeit, Werbekampagnen schnell und überregional zu verbreiten – doch dieses Vorgehen ist ein zweischneidiges Schwert. Denn auch die User können auf diesen Plattformen ihrer Meinung frei Ausdruck verleihen und schlimmstenfalls einen Shitstorm, auch CBA (Collaborative Brand Attack), auslösen. Verschiedene namhafte Unternehmen mussten das bereits schmerzlich erfahren. In der Studie wurden 29 solcher Beispielfälle untersucht, indem man Interviews führte und tausendfach Userkommentare auswertete. Die wichtigsten Erkenntnisse zeigen auch, wie ein Shitstorm sich entwickelt.

Ein Shitstorm, der sich auf eine Marketingkampagne bezieht, kann schnell und aufgrund scheinbar nebensächlicher Ursachen entstehen und von Einzelnen wie von Organisationen verursacht werden. Das Trio von Wissenschaftlern, das für die Studie verantwortlich zeichnet, nennt drei mögliche Probleme:

  • Unethisches Verhalten,
  • Qualitätsprobleme,
  • Service- oder Kommunikationsprobleme einer Marke, die von den Usern so wahrgenommen werden.

Dabei kann die unethische Wahrnehmung auch potentieller Kunden in Bezug zu politischen, sozialkritischen oder auch ethnologischen Aspekten stehen. Veröffentlicht eine Marke also eine Kampagne, die in irgendeiner Weise als diskriminierend empfunden werden kann, liegt ein digitaler Backlash nahe. Dazu bedarf es laut der Studie manchmal auch bloß unpassender Postings von Personen, die mit einem Unternehmen in Verbindung gebracht werden.

Ein weiteres Problem für Advertiser oder Firmen kann die als mangelhaft empfundene Qualität des Produkts oder des Service sein, das/der von ihnen beworben oder angeboten wird. Zu diesen subjektiven Meinungen können Influencer ebenso beitragen wie Postings oder Videos, die User vom vermeintlichen Mangel zu überzeugen suchen. Philipp Rauschnabel, Assistant Professor of Marketing der University of Michigan und einer der Studienleiter, unterstreicht noch einmal die Rolle der Subjektivität in diesem Zusammenhang:

Philipp RauschnabelNutzer entscheiden oft spontan und subjektiv, ob sie sich an einem Shitstorm betätigen. Ob eine Unternehmensentscheidung beispielsweise wirklich unethisch ist oder nicht, entscheidet jeder Nutzer für sich – oft binnen Sekunden. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zu klassischen Markenkrisen, bei denen Journalisten viel objektiver berichten.

Ein dritter und meist mit den ersten beiden in Verbindung stehender Faktor für Shitstorms ist die Kommunikationsstrategie der Marke. Wird sie als unprofessionell oder unethisch eingestuft, kann sie zur Geringschätzung führen. Beispielsweise, wenn kritische Postings mit vielen Likes der Einfachheit halber gelöscht werden, nicht schnell oder angemessen auf Nachfragen geantwortet wird oder ähnliches. Hier zeigt sich, wie die Grenzen zwischen den Problembereichen verschwimmen. Nun führen einzelne kritische Kommentare oder auch Schmähungen von Usern nicht per se zu einem Shitstorm. Addieren sich aber einige der oben genannten Probleme bei Kampagnen oder der Marke selbst und werden derlei subjektive Kritiken der User dazu durch Influencer wie NGOs (zum Beispiel im Falle unethischen Marketings), das Empfinden von Unfairness oder falsche Reaktionen der Marke verstärkt, nimmt ein Shitstorm oft ungehindert seinen Lauf.

Vereinfachte Grafik eines Shitstorms, © Philipp Rauschnabel
Vereinfachte Grafik eines Shitstorms, © Philipp Rauschnabel

Reaktionen Betroffener – ein schmaler Grat

Hat ein Shitstorm eine Marke erst einmal erreicht, müssen die Verantwortlichen schnell reagieren, um den Imageschaden möglichst klein zu halten. Dabei gibt es unterschiedlichste Strategien, die – je nach Adressat – gut abgewägt sein wollen. Das Ignorieren oder Zensieren von negativen Reaktionen auf Social Media-Plattformen verstärkt eher noch die Shitstormentwicklung, während die Studie annimmt, dass vor allem eindeutige Verhaltensänderungen, besänftigende Antwortschreiben oder etwaige persönliche Kommunikation positiv auf die verstimmten User einwirken. Da sowohl die kritischen Meinungen der User als auch deren Feedback auf die Reaktionsstrategien einer betroffenen Marke subjektiv sind, bleibt das Entschärfen eines Shitstorms eine Gratwanderung.

Ob ein Shitstorm finanziellen Schaden verursacht, kann bis dato nicht mit Daten belegt werden. Klar ist aber, dass das Image leiden kann, wenn von Markenseite nicht richtig und umgehend gehandelt wird. Doch auch positive Effekte sind nicht ausgeschlossen, wenn beispielsweise unbekanntere Unternehmen erst durch den Shitstorm Bekanntheit erlangen oder ein großes Unternehmen einen solchen vorbildlich behandelt.

Das Beispiel Pril und was es uns lehrt 

Das deutsche Unternehmen Henkel mit seiner Marke Pril hat sich im Jahr 2011 mit einem Wettbewerb zur Umgestaltung des Designs der Prilflasche, der auf Facebook und der Prilwebsite veröffentlicht wurde, ins eigene Fleisch geschnitten. Das Voting für die besten Designs wurde zur Farce, weil neue Beiträge kaum sichtbar platziert wurden und als Reaktion auf wütende Hinweise mitunter willkürlich Beispiele von Pril präsentiert wurden. Daraufhin wurden unseriöse Varianten eingereicht, zum Beispiel mit der Aufschrift „Schmeckt lecker nach Hähnchen“, die tatsächlich später das Voting anführten, später aber einem Clearing unterzogen wurden und, um Mehrfachvotes einzelner User zu unterbinden, so Pril, viele Votes verloren. Sie wurden nicht das neue Design.

Umstrittener Votingführer beim Pril-Desging-Wettbewerb.
Umstrittener Votingführer beim Pril-Design-Wettbewerb.

Aufgebrachte Kommentare sowie kritische Online- und Offlinepressebeiträge zum Wettbewerb waren die logische Folge. Der Marke wurde vorgeworfen, unfair und kompromisslos eigene Interessen in den Vordergrund gestellt zu haben. Dass zunächst mit dem Ignorieren und Zensieren kritischer Äußerungen reagiert wurde, trug zur negativen Außendarstellung von Pril bei. Erst das Einlenken Prils, in Form der Limited Edition-Veröffentlichung der eigentlichen Votingführer kann als Versuch der Besänftigung gelesen werden. Allerdings kam dies erst Monate später und der Schaden war bereits angerichtet.

Wie man Shitstorms ins Auge sehen kann

Das noch relativ neue Phänomen des Shitstorms birgt neben geringem positiven Potential viele Gefahren für eine Marke. Allerdings müssen bei der Betrachtung eines Shitstorms immer die Rahmenbedingungen im Auge behalten werden. Ist möglicherweise eine oppositionelle Interessengruppe dafür verantwortlich? Fordert das Ausmaß des Shitstorms eine umgehende Reaktion und wenn ja, welche? Die Beantwortung solcher Fragen ist an eine klare Markenstrategie geknüpft. Dazu sollte jedoch auch gehören, dass Shitstorms schon im Vorhinein zu vermeiden sind. Social Media Guidelines in Unternehmen sollen dazu beitragen, einen möglichen Shitstorm zu antizipieren und dem entgegenzuwirken. Auch die Forschung im Marketingbereich trägt nunmehr ihren Teil dazu bei.

Quelle: Philipp Rauschnabel 

Kommentare aus der Community

Dr. Christian Salzborn am 09.09.2016 um 10:22 Uhr

Lieber Autor,

ein interessanter Beitrag, jedoch finde ich es schade, dass niemand auf die Idee gekommen ist, nach weiteren wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Thema „Shitstorm“ zu recherchieren. So wäre Ihnen schnell aufgefallen, dass es neben einer interessanten Diplomarbeit (Tim Ebner) eine Doktorarbeit gibt (Salzborn – „Phänomen Shitstorm“), die 40 Fälle untersucht hat und zu allen relevanten Aspekten des Phänomens ausführlich und empirisch fundiert Aussage gibt. Ich finde es schade, dass diese Arbeit kein Gehör findet:

http://opus.uni-hohenheim.de/volltexte/2015/1110/

Falls Sie mal einen fundierten Gastbeitrag wünschen, kommen Sie gerne auf mich zu.
Viele Grüße
Dr. Christian Salzborn

Antworten
Anton Priebe am 09.09.2016 um 15:26 Uhr

Hallo Christian,

danke für den Hinweis, das schauen wir uns gerne an!

Beste Grüße
Anton

Antworten
Christian Salzborn am 10.09.2016 um 18:03 Uhr

Danke. Übrigens Lob , dass ihr dennoch dem Thema, egal von wem erforscht, seit Jahren bei euch bringt. Es ist aktueller denn je. Viele Grüße ans Team.

Antworten
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