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Performance Marketing
Über die Vorteile von selbstbestimmtem Werbekonsum – Philipp Dommers von Welect im Interview
© PR Image Factory, Welect via Canva

Über die Vorteile von selbstbestimmtem Werbekonsum – Philipp Dommers von Welect im Interview

Niklas Lewanczik | 16.07.21

Viele Bereiche des Medienkonsums werden von Usern längst eigenständig gestaltet. Das könnte auch für Online Ads funktionieren. Aber wie lässt sich solch eine Selbstbestimmung umsetzen und für besseres Targeting einsetzen? Das und mehr erklärt Philipp Dommers im Interview.

Streaming-Dienste wie Spotify, Netflix oder DAZN haben dazu beigetragen, dass der Medienkonsum vieler Menschen nach deren Zeitplan und Gusto abläuft. Zahlreiche Apps und On-Demand-Angebote im Digitalraum unterstützen die Selbstbestimmung der User. Auf meinem Smartphone oder Laptop kann ich einstellen, welche Nachrichten ich wann sehen möchte, zu welcher Zeit ich einen Podcast oder eine Serie rezipiere und welche Inhalte mir in meinen personalisierten Feeds in Social Media ausgespielt werden. Ist es da nicht an der Zeit, auch Werbung selbstbestimmt zu gestalten? Wenn User sich aktiv für eine Werbeausspielung entscheiden können, dürfte das sowohl die User Experience als auch die Performance der Kampagne deutlich optimieren. Streuverluste könnten reduziert, Targeting-Optionen optimiert und die Bindung zu potentiellen Kund:innen gefestigt werden.

Doch ganz so einfach lässt sich dieses Konzept nicht ganzheitlich umsetzen. Wie selbstbestimmter Werbekonsum aber schon heute erfolgreich funktionieren kann, welche Potentiale Marken damit ausschöpfen könnten und wo es noch Hürden zu überwinden gibt, das erklärt der Mitgründer und Geschäftsführer von Welect, Philipp Dommers, in aller Ausführlichkeit im Interview mit OnlineMarketing.de. Bei Welect, einem Technologieunternehmen, das sich auf selbstbestimmten Werbekonsum spezialisiert hat, kümmert sich Philipp Dommers unter anderem um die Zusammenarbeit mit werbetreibenden Unternehmen und Media-Agenturen sowie um die Entwicklung von Möglichkeiten zur Verbesserungen von Kampagnen über selbstbestimmte Werbeausspielung.

Das Interview

OnlineMarketing.de: Welche Aspekte deines Medienkonsums würdest du als selbstbestimmt einordnen?

Philipp Dommers: Ich bemerke, dass mein privater Medienkonsum von Selbstbestimmung geprägt ist. Zum Beispiel ist mein linearer TV-Konsum fast auf null gesunken. Dafür haben die großen Streaming-Plattformen übernommen. Ebenso beim Radioprogramm, das einer Auswahl von Podcasts zum Opfer gefallen ist. Ich habe mir angewöhnt, selbst zu entscheiden, was ich wann, wo und auf welchem Device anschaue oder anhöre.

Updates bei Apple (die App Tracking Transparency), Google (die Abschaffung von Third Party Cookies in Chrome und neue Richtlinien im Play Store) und Co. erschweren Marketern das Targeting. Welche Alternativlösungen hältst du für trotzdem spezifisch personalisierte Werbung derzeit für belastbar?

Der Elefant im Raum ist doch, dass auch mit Cookies eine perfekte Zielgruppenansprache nie möglich war. Ich kenne viele Kampagnen, bei denen Agenturen und Kund:innen beim Cookie-basierten Targeting mit einer Trefferquote von 30 Prozent zufrieden waren. Also 70 Prozent Streuverlust. Im Wesentlichen lässt sich fremdbestimmte Werbung aber nur dann zielgenau ausspielen, wenn man genau weiß, wer vor dem Endgerät sitzt. Das gelingt zunächst einmal nur den Plattform-Anbieter:innen, die über Logins und persönliche Daten verfügen und diese werblich nutzen dürfen. Doch auf Devices, die von mehreren Personen genutzt werden (Smart TV, Tablet, Laptop), klappt auch das nicht perfekt.

Alternative ID-Lösungen im Open Web sind darüber hinaus ebenfalls datenschutzrechtlich nicht vollständig überprüft und stoßen an ihre Grenzen, gerade, wenn es um plattformübergreifende Kampagnen geht oder ein Frequency Cap wichtig wird. Daher halte ich es für sinnvoll, bei digitalen Kampagnen den möglichen Rückkanal zu nutzen und Verbraucher:innen miteinzubeziehen. Dadurch lassen sich das Targeting und die Kontaktklassen optimieren. Im Übrigen kann man dadurch auch Zielgruppen erreichen, die durch fehlenden Consent, Adblocker oder Browser-Einstellungen derzeit schlicht unter dem Radar laufen. Das sind laut Schätzungen 60 bis 70 Prozent aller User.

Gibt es deiner Ansicht nach einen Grad an Überpersonalisierung für Ads oder denkst du, dass User inzwischen einen Schritt zurück zu weniger granularer Werbeausspielung nicht mehr akzeptieren würden?

Ich glaube, dass die Akzeptanz oder Ablehnung von Werbung nicht mit dem Grad der Personalisierung zusammenhängt, sondern mit dem Grad der Relevanz und der Bereitschaft für Werbung generell. Je stärker Werbung Inhalte transportiert, die den persönlichen Interessen der Rezipient:innen entsprechen, desto größer die Akzeptanz. Dennoch sollte man sich stets fragen, ob der User bereit ist, zuzuhören. Das Gießkannenprinzip gehört aus guten Gründen der Vergangenheit an. Beide Faktoren – Relevanz und Empfänglichkeit – lassen sich im Übrigen durch Selbstbestimmung in der Werbung beeinflussen.

Sind die Datenschutzbestrebungen der Tech-Unternehmen aus deiner Sicht auch eine Chance, um Usern mehr selbstbestimmte Werbeausspielungen zu ermöglichen? Etwa dann, wenn auf Basis von First-, aber auch Zero-Party-Daten gearbeitet wird?

Absolut! Wir arbeiten bei Welect bereits seit fünf Jahren an Targeting-Optionen, die ohne Cookies auskommen. Dabei stellt sich insbesondere die Mitbestimmung der Konsument:innen als sehr effektiv heraus. Als Beispiel: Womöglich gehört ein User auf Basis des Alters, Geschlechts und Einkommens zu einer bestimmten Auto-Käufergruppe, doch dies sagt ja nichts darüber aus, ob der User aktuell tatsächlich an einem Kauf interessiert ist. Selbstbestimmung unterstützt so sehr effektiv das Targeting und hilft bei der Reduzierung von Streuverlusten.

User haben schon länger die Wahl anzugeben, welche Daten sie teilen möchten. In welchen digitalen Medienkontexten hältst du es für ratsam, ihnen auch die Wahl des ausgespielten Werbemittels zu überlassen – und in welchen eher nicht?

Ich halte eine Werbewelt für nahezu paradiesisch, in der man sämtliche Werbetreibende selbst auswählen kann. Aber im Ernst: Die werbetreibende Industrie ist mitverantwortlich für eine nachhaltige Aufmerksamkeitsökonomie. Alle Werbekund:innen würden letztendlich davon profitieren, wenn Werbung insgesamt nutzer:innenzentrierter und mit Zustimmung der User ausgespielt würde. Denn dann steigt die Aufmerksamkeit und Zufriedenheit der Nutzer:innen. Von daher gibt es nicht viele Beispiele, in denen Mitbestimmung fehl am Platze wäre.

Wenn User eine Wahl haben – etwa bei werbegestützen Publishern –, wählen sie Spots laut einer Umfrage von Welect sehr häufig basierend auf ihrer Sympathie für eine Marke aus. Welche anderen Beweggründe könnten Marken aktivieren, die noch nicht im Dunstkreis der User vorhanden sind?

An der Stelle muss ich ergänzen, dass der mit Abstand häufigste Grund für die Auswahl einer Kampagne das persönliche Interesse an dem beworbenen Produkt ist. Die Sympathie spielt dagegen sogar eher eine untergeordnete Rolle. Menschen wählen Kampagnen aus, deren Produkte oder Services für sie selbst relevant sind. Je besser der Inhalt der Kampagne bereits auf den ersten Blick klar wird, desto genauer ist das selbstbestimmte Targeting. Darüber hinaus gibt es aber auch Kampagnen, die bewusst eine breite Brand Awareness erzeugen wollen und kein konkretes Produkt in den Fokus stellen. Eine solche Kampagne wird in der Regel dann auch von einer breiteren Zielgruppe gewählt.

Bei der selbstbestimmten Werbespotauswahl könnten Spots durch das Raster fallen, die User positiv überraschen; aus dem simplen Grund, dass sie sich diese nicht anschauen müssen. Lässt sich dieser Verlust gegen das Moment störender Werbespots aufwiegen?

Störende Werbung ist meiner Auffassung nach vor allem eines: störend. Und wenn sie zusätzlich nicht relevant ist, ist sie doppelt schlecht. Da ist es schwer, einen User positiv zu überraschen. Bei der selbstbestimmten Ausspielung einer Kampagne empfehlen wir, die Teaser so zu gestalten, dass sie die richtige Zielgruppe ideal abholen und Lust auf den restlichen Spot machen. Der Werbespot kann danach aber natürlich dennoch für eine Überraschung sorgen, denn der Inhalt des Werbefilms wird ja nicht vorweggenommen.

Laut der Erhebung von Welect steigert sich bei der selbstbestimmten Auswahl der Werbemittel auch die Aktivierung im Kontext künftiger Kaufentscheidungen. Das ist für Advertiser natürlich ein starkes Argument; doch welche großen Vorteile siehst du langfristig noch in diesem Ansatz?

Im Wesentlichen gibt es drei Argumente: Zum einen verbessert Selbstbestimmung das Targeting in einer Cookie-freien Welt. Die Kampagne spricht also direkt Kund:innen an, die zum Beispiel im Vergleich zu anderen Konsument:innen ein höheres Kaufinteresse in der ausgewählten Kategorie haben. Zum anderen entfacht sich durch selbst ausgewählte Werbespots eine deutlich höhere Aufmerksamkeit und dadurch ein starker Anstieg der Werbewirkung. Und der dritte Punkt ist eine höhere Nutzer:innenzufriedenheit. Menschen bevorzugen Werbeformen, bei denen sie mitbestimmen können – was nach einer basalen Erkenntnis klingen mag, aber dennoch in der Praxis bislang verhältnismäßig wenig Anwendung findet. Dies gilt übrigens auch für die spezielle Zielgruppe der Adblock-Nutzer:innen beziehungsweise Werbeverweigerer:innen.

Rund 70 Prozent der von Welect Befragten gaben an, selbstbestimmte Werbeauswahl gut oder sehr gut zu finden. Welche Gründe siehst du derzeit noch, um dieser Aussage nicht zuzustimmen? Welche Nachteile könnten einerseits für User, andererseits für Marketer auftreten?

Ich glaube, die meisten Menschen wollen am liebsten gar keine Werbung sehen. Da ist es nicht verwunderlich, dass nur etwa 30 Prozent nicht die Note „gut“ oder „sehr gut“ verteilen. Aber dennoch finanziert Werbung einen Großteil der digital verfügbaren redaktionellen Inhalte und ist daher unabkömmlich. Daher sollte der Anspruch sein, Werbeplatzierungen wo immer möglich zu verbessern, um dadurch ein pluralistisches Medienangebot zu sichern und dies obendrein weiterhin kostenfrei verfügbar zu machen. Und wenn 70 Prozent der Befragten selbstbestimmten Werbekonsum mit „gut“ beziehungsweise „sehr gut“ bewerten, gibt es ein deutliches Signal, wohin die Entwicklung geht.

Wie ist eine solche Auswahl für User technisch am einfachsten zu gewährleisten?

User können den Ad Chooser mit einem einfachen Klick bedienen. Wir arbeiten laufend an der Verbesserung der User Experience, damit schnell klar wird, worum es in den jeweiligen Kampagnen geht und die Auswahl schnell möglich ist.

Glaubst du, dass das Bewusstsein für Transparenz und Selbstbestimmung im Online Marketing in den kommenden Monaten und Jahren deutlich ansteigen wird, auch außerhalb der Marketing-Blase? Welche Kernmomente könnten dazu beitragen?

Ich sehe, dass immer mehr Unternehmen soziale und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Das geht von ökologischen Aspekten über politische Positionierung bis hin zur Etablierung und Durchsetzung einer richtigen Work-Life-Balance. Es würde mich wundern, wenn nicht auch der Umgang mit Menschen in digitalen Umfeldern auf den Prüfstand kommt, um mehr Nachhaltigkeit im Werbeökosystem zu schaffen. Denn da ist in der Vergangenheit gerade in unserer Branche viel falsch gelaufen.


Wir bedanken uns recht herzlich bei Philipp Dommers für das schriftliche Interview und die ausführlichen Insights rund um Choice-Driven-Werbeausspielung.

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