Dein wichtigster Touchpoint zur Digitalbranche.
Dein wichtigster Touchpoint zur Digitalbranche.
Technologie
„Content Marketing und Big Data sind Bullshit-Begriffe“: Warum Online-Werbung heutzutage nervt
© Nagel's Blickwinkel - Fotolia.com

„Content Marketing und Big Data sind Bullshit-Begriffe“: Warum Online-Werbung heutzutage nervt

Heiko Sellin | 10.02.15

Native Ads ein "kommerzielles Stück Content"? Werbe-Ikone Amir Kassaei erklärt, was in der Werbebranche falsch läuft und wie man es besser macht.

Was ist das erste, was dir in den Sinn kommt, wenn du an Online Werbung denkst? Spannende Erlebnisse, tolle Erfahrungen, lustiger Zeitvertreib, große Freude und sinnvolle Ideen? Oder ist es vielleicht schlicht und einfach: Sie nervt!

Leider denken immer mehr User an Letzteres. Der iranisch-österreichische Werbetexter Amir Kassaei, der zudem internationaler Kreativchef der Werbeagentur DDB ist, empfindet genau das. Laut ihm sei die Werbeindustrie in den 60er Jahren steckengeblieben. Gutjahr hat ein Interview mit dem Werbefachmann zu diesem Thema geführt und wir fassen die Kernpunkte für euch zusammen.

„Der Anteil der Werbung, die nervt, ist größer als der Anteil der Werbung, die Spaß macht und unterhält“

Die zunehmende Technologisierung der Werbung – die Algorithmen, Real Time Bidding, Programmatic Buying und ähnliche Prozesse – hat laut Amir Kassai nicht nur positive Auswirkungen. Sicher, es hilft, schnell und an vielen Orten im Netz seine Werbung unterzubringen. Aber damit wird automatisch auch viel nervige Werbung erzeugt. Werbung, die sich aufdrängt, oft nicht zum Geschmack des Users passt.

Der Werbe-Profi kann nachvollziehen, dass immer mehr User zu Adblocker greifen – auch wenn das ein großes Problem für Publisher darstellt. Kreative, Mediaplaner und Entscheider hätten das Internet noch immer nicht als Infrastruktur begriffen. Sie würden versuchen, sie ähnlich zu behandeln wie die klassischen Medien und aufgrund der teuren Preise im Fernsehen beispielsweise ihre Inhalte online zu kompensieren.

Ein großer Fehler, so Amir Kassaei. Denn es gehe nicht immer nur um Reichweite. Relevanz sei viel wichtiger heutzutage und auch in Zukunft. Die herkömmliche Formel der Werbeproduktion sei verloren gegangen. Und diese sei ganz einfach: Schaffe Inhalte, die in dem Leben des Users so relevant sind, dass sie sich gerne damit auseinandersetzen. Amir Kassaei:

Die richtig gute Werbung, an die sich jeder erinnert hat in den letzten hundert Jahren, war genau diese. Es war Werbung, die auf einer relevanten Wahrheit basiert, die dich als Menschen wahrgenommen hat und nicht versucht hat, deine Zeit zu stehlen, sondern wirklich einen Wert mitzubringen.

Leider gebe es nur wenige Agenturen und Advertiser, denen dieses zur Zeit gelingt. Laut Kassaei seien lediglich ein bis drei Prozent der Werbung im Netz relevant, gut platziert und produziert. Der Rest sei Müll. Geschuldet sei dies dem Fakt, dass – wie eingangs erwähnt – die Werbemacher versuchen, mit der neuesten Technologie Schritt zu halten, sie aber noch nicht richtig verstehen und anwenden.

Big Data und Content Marketing sind Bullshit-Begriffe

Kassaei hält Data für ein wichtiges Thema. Allerdings legt er keinen Wert auf diese Begrifflichkeit Big Data. Fakt sei, dass wir aufgrund der Digitalisierung Daten sammeln können. Es geht dann darum, diese zu verknüpfen und daraus einen Wert zu schaffen. Leider sei dies noch nicht wirklich möglich. Selbst Google könne das noch nicht. Zurzeit würden die Entscheider Daten lediglich nutzen, um ihre Botschaften zielgenau anzubringen – mit wenig bis gar keinem Erfolg. Zukünftig müsse die Industrie versuchen, Daten schon vorher zu nutzen, bereits bei der Kreierung des Inhalts. Darin liegt die Zukunft des Online Marketings, so Kassaei.

Auch Content Marketing sei lediglich ein „Bullshit-Begriff“. Content Marketing gab es schon immer, alle Inhalte im Netz nun Content Marketing zu nennen, ergibt für ihn wenig Sinn. Für das Produzieren der Inhalte gebe es keine goldene Regel, da sich diese ständig ändern würden. Es käme nur darauf an, dem User einen Nutzen zu geben. Wenn du ihn nicht nervst und ihm etwas Gutes tust, dann wird er irgendwann auch dir etwas zurückgeben. Es kommt nicht darauf an, in den ersten fünf Sekunden Werbung schnell sein Produkt zu verkaufen. Die Medien hätten ihre ursprünglich Mission vergessen – nämlich gute Inhalte zu liefern, die ureigene Funktion als Kommunikator – so Kassaei.

Mobile, Smartwatches, Second Screen – alles Touchpoints in der „Infrastruktur Internet“

Auf die Frage hin, welche Devices in Zukunft Medienplattformen darstellen und als solche gut funktionieren werden, antwortete Kassaei, dass auf lange Sicht alles miteinander verbunden sein wird. Mobil habe YouTube einen enormen Schritt nach vorne gemacht. Momentan würde es in den Agenturen sogar schon Ideen für Smartwatch-Kampagnen geben. Letzendlich seien alles aber nur Touchpoints, um ins Internet zu gelangen. In zehn Jahren, so Kassaei, werden wir über den Begriff Mobile nur noch lachen. Zu viele Wege gibt es, um an der Infrastruktur teilzuhaben.

Auch das Fernsehen wie wir es kennen, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Vielleicht noch für ältere Herren. Aber die neue Generation sei schon jetzt darüber nicht mehr zu erreichen. Native Ads seien sicherlich ein Weg, Werbung zukünftig relevant umzusetzen. Allerdings müsse sich auch dort die Rechtgebung Gedanken machen. Für Amir Kassaei sind Native Ads nichts weiter als „kommerzielles Stück Content“.

Zusammengefasst sieht die Zukunft der Online-Werbung wie folgt aus: Echtzeit-Marketing, das punktgenau das Marketing gibt, was der User braucht. 90 Prozent der Werbeinhalte werden weiterhin nerven, aber die zehn Prozent, die begreifen, dass es um Relevanz geht, werden erfolgreich sein. Darüber ist sich der Fachmann zu 100.000 Prozent sicher.

Das Interview in voller Länge:

Kommentare aus der Community

Norbert am 11.02.2015 um 11:11 Uhr

endlich spricht es jemand aus – die ganze hype mit modischen begriffen, welche hauptsächlich aus dem anglo-amerikanischen raum kommen, ist viel lauwarme luft. mit krampf wird versucht die umsätze anzukurbeln. und weil in übersättigten markten gekoppelt mit finanz- und politischen krisen die umsätze stagnieren wird mit allen mitteln versucht potentielle kunden zu erreichen.
leider gibt es noch immer werbeleute, welche meinen, dass menschen auf eine webseite „gelockt“ werden müssen um diese dann zum konsum „zu verführen“ – was für ein anachronistischer schwachsinn – und dieser nervt selbstverständlich; aber unser Nervensystem hat dafür die fähigkeit wahrnehmungen auszublenden und die botschaft kommt erst recht nicht an.
ebenso wasser auf meine mühlen – es geht um relevanz und nicht den mißbrauch von content marketing. so wie es scheint wird vielfach der term marketing mit werbung verwechselt oder gleichgesetzt und bringt unter anderem webseiten hervor, welche sich seiten über seiten als reine werbung für ein produkt darstellen aber wehe information wird gesucht, da bleibt nur den griff zum telefon um in einem callcenter zu landen. was für ein vergnügen.
der mensch sollte der maßstab sein und nciht technische machbarkeit oder gar ideologie.

Antworten
Alexander am 10.02.2015 um 18:56 Uhr

Es wird mittlerweile ziemlich schlau gemacht, so dass man fast bis zum Ende der Werbesendung sich nicht sicher ist, worum es eigentlich geht…

Antworten
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*