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Digitalpolitik
Uploadfilter als Zensur? Die Bedeutung und mögliche Folgen von Artikel 13
Der Rat der Europäischen Union, © European Council

Uploadfilter als Zensur? Die Bedeutung und mögliche Folgen von Artikel 13

Niklas Lewanczik | 22.02.19

Wir liefern Details, Konsequenzen, Szenarien und Stimmen zum vieldiskutierten Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform – der auf uns alle zukommen könnte.

Vergangene Woche hat sich der Rat der Europäischen Union nach langem Hin und Her dazu durchgerungen die umstrittene EU-Urheberrechtsreform anzunehmen. Nun liegt es nur noch an der EU-Kommission und am Parlament, ob der Vorschlag tatsächlich zur neuen Richtlinie wird. Damit würde auch der gefürchtete Artikel 13 inkrafttreten, Uploadfilter müssten installiert werden – mit Ausnahmen. Doch was genau besagt der Artikel eigentlich und was wären seine Folgen? Wir gehen ins Detail.

Artikel 13 könnte wie Zensur wahrgenommen werden

Als „vorauseilende Selbstzensur“ hatte Dr. Joachim Jobi, seinerzeit Leiter Digitalpolitik und Public Affairs beim BVDW, die Uploadfilter schon im März 2018 uns gegenüber im Interview beschrieben. Zu der Zeit war noch nicht einmal die erste Abstimmung über den Vorschlag zur Urheberrechtsreform gelaufen. Inzwischen hat das Parlament einmal dagegen, dann wiederum dafür gestimmt. Während noch vor wenigen Wochen keine Einigung im Rat der Europäischen Union möglich schien, weil zu viele Staaten Einwände zu den Inhalten des Reformvorschlags hatten, konnte sich der Rat zuletzt überraschend doch auf eine Art Kompromiss einigen. Wenn die EU-Kommission und das Parlament zustimmen, kommt die Reform – womöglich noch vor den Europawahlen im Mai 2019.

Daher macht sich inzwischen vielfach noch mehr Protest breit. In Köln beispielsweise sind YouTuber und Reformgegner auf die Straße gegangen; das Ganze wurde zum Teil auch live gestreamt.

Zahlreiche weitere Demos sind geplant. Und schon seit vielen Monaten läuft die Online-Petition SaveTheInternet gegen Artikel 13. Diese ist nicht die einzige, die öffentlichen Stellen übergeben worden ist. Der populäre YouTuber LeFloid war eigens im Justizministerium vor Ort, um Unterschriften gegen die Reform vorzulegen.

Wie stark sich Artikel 13 auf die Videoplattform YouTube auswirken könnte, hatte das Unternehmen unlängst demonstriert.

Die Reform hat auch politische Gegner

So kann man durchaus sagen, dass YouTube – und somit auch Google – ein klarer Gegner der EU-Urheberrechtsreform ist. Zu den politischen Gegnern zählt neben etwa Julia Reda von der Piratenpartei auch die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Katarina Barley.

Sie gab später an:

Ich sehe die Möglichkeit, dass die vorgelegte Richtlinie am Ende auf Grund der anhaltenden Diskussionen um Artikel 13 im EU-Parlament keine Mehrheit erhält.

Interessant ist im Kontext der deutschen Digitalpolitik nicht nur, dass mit Axel Voss ein deutscher CDU-Politiker hauptverantwortlich für die etwaige Durchsetzung der Reform ist, sondern ebenso, dass im Koalitionsvertrag ein Einsatz der Uploadfilter explizit abgelehnt wird:

Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ,filtern‘, lehnen wir als unverhältnismäßig ab.

Deshalb wehren sich auch Tiemo Wölken, selbst EU-Parlamentsmitglied sowie Politiker der SPD, und viele andere weiterhin.

Doch was genau besagt der vielzitierte Artikel 13 – und welche Kompromisslösung soll es für ihn geben?

Artikel 13 im Detail

Ganz konkret sagte Artikel 13 aus dem Vorschlag zur EU-Urheberrechtsreform folgendes aus:

1.Diensteanbieter der Informationsgesellschaft, die große Mengen der von ihren Nutzern hochgeladenen Werke und sonstigen Schutzgegenstände in Absprache mit den Rechteinhabern speichern oder öffentlich zugänglich machen, ergreifen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass die mit den Rechteinhabern geschlossenen Vereinbarungen, die die Nutzung ihrer Werke oder sonstigen Schutzgegenstände regeln, oder die die Zugänglichkeit der von den Rechteinhabern genannten Werke oder Schutzgegenstände über ihre Dienste untersagen, eingehalten werden. Diese Maßnahmen wie beispielsweise wirksame Inhaltserkennungstechniken [Hervorhebung d.Red.] müssen geeignet und angemessen sein. Die Diensteanbieter müssen gegenüber den Rechteinhabern in angemessener Weise darlegen, wie die Maßnahmen funktionieren und eingesetzt werden und ihnen gegebenenfalls über die Erkennung und Nutzung ihrer Werke und sonstigen Schutzgegenstände Bericht erstatten.

2. Die Mitgliedstaaten müssen gewährleisten, dass die in Absatz 1 genannten Diensteanbieter den Nutzern für den Fall von Streitigkeiten über die Anwendung der in Absatz 1 genannten Maßnahmen Beschwerdemechanismen und Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stellen.

3. Die Mitgliedstaaten erleichtern gegebenenfalls die Zusammenarbeit zwischen den Diensteanbietern der Informationsgesellschaft und den Rechteinhabern durch Dialoge zwischen den Interessenträgern, damit festgelegt werden kann, welche Verfahren sich beispielsweise unter Berücksichtigung der Art der Dienste, der verfügbaren Technik und deren Wirksamkeit vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklungen als geeignete und angemessene Inhalteerkennungstechniken bewährt haben.

Aber was heißt das genau? Zunächst müssen wir auf die aktuelle Lage Bezug nehmen. Denn nach den Berichten zur Einigung des Rats wird es bezüglich Artikel 13 einen Kompromiss geben. Informationen der ZEIT zufolge werden alle Unternehmen mit ihren Plattformen und Seiten vom betreffenden Artikel ausgenommen, die weniger als drei Jahre alt sind, unter zehn Millionen Euro Jahresumsatz haben oder weniger als fünf Millionen Unique Visitors pro Monat verzeichnen.

Insgesamt sieht der Artikel im Vorschlag der neuesten Version, die unter anderem Tiemo Wölken wiedergibt, inzwischen allerdings anders aus. Die „Inhalteerkennungstechniken“ werden nicht mehr wörtlich aufgeführt. Vielmehr ist die Rede von einer notwendigen „Autorisierung“ der Inhalte. Und:

The cooperation between online content service providers and rightholders shall not result in the prevention of the availability of works or other subject matter uploaded by users which do not infringe copyright and related rights, including where such works or subject matter are covered by an exception or limitation.

Insgesamt sind viele Einschränkungen im neueren Text zu finden, die den Kompromiss in der EU widerspiegeln.

Ganz entgegen der Aussage von Axel Voss und der CDU/CSU in Europa geht es bei diesem Artikel nun doch um das Filtern von Inhalten.

Denn der Content, der bei Plattformen – wie etwa YouTube – hochgeladen wird, muss automatisiert daraufhin geprüft werden, ob er nicht ein Urheberrecht verletzt. Was zunächst simpel klingt, weist jedoch mehrere Fallstricke auf. Einfache „wirksame Inhaltserkennungstechniken“ sind einerseits sehr kostspielig; da wohl nur große Unternehmen ihre Implementierung stemmen können, rührt der Kompromiss des Rats wohl von dieser Erkenntnis her. Andererseits wird immer wieder befürchtet, dass die Uploadfilter, wie diese Techniken gemeinhin genannt werden, auch per se legalen Content wie Satire oder Persiflagen blockieren würden. Dr. Joachim Jobi, erklärte uns schon vor beinah einem Jahr:

Sollte die Betreiberhaftung in dieser Form ausgeweitet werden, werden klare Anreize gesetzt, um auch solche Inhalte zu blockieren, die rechtmäßig eingestellt wurden (Overblocking). Positive Effekte in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen sind zunächst Spekulation. Die Thematik muss auf andere Art und Weise gelöst werden, ohne Vorabzensur.

Auch die populären Memes würden nicht mehr hochgeladen werden dürfen, wenn geschützte Inhalte verarbeitet werden – was zumeist der Fall ist. YouTubes Content-Stratege Matt erklärt in einem Video für YouTube Creators, wie genau Artikel 13 beispielsweise Videos auf der Plattform blockieren könnte. Er geht sogar so weit zu sagen, dass ein Großteil aller Inhalte geblockt werden müsste, da die Unsicherheit bezüglich des Urheberrechts trotz technischer Lösungen oft nicht direkt behoben werden könnte.

Andere Plattformen wie Facebook, Reddit, Instagram und Co. wären ebenfalls von der Regelung betroffen. Weil zahlreiche Inhalte gelöscht würden, für die es vonseiten der Plattform oder der Website beziehungsweise des Hochladenden keine gesicherte Urheberschaft gibt, wäre die Meinungsvielfalt und -freiheit im Internet eingeschränkt.

Solche Uploadfilter sind nach unserer Einschätzung in keinem einzigen Fall verhältnismäßig. Denn sie führen in der Konsequenz zu einer vorauseilenden Selbstzensur – und das ist das Ende von Innovation und Kreativität nicht nur bei den Usern, sondern auch bei den Geschäftsmodellen der DW, die darauf aufbauen,

so Jobi weiter. Einzuschränken ist die ganze Theorie dann, wenn die Plattform oder Seite Lizenzen für alle hochgeladenen Inhalte vorweisen kann. Gegenüber der WELT erklärt Urheberrechtsexperte Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht:

Wer Vergütungsverträge schließt, auch für die von Nutzern verbreiteten Werke, muss keine Filter einsetzen.

Die Initiative Urheberrecht gehört zu wenigen Stimmen, die die Reform begrüßen.

Viele Expertenstimmen sprechen sich erneut gegen Artikel 13 aus

Schon im Februar 2018 warnte ein offener Brief des Bitkom, des BVDW, des Verbraucherzentrale Bundesverbands und vieler mehr Axel Voss explizit vor der Vorschaltung einer „Zensurinfrastruktur“. Auch heute bleiben die Befürchtungen der Zensur durch Artikel 13 bestehen, bei Nutzern, Unternehmen, Verbänden und selbst Politikern.

Der BVDW rückt nicht von seiner Meinung ab, dass die Meinungsfreiheit im Internet in Gefahr ist. Uns gegenüber wurde bestätigt:

Aus unserer Sicht ist diese Maßnahme ein unverhältnismäßiger Eingriff in die (Meinungs-)Freiheit im Netz.

Im jüngsten Statement meint BVDW-Geschäftsführer Marco Junk: 

Hiermit bringt der europäische Gesetzgeber Werte in Gefahr, für die wir uns als Staatengemeinschaft in Europa eigentlich mit aller Kraft einsetzen sollten. Der Ansatz, kleinere Plattformen von diesem Angriff auf die Meinungsfreiheit auszunehmen, ist kaum ernst zu nehmen. Wir appellieren an das Europäische Parlament, sich auf die europäischen Grundsätze zu besinnen und sich dieser Fehlregulierung mit aller Entschlossenheit entgegen zu stellen.

Dass die Reform trotz der ursprünglichen Ablehnung der Uploadfilter im Koalitionsvertrag nun doch, unter anderem auch von Deutschland, im Rat der Europäischen Union angenommen wurde, deutet laut BVDW auf eine „bedenkliche Tendenz der Politik“ hin. Die Demonstrationen und mediale Kritik sind daher nurmehr nachvollziehbar und notwendig. Auch der Bitkom positioniert sich klar gegen Artikel 13. Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder kommentiert:

Für die Künstliche Intelligenz ist die Urheberrechtsreform ein Schritt nach vorne. In allen anderen Bereichen kennt die Richtlinie nur Verlierer. So hat sich die EU für Upload-Filter und gegen Meinungsfreiheit entschieden. Erst löschen und bei Beschwerde wieder hochladen – das führt das Recht auf freie Rede ad absurdum. Von der uns bekannten Meinungsfreiheit werden wir uns in einem gewissen Maß verabschieden müssen. Europäischen Startups wird es jetzt massiv erschwert, neue Kommunikationsplattformen mit nutzergenerierten Inhalten aufzubauen. Der ausgehandelte Kompromiss für KMU bietet de facto keinen Schutz.

Es bleiben also viele Fachexperten, die sich gegen Artikel 13 aussprechen und die Nachteile sind offenkundig. Mit einem solchen Artikel würde sich die EU im digital-globalen Wettbewerb weiter ins Hintertreffen manövrieren. Trotz der klaren Stimmung gegen den Artikel 13 könnte er noch vor der Europawahl, die in Deutschland am 26. Mai stattfindet, durch die EU-Kommission und das Parlament abgesegnet werden. Dies zu verhindern, haben grundsätzlich die meisten digitalen Nutzer guten Grund.

Wie sieht die Entwicklung in naher Zukunft aus?

Kommende Woche soll es eine Empfehlung des EU-Parlaments geben, Ende März dann eine endgültige Entscheidung. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich zuletzt versöhnlich gegenüber den Uploadfiltern:

Das Internet kann kein Raum sein, in dem geistiges Eigentum nicht geschützt ist […] Wir mussten endlich eine Lösung in Europa finden.

erklärte sie auf dem Digitising Europe Summit, wie das ZDF darstellt. Allzu viel politischen Gegenwind aus Deutschland kann der Vorschlag demnach womöglich ausschließen. Dabei entspricht weder Artikel 13 noch die Anbiederung der Politik den Kernaussagen, die die Bundesriegierung der Kanzlerin auf der eigenen Website zuschreibt:

Merkel warnte vor zu viel Regulierung zu Lasten des Industriestandorts Europa. Europa könnte vor lauter Regulierungsbemühungen den Anschluss an die Industrien der Zukunft verpassen.

Dieser Beitrag bezieht sich auf Artikel 13 des Vorschlags zur EU-Urheberrechtsreform und nimmt keinen konkreten Bezug auf die weiteren Maßgaben des Papiers.

Reformgegner können sich zunächst selbst ein Bild vom Text der Urheberrechtsreform machen und sich gegebenenfalls bei Save The Internet weiter informieren und weiterhin bei der Petition gegen Artikel 13 unterschreiben. Am 23. März ist in deutschen Städten ein großer Aktionstag für Demonstrationen geplant – diese sind jedoch schon in vollem Gange.

UPDATE:

In einem Interview mit DW deutet Axel Voss an, dass die Daseinsberechtigung von YouTube aufgrund des Geschäftsmodells in Frage zu stellen sei:

We all have legal obligations to fulfill. If you have a massive platform like YouTube you will have to use a technological solution. Everyone has these obligations. They have created a business model with the property of other people – on copyright protected works. If the intention of the platform is to give people access to copyright protected works then we have to think about whether this kind of business should exist. The new legislation is improving the situation for the European creators industry.

Diese Aussage ist zwischen den Zeilen gelesen fortschrittsfeindlich im Hinblick auf moderne Entwicklungen im Web und in Social Media.

Kommentare aus der Community

Thomas Ganskow am 23.02.2019 um 14:42 Uhr

Mit Verlaub, von Katharina Barley als Gegnering von Artikel 13 zu sprechen, ist ein schlechter Witz. Als Justizministerin ist sie federführend in der Bundesregierung und hätte zudem auf die Koalitionsvereinbarung verweisen können. Ihre zur Schau gestellte Gegnerschaft ist eben nur eine Show.

Antworten
Thorben am 22.02.2019 um 10:04 Uhr

Danke, gut zusammengefasst. Ich kann es gar nicht glauben, was in Europa in Sachen Digitalisierung derzeit passiert. Beziehungsweise nicht passiert. Das wird uns teilweise um Jahre zurückwerfen :(

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