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Digitalpolitik
Googles Dragonfly vor dem Aus? Datenanalyse zum Projekt in China beendet
Googles Engagement in China sieht sich Hürden gegenüber, © chuttersnap - Unsplash

Googles Dragonfly vor dem Aus? Datenanalyse zum Projekt in China beendet

Niklas Lewanczik | 18.12.18

Das zuständige Datenschutzteam sorgte für den Shutdown des entsprechenden Systems im Kontext von Dragonfly, da es über Einzelheiten im Unklaren gelassen wurde.

Die Möglichkeit einer zensierten Suchmaschinen-App Googles für China wurde vom Unternehmen bestätigt, hart kritisiert und steht weiterhin im Raum. Doch jetzt könnte das Projekt vorerst beendet werden. Das Datenschutzteam hatte keine Kenntnis über die Details eines Systems zur Datenanalyse in China und hat nach internen Beschwerden für dessen Einstellung gesorgt. Wie es nun mit dem als Dragonfly bekannten Projekt weitergeht, bleibt ungewiss.

Dragonfly, das ist Google gegen Googles Werte

Seit Monaten ist der partielle Wiedereintritt Googles in den chinesischen Suchmaschinenmarkt Zentrum eines umfassenden Diskurses. Das Unternehmen hat gute Gründe nach dem Rückzug aus dem bevölkerungsreichsten Land der Erde genau dort wieder Fuß zu fassen. Immerhin ist China wahrhaft eine Größe im Technologie-Sektor, der Markt insgesamt riesig und Google das, was viele Bürgerinnen und Bürger sich dort wünschen würden. Allerdings kaum in der zensierten Version, die die App bedeuten würde.

Bekannt als Projekt Dragonfly wird an dieser zensierten App-Version gearbeitet.

It’s very early, we don’t know whether we would or could do this in China but we felt like it was important for us to explore. I think it’s important for us given how important the market is and how many users there are,

meint Googles CEO Sundar Pichai. Dabei würden nach seinen Angaben 99 Prozent aller Suchanfragen bedient; das fehlende Prozent jedoch würde es den Nutzern verwehren Suchen zu sexueller Orientierung, zu politischer Opposition, freier Rede, bestimmten akademischen Studien und natürlich zum Massaker vom Tiananmen-Platz 1989 auszuführen, beziehungsweise hierzu Antworten zu erhalten. Eine solche Anpassung an die strikte und menschenrechtsfeindliche Zensur in China wurde von der Presse und den eigenen Mitarbeitern bei Google nicht gut aufgenommen. Mit den eigenen Grundsätzen, die Google einst aufstellte, ist so eine App-Version nicht vereinbar:

Unsere Nutzer vertrauen auf die Objektivität von Google, und kein kurzfristiger Nutzen könnte es jemals rechtfertigen, dieses Vertrauen zu brechen.

Die Googler setzten sich für ein integres Unternehmen ein

Dass Googles Mitarbeiter für ein diverses und möglichst demokratisches Umfeld einstehen, hat bereits der Google Walkout gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung im Tech-Unternehmen gezeigt. Zuletzt hatten sich über 400 Mitarbeiter bei Google im offenen Brief auch eindeutig gegen Dragonfly positioniert:

Our opposition to Dragonfly is not about China: we object to technologies that aid the powerful in oppressing the vulnerable, wherever they may be,

hieß es darin. Des Weiteren forderten sie Transparenz und eine klare Kommunikation vonseiten der Führungsriege Googles:

Google is too powerful not to be held accountable. We deserve to know what we’re building and we deserve a say in these significant decisions.

Eine Aufgabe des Projekts wurde schließlich als Ziel vorgegeben.

Google ließ Transparenz vermissen und hat das Projekt gefährdet

Die geforderte Transparenz hat Google in der Projektentwicklung anscheinend nicht aufgebracht. Denn nun berichtet The Intercept, dass Dragonfly vor dem Aus steht, da das zugrunde liegende Analysesystem nach einer Konfrontation des Datenschutzteams mit führenden Kräften im Unternehmen auf Eis gelegt wurde. Somit könnten die Gegenstimmen auf Abwegen zu ihrem Willen kommen.

Laut The Intercept waren Mitglieder des Datenschutzteams darüber im Dunkeln gelassen worden, dass Google mit Hilfe der chinesischen Website 265.com, einem Webverzeichnis, eine Art Marktanalyse zum Suchverhalten der chinesischen Internetgemeinde durchgeführt hatte. Das ganze Analysesystem war nur einzelnen Personen bekannt und Mitarbeiter aus dem Datenschutzteam haben intern Beschwerden verlauten lassen.

265.com gibt an, Chinas meistbesuchte Homepage zu sein. Diese Seite gehört seit 2008 Google und versorgt Nutzer mit Werbung, Horoskopen, News und Finanzmarktinformationen. Jegliche Suchanfragen auf der Seite werden an den Marktführer in Sachen Suchmaschinen in China, Baidu, weitergeleitet. Während nun Informationen von The Intercept zufolge hochrangige Entwickler Zugang zu großen Datensets hatten, die von 265.com extrahiert wurden und sich auf das Suchverhalten bezogen, war die Art der Nutzung der Website dem Datenschutzteam Googles vorenthalten worden. Mit den Datensets und einem Tool namens BeaconTower erstellte Google die prototypische Version von Dragonfly. Dank der Informationen konnte Google auch Websites, die durch die chinesische Regierung blockiert werden müssen, erkennen und diese „Blacklist“ in die eigene App integrieren. Zu blockierten Seiten gehören auch jene von Wikipedia oder der BBC.

Da eine solche Art der Analyse von Suchanfragen Regularien untersteht, die vom Datenschutzteam zu überwachen sind, dieses aber nicht umfassend eingeweiht war, ergibt sich nun ein Problem, das das Ende von Dragonfly bedeuten könnte.

Die Analyse wird ausgesetzt

Wie The Intercept weiter berichtet, war das Datenschutzteam Googles erst durch Enthüllungen des Publishers auf die Praktiken im Kontext von 265.com aufmerksam geworden und entsprechend ungehalten. Dieses Team konfrontierte die führenden Kräfte bei Dragonfly. Mit der Folge, dass die Entwickler zunächst keinen Zugriff mehr auf 265.com haben, um ihre Analyse fortzuführen. Das bedeutet für das Projekt jedoch vorerst ein kaum zu überwindendes Hindernis. Eine Quelle aus dem Unternehmen wird wie folgt zitiert:

The 265 data was integral to Dragonfly. Access to the data has been suspended now, which has stopped progress.

Viele Entwicklerteams sind inzwischen mit anderen Analyseprojekten in Indien, Brasilien, Russland, Indonesien usw. betraut. Auch werden globale chinesische Suchanfragen aus anderen Ländern analysiert – diese bieten aber keine vergleichbare Grundlage zu den Daten von 265.com. Yonatan Zunger, 14 Jahre lang bei Google tätig, betonte im November, dass Scott Beaumont, der für Google China und Dragonfly verantwortlich ist, nicht glaube

that the security, privacy, and legal teams should be able to question his product decisions.

Das entspreche nicht der Norm bei Google. Nun ist das Projekt, das internen Angaben zufolge im Frühjahr 2019 zu einem Launch der zensierten Suchmaschinen-App in China hätte führen sollen, zunächst auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Zwar scheint es derzeit, dass sich das Integritätsbestreben der Mitarbeiter Googles durchgesetzt habe. Doch Google wird die bisherigen Erkenntnisse nicht einfach in den Wind schreiben. Und das Ziel, in China wieder eine lukrative Präsenz zu etablieren, wird fortbestehen. Die Frage, die bleibt, ist: rudert das Unternehmen zurück oder übergeht es die Bedenken von Mitarbeitern, Politikern und Menschenrechtlern? Dass Google vor großen Tech-Märkten Halt macht, erscheint unterdessen nicht als wahrscheinlichstes Szenario.

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