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Karrieretipps
Strenges Bewerbungskriterium: Arbeitnehmer müssen ständig erreichbar sein

Strenges Bewerbungskriterium: Arbeitnehmer müssen ständig erreichbar sein

Michelle Winner | 04.03.20

Eine US-Unternehmerin hat klare Anforderungen an ihre Mitarbeiter: Sie sollen eine hohe Arbeitsmoral haben und immer an die Arbeit denken. Ein guter Vorsatz oder übertriebener Stressfaktor?

Feierabend bedeutet, abzuschalten und die Arbeit hinter sich zu lassen – oder? Zumindest handelt es sich hier um das Wunschdenken der meisten. Dass die Realität anders aussieht, ist kein Geheimnis. Die Gedanken von der Arbeit zu lösen, fällt vielen Arbeitnehmern schwer. Ebenso gibt es Arbeitgeber, die ständige Erreichbarkeit voraussetzen. Dadurch entsteht ein Druck für die Mitarbeiter, der Einfluss auf Leistung und geistiges Wohlbefinden nimmt und sogar bis zum Burnout führen kann. Kein Wunder also, dass in Diskursen rund um diese Problematik immer wieder Konzepte entwickelt werden, die präventiv wirken und dafür sorgen sollen, dass Freizeit auch wirklich Freizeit heißt. Unternehmerin Erika Nardini sieht dies jedoch anders. Für sie ist ständige Erreichbarkeit sogar ein Einstellungskriterium.

Ihre Mitarbeiter sollen ständig an die Arbeit denken

In einem Interview mit der New York Times erklärt Erika Nardini, Chief Executive von Barstool Sports, ihren Führungsstil. Sie wollte schon immer eine Leaderin sein und hat schon während der Schul- und Studienzeit Führungspositionen übernommen. Nun arbeitet sie in der Chefetage eines US-Unternehmens. Ihren Führungsstil beschreibt sie als „pushing“, also äußerst fordernd. Wenn sie an etwas glaubt oder möchte, dass etwas besser läuft, treibt sie, laut eigener Aussage, ihre Angestellten auch schon mal bis zur Erschöpfung an. Ausdauer und Antrieb wertschätze sie besonders. Nardini gesteht ein, dass es nicht immer ums Gewinnen gehen muss, jedoch sollte ihr Team alles dafür Mögliche geleistet haben. Um sich ein solch strapazierbares Team zusammenzustellen, geht sie im Bewerbungsverfahren einen sehr speziellen Weg. Sie erklärt:

If you’re in the process of interviewing with us, I’ll text you about something at 9 p.m. or 11 a.m. on a Sunday just to see how fast you’ll respond.

Die Antwort erwartet Nardini innerhalb von drei Stunden. Angeblich würde sie ihre Angestellten nicht das ganze Wochenende über belästigen, jedoch erwartet sie die ständige Erreichbarkeit. Zudem vertritt Nardini die Einstellung, wenn sie selbst ununterbrochen an die Arbeit denken muss, sollten ihre Mitarbeiter das auch tun. Für sie stellt das Ganze ein Zeichen für Engagement und Motivation dar – für andere kann es wie moderne Ausbeutung wirken.

Überengagement ist eine gefährliche Angewohnheit

Vielen Arbeitnehmern fällt es von Natur aus schwer, die Arbeit aus ihren Gedanken zu vertreiben. Eine Führungskraft, die aber das Denken an den Job und ständige Erreichbarkeit voraussetzt, steht auf einem ganz anderen Level und sollte dementsprechend kritisch hinterfragt werden. Man könnte behaupten, mit ihrer Einstellung nutzt Nardini den „Märtyrerkomplex“ von manchen Arbeitskräften aus. Besonders betroffen von diesem sind laut einer Studie die Millennials, die sich teilweise damit rühmen, wenig Auszeiten zu nehmen. Doch Engagement hin oder her, dieser fragwürdige Ruhm kann sich schnell ins Negative entwickeln. So sind junge Arbeitnehmer besonders häufig von psychischen Leiden betroffen.

Natürlich sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Arbeitsmoral in den USA eine andere ist als hier in Deutschland. Und ebenso gibt es Arbeitnehmer, die für ihren Job brennen – im positiven Sinne – und das Überengagement in gesunden Ansporn und Kreativität umwandeln. Dennoch sollte sich immer Zeit für die Regeneration genommen werden. Dazu gehört es eben auch, die Arbeit aus den Gedanken zu zwingen und den Firmenchat auf stumm zu schalten – um so den Stress zu vermindern.

Arbeitgeber sind für die ausgewogene Work-Life-Balance verantwortlich

Im Verlauf des Interviews erklärt Nardini, dass bereits junge Arbeitnehmer lernen müssen, mit Unbehagen umzugehen:

Any young person should, at some point, take a job that makes them uncomfortable and that they feel unqualified for. It’s really great to feel uncomfortable, and you change so much as a person from that. I also say that work ethic matters more than most anything.

Betrachtet man diesen Rat wie folgt, klingt er gar nicht verkehrt: Eine junge Person soll aus dem Unbehagen stärker hervorgehen und sich zum einen bewusst werden, welche Ansprüche sie an den nächsten Job stellt. Zum anderen soll sie aber auch lernen, dass nicht immer alles perfekt und glatt läuft. Kritischer ist die Aussage jedoch, wenn man sie als „Abfinden“ interpretiert. Heißt, dass Angestellte sich mit bestimmten (schlechten) Arbeitskonditionen abfinden sollen. Das muss nicht sein, denn jeder Arbeitnehmer hat ein Recht auf ein gesundes Arbeitsklima, Ruhezeiten und darauf, einfach mal „Nein, jetzt nicht“ zu sagen, wenn der Arbeitgeber in der Freizeit anruft.

Engagement und Produktivität messen sich nicht an der Arbeitszeit

Um gute Ergebnisse zu erzielen und das Unternehmen voranzutreiben, muss ein Mitarbeiter nicht ununterbrochen an die Arbeit denken oder ständig den Firmenchat und Co. im Auge behalten. Dieses Verhalten zu verlangen und danach einzustellen, stellt potenziellen Talenten eine Hürde in den Weg und ist außerdem überholt. Denn erwiesenermaßen bedeutet mehr „Arbeitszeit“ nicht automatisch mehr Produktivität oder bessere Leistungen. Nardini ist jedoch nicht die einzige Führungskraft mit einer solch fordernden Einstellung, deshalb hier noch mal eine Erinnerung an die Chefetagen: Gebt euren Mitarbeitern Freiheiten, anstatt sie bis ans Limit zu pushen und ständige Erreichbarkeit sowie Überstunden und Extra-Engagement zu verlangen. Der damit verbundene Stress kann zu schlechteren Ergebnissen führen und, noch schlimmer, zu ernsthaften psychischen sowie physischen Erkrankungen bei den Angestellten. Ein bisschen Engagement zu fordern und zu versuchen, die Mitarbeiter zu motivieren, ist kein Problem. Nur übertreiben solltet ihr es damit nicht.

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