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Human Resources
Structured Hiring gegen Voreingenommenheit beim Einstellungsprozess

Structured Hiring gegen Voreingenommenheit beim Einstellungsprozess

Caroline Immer | 07.10.21

Wie können Unternehmen dafür sorgen, dass gleichqualifizierte Bewerber:innen auch die gleichen Chancen haben? Colm O'Cuinneain von Greenhouse erklärt im Interview, welche Maßnahmen, wie etwa Structured Hiring, gegen Vorurteile helfen.

Dass es in der Arbeitswelt nicht immer nur auf Können und Erfahrung ankommt, ist kein Geheimnis. Noch immer werden Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts und vieler weiterer Faktoren diskriminiert – auch beim Vorstellungsgespräch. Unbewusste Vorurteile führen oftmals dazu, dass eigentlich qualifizierte Menschen dennoch auf der Strecke bleiben. Wie können Unternehmen dieser Voreingenommenheit entgegenwirken? Und wie können hierbei datengesteuerte Prozesse wie das Structured Hiring helfen?

Diese Fragen kann Colm O’Cuinneain, Geschäftsführer für EMEA bei Greenhouse, beantworten. Das Unternehmen entwickelt Software, die den Einstellungsprozess optimieren soll und auf Verfahren wie Structured Hiring setzt. O’Cuinneain sagt: „Vorurteile sind menschlich“. Und dennoch gibt es Wege und Mittel, diese effektiv zu hinterfragen und abzubauen.

Im Interview verrät er, wieso es gerade beim Einstellungsprozess so wichtig ist, die eigene Voreingenommenheit zu hinterfragen und wie datengesteuerte Prozesse einem Unternehmen zu mehr Diversität verhelfen können. Er erklärt außerdem, inwiefern Structured Hiring den Einstellungsprozess effizienter machen kann, und warum Unternehmen von mehr Vielfalt auf allen Ebenen profitieren.

Das Interview

OnlineMarketing.de: Wieso ist die Überwindung von Voreingenommenheit und Vorurteilen gerade für HR-Verantwortliche so wichtig?

Colm O’Cuinneain: Voreingenommenheit ist eine der Grundlagen, die Menschen heranziehen, um eine Entscheidung zu treffen. Sie ist eine Vereinfachung, die auf frühere Informationen, Hörensagen und Stereotype zurückgreift. In vielen Fällen ist eine gewisse Voreingenommenheit natürlich hilfreich und sogar lebenswichtig. Denn wenn wir tatsächlich alle Reize, die in einem bestimmten Moment auf uns einwirken, in uns aufnehmen müssten, wären wir überfordert und nicht in der Lage, zu überleben. Gleichzeitig sind wir, wenn wir uns auf diese geistigen Vereinfachungen verlassen, aber auch anfälliger für Fehler. Wir müssen besonders umsichtig sein, wenn wir Entscheidungen in Bezug auf Menschen treffen. Wir wissen, dass integrative Unternehmenskulturen stärkere Unternehmen schaffen und dass Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten, die ihr wahres Selbst offenbaren, das gesamte Arbeitsumfeld bereichern. Und da HR-Verantwortliche in der Regel den ersten Kontaktpunkt zum Unternehmen bilden, ist es besonders wichtig, von Anfang an eine Sensibilität für den sogenannten „Bias” zu schaffen.

Können auch Menschen, die sich für Diversität und Inklusion einsetzen, unbewusst voreingenommen sein? 

Vorurteile sind menschlich. In der Regel fällt in den ersten fünf bis zehn Sekunden die Entscheidung, ob uns jemand sympathisch ist oder nicht. Der restliche Teil der Zeit wird dann unbewusst dafür verwendet, diese Voreinstellung rückzubestätigen. Nur wenn wir Personen auf ihre eigene Voreingenommenheit aufmerksam machen, können sie eine integrative Denkweise anwenden und das Konzept von Vielfalt, Gleichheit und Inklusion während des gesamten Einstellungsprozesses umsetzen. Das Einstellverfahren ist einer der ersten und wichtigsten Schritte, um Vielfalt, Gleichheit und Inklusion erfolgreich in der Unternehmenskultur zu verankern.

Noch immer werden Frauen in Führungspositionen nicht ernst genommen und hinterfragt. Spiegelt sich dies bereits beim Einstellungsprozess wider?

Zwar ist die Zahl der Frauen in höheren Führungspositionen in den letzten fünf Jahren gestiegen, dennoch sind Frauen auf allen Ebenen weiterhin unterrepräsentiert. Wenn Interessen nicht gleichermaßen vertreten werden, kann es dazu führen, dass Mitarbeitende diskriminiert werden –  und manche Mitarbeiter:innen sind sich möglicherweise nicht einmal bewusst, dass dies geschieht. Das gilt übrigens für sämtliche unterrepräsentierte Mitarbeitenden. Ein erster Schritt, dem entgegenzuwirken und ein Unternehmen zu werden, das Diversität lebt, ist, sich diesen Umstand zunächst einmal bewusst zu machen. Während vielfach bereits Verständnis für Diversität und Inklusion besteht, hapert es oftmals noch bei der Umsetzung. So geben HR-Verantwortliche an, dass sie die Faktoren in der Theorie erkannt haben, um Vielfalt und Diversität zu steigern. Im Tagesgeschäft fehle ihnen allerdings häufig die Zeit, diese auch zu priorisieren.

Was versteht man unter Structured Hiring?

Ein strukturierter Ansatz hilft dabei, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen und dadurch die Voreingenommenheit von Interviewer zu mindern. Somit werden eine einheitliche Bewertung von Bewerber:innen und ein fairer Einstellungsprozess gewährleistet. Wir wissen, dass ein strukturierter Einstellungsprozess ein Garant dafür ist, die richtigen Talente für die richtige Position zu finden. Das mag manchmal aufgrund der Fülle von potenziell geeigneten Kandidat:innen etwas dauern. Aber die Vielfalt der Mitarbeitenden ist entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens, und Führungskräfte sollten sich nie mit weniger zufrieden geben.

Wieso brauchen Unternehmen datengesteuerte Prozesse, um Voreingenommenheit entgegenzuwirken? Geht das nicht auch ohne Hilfsmittel?

Daten und bewährte Verfahren beim Einstellungsprozess schaffen Klarheit für Personalverantwortliche, Einstellungsteams und Bewerber:innen. Beispielsweise helfen Daten-Dashboards Prozesse transparent zu gestalten, und durch gleiche Standards im Rahmen von datengesteuerten Prozessen haben Mitarbeitende im Recruiting gleichzeitig auch mehr Autonomie. Für Bewerber:innen wird der gesamte Bewerbungsprozess darüber hinaus fair und nachvollziehbar gestaltet, was zu einem besseren Bewerbungserlebnis bei potenziellen Kandidat:innen führt. Und dies wiederum ist essentiell für den Aufbau eines Bewerber:innen-Pools. Denn auch wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin für eine bestimmte Position nicht passend ist, kann dieser Bewerber oder diese Bewerberin für eine andere Stelle passend sein. Aber nur wenn die Bewerbungserfahrung positiv war, macht ein Bewerber:innen-Pool Sinn. Mit einem datengesteuerten Prozess ist dies transparent und für alle Parteien nachvollziehbar möglich.

Welche weiteren Vorteile kann Structured Hiring neben der Förderung von Diversität für Unternehmen haben? 

Es gibt viele Gründe, warum Unternehmen sich dafür entscheiden, Vielfalt in ihren Organisationen zu einer Priorität zu machen. Man will eine stärkere Firma aufbauen, man möchte „gesellschaftlich korrekt handeln“ oder oft auch nur negative Publicity vermeiden.
Einstellungsverfahren sollten darüber hinaus immer strategisch sein und erfolgreiche Unternehmen wissen, dass erfolgreiche Einstellungen eine strategische Maßnahme sind. Hierfür brauchen Einstellungsteams jedoch eine solide Grundlage für ihre Kernprozesse. Mit Structured Hiring werden die Produktivität und Effizienz der HR-Teams durch automatisierte Prozesse gesteigert. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Zusammenarbeit innerhalb der Teams aus, denn so haben die HR-Verantwortlichen mehr Zeit, sich auf die Bewerber:innen zu konzentrieren. Wenn also Einstellungsentscheidungen datenbasiert getroffen werden, kann ein Unternehmen insgesamt strategischer vorgehen, damit Voreingenommenheit reduzieren und die Einstellungseffizienz insgesamt verbessern.

Beim Structured Hiring werden Stellenausschreibungen samt Qualifikationen genau definiert. Es ist nicht vorgesehen, dass Aufgabenbereiche von den neuen Mitarbeiter:innen selbst festgelegt werden. Könnte hierbei nicht ungeahntes Potenzial verloren gehen?

Beim Structured Hiring werden beispielsweise Interview Kits verwendet, die helfen sicherzustellen, dass relevante Fragen gestellt werden, um die Fähigkeiten eines Bewerbers beziehungsweise einer Bewerberin zu bewerten, während Berichtsbögen ermöglichen, den Prozess zu objektivieren. Anstatt sich auf ein Bauchgefühl zu verlassen (oder sich von Voreingenommenheit beeinflussen zu lassen), ermöglicht dieses System Unternehmen, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, ob Bewerber:innen eingestellt werden oder nicht. Wie sich der/die Mitarbeitende dann entwickelt und welche zukünftigen Aufgaben eine Person übernehmen wird, steht damit nicht im Widerspruch.

Was können Führungspersonen und HRler:innen tun, um die Vorurteile der eigenen Mitarbeiter:innen gegenüber Kolleg:innen anderer Ethnien, Geschlechter etc. aktiv abzubauen? 

Bei der Priorisierung von Vielfalt, Gleichheit und Inklusion beginnen viele Unternehmen bei den Personalbeschaffungs- und Einstellungspraktiken und führen spezifische Programme ein, wie zum Beispiel Schulungen zur unbewussten Voreingenommenheit. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Implementierung von Vielfalt, Gleichheit und Inklusion eine Aufgabe ist, die die Unternehmenskultur maßgeblich betrifft. Und eine Veränderung in der Kultur lässt sich nicht einfach anordnen, sondern muss von Anfang an gelebt werden. Damit sind weitere Investitionen in verschiedene Bereiche notwendig. Denn die Verantwortung, gegen Vorurteile vorzugehen, endet nicht, wenn jemand das vorliegende Jobangebot annimmt. Es ist daher essentiell, sich Gedanken darüber zu machen, wie Mitarbeitende mit unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten an das Unternehmen gebunden und vor allem individuell gefördert werden können. 

Die Reduzierung von Voreingenommenheit und Prozesse wie Structured Hiring sorgen für mehr Diversität. Wie können Teams von dem Plus an Vielfalt profitieren?

Wir bei Greenhouse glauben, dass eine Unternehmenskultur, der sich alle Mitarbeitende zugehörig fühlen, wesentliche Voraussetzung ist. Nämlich dafür, dass Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten ihre wahre Persönlichkeit offenbaren und ihre Arbeit dadurch den größtmöglichen Mehrwert für das Unternehmen schafft. Studien haben gezeigt, dass Vorurteile und mangelnde Diversität schlecht für das Geschäft sind. Daher haben viele Unternehmen damit begonnen, sich auf allen Ebenen verstärkt auf Vielfalt, Gleichheit und Inklusion zu konzentrieren. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter:innen richtig einstellen, nutzen den stärksten nachhaltigen Wettbewerbsvorteil: die Einstellung von Top-Talenten. Denn das wichtigste Kapital, in das ein Unternehmen investieren kann, sind seine Mitarbeitenden.



Wir bedanken uns recht herzlich bei Colm O’Cuinneain und Greenhouse für das Interview und die umfassenden Insights zu den Themen Voreingenommenheit beim Einstellungsprozess und Structured Hiring.

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