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Marketinginnovationen statt klassischer Markenbildung

Marketinginnovationen statt klassischer Markenbildung

Johann Peters | 24.09.19

„Die klassische Markenbildung ist tot.“ Prof. Dr. Jürgen Seitz, Professor für Marketing, Medien und Digitale Wirtschaft, eröffnet seine Präsentation über Marketinginnovationen auf der OMK 2019 sinngemäß mit einer polarisierenden Aussage.

Die Formen der Kundenbindung an das Unternehmen haben sich von dem Aspekt der Sympathie für die Firmenphilosophie auf die Erfüllung der individuellen Kundenbedürfnisse geändert. Dies ist jedoch kein Persona Based Marketing-Vortrag, er fasst die Kunden im Aspekt von Marketinginnovationen in ihren Grundbedürfnissen zusammen.

 „Are you in love with anybody else? How many others?“ – „641“

Dieser sinngemäß wiedergegebene, willkürlich wirkende Satz stammt aus dem Film Her. Ein Film, in dem sich Theodore in ein intelligentes, sprachgesteuertes Betriebssystem verliebt, da es ihn auf tiefster Ebene versteht. Die Parallele hierzu zieht sich insoweit, dass ein personalisiertes Erlebnis eine Kundenbindungsmaßnahme ist, die sich über logische Argumente stellt. Der Student, der sich den halben Monat von 59 Cent Tiefkühlpizza ernährt und Ramen isst, hat jedoch Spotify Premium, weil es ihm seine Lieblingsmusik liefert und Netflix, da es ihm Filme und Serien vorschlägt, die ihm gefallen können. Das personalisierte, auf ihn zugeschnittene Ergebnis hält den Nutzer am Produkt.

Welche Marketinginnovationen spielen eine entscheidende Rolle für die Kundenbindung?

Prof. Dr. Jürgen Seitz von der Hochschule der Medien Stuttgart erzählt kurz, dass das gesamte Bild nicht länger eine entscheidende Rolle spielt und ermutigt das Publikum zu etwas Engagement zur Erläuterung. Er bittet es aufzustehen und fordert auf sich zu setzen, sobald seine Frage mit einem positiven Feedback beantwortet wird.

Wer hat dieses Jahr noch nicht bei Amazon gekauft?

Man hört verlegenes Lachen. Der Saal sieht sich um und beobachtet gespannt seine Mithörer. Tatsächlich setzen sich zwei Personen. Er wiederholt die Frage mehrfach mit einer immer kürzer werdenden Zeitspanne und tatsächlich steht ein großer Teil des Publikums noch, als er bei einer Woche angekommen ist.

Die folgende Aufforderung nun aufzustehen, wenn man kompromisslos die Firmenphilosophie und Unternehmenskultur Amazons unterstützt, wird nur von einer Person befolgt. Dieses Beispiel verdeutlicht seinen Einführungssatz, klassische Markenbildung, die Bindung des Kunden an das Unternehmen, fokussiert sich nicht weiter auf den holistischen Gesamteindruck des Unternehmens, sondern auf Teilaspekte. Am Beispiel von Amazon wären dies beispielsweise die außergewöhnliche Kundenkulanz, die breite Masse an Produkten und die schnellen Lieferzeiten. Der Nutzer sieht hier einen Vorteil für sich und bestellt in diesem Unternehmen, trotz des Wissens dass auch dieser E-Commerce-Riese seine Fehler hat.

Hillary Clinton - Marketinginnovation PR Kampagne als Wahlkampagne
„Hillary for America“, © Barbara Kinney

„Jede gute Geschichte verdient es ausgeschmückt zu werden“

Dieses Bild tauchte im Wahlkampf von Hillary Clinton 2016 vermehrt im Internet auf und wurde heftig diskutiert. „Ein Selfie mit einer Berühmtheit zu schießen scheint heute mehr wert zu sein als die Person wirklich zu sehen.“Diese und ähnliche Aussagen findet man auf zahlreichen Nachrichtenportalen, Social Media-Plattformen und in Politikforen. Die Wahrheit hinter diesem Bild wurde erst später bekannt, denn der anscheinende „Selfie-Wahn“, wie es gerne kommentiert wird, war eine reine Marketingmaßnahme des PR-Chefs von Hillary Clintons Wahlkampagne. Da ist es auch wenig verwunderlich, dass dieses Bild direkt von Clintons Kampagnenfotografin aufgenommen wurde.

Doch was hat sie davon? Aufmerksamkeit. Dieses Bild wurde geliked, getwittert, geteilt und kommentiert. Eine schier endlose Menge an Kommentaren rückte die Kandidatin weit in den Vordergrund. Die Kampagne des PR-Chefs richtete sich auf eines der zentralen Bedürfnisse des Nutzers oder Kunden. Den sozialen Aspekt – Kommunikation.

Facebook ist der größte Contentpublisher weltweit – mit gemischten Qualitätsbeiträgen – ohne eigene Artikel zu veröffentlichen. Es erkannte frühzeitig eine der Faktoren für ein erfolgreiches Produkt. Was wünscht sich der Kunde? Sich selbst mitzuteilen. Seinen Genuss mit Anderen zu teilen erfüllt auch den Nutzer selbst mit Freude. Hier appelliert er nur bedingt an die Festigung des eigenen Status, sondern an Geselligkeit und Aufgeschlossenheit.

Personal Experience

Die persönliche Erfahrung, die wir selbst oder mit Anderen zusammen machen, verbessert unser Bild des Produktes oder Unternehmens. Walt Disney verknüpft Disneyland und die Märchen und Geschichten, die uns seit unserer Kindheit begleiten, mit einem geselligen Aspekt.

In einem weiteren Versuch stellte Seitz dies klar, er bat das Publikum diese Wahlkampagnen-Szene nachzuspielen. Das Licht ging an und die Leute stellten sich mit ihrem Smartphone hin, den Rücken voran, um mit Seitz im Hintergrund ein Selfie zu machen. Widerwillig und verlegen stand das Publikum da, fotografierte sich und setzte sich schnell wieder. Die Stimmung wirkte deutlich angespannt und es wurde darauf gewartet, dass Seitz erklärte, warum dies getan werden sollte.

Stattdessen wiederholte sich diese Aufgabe. Mit dem Unterschied, sich zuvor bei seinem Nebenmann vorzustellen und dieses Selfie diesmal mit dem Sitznachbarn zu machen. Und noch bevor Seitz dies erklären konnte, lockerte sich die Stimmung auf. Man hörte sporadisch Leute auflachen, Seitz wanderte auf der Bühne umher und ließ es zu einer Herausforderung werden, ihn mit aufs Bild zu kriegen.

OMK 2019 - Online Marketing Konferenz -Vortrag Marketinginnovationen - Selfie Experiment mit Dr. Jürgen Seitz

Er verdeutlichte hiermit, dass uns Interaktionen mit Anderen zu einer besonders engagierten Teilnahme verleiten und Unternehmen hierauf eingehen sollten, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Dies sieht man unter anderem deutlich an den Erfolgen von Social Media-Plattformen wie Facebook, Instagram oder auch Jodel.

I NEED IT!

Morgens wacht man zum Klingeln des Weckers auf, sieht sich das Wetter an, liest die Nachrichten, macht sich Musik an und geht auf den Weg zur Arbeit. All das mit einem Gerät. Smartphonehersteller haben diese wichtige Lektion perfektioniert. Sie haben eine Abhängigkeit zu ihrem Produkt erstellt. Denn wenn wir auf dem Weg zur Arbeit feststellen, dass unser Handy noch auf dem Küchentisch liegt, fühlen wir uns nicht mehr wohl; oder drehen wir um, um das Handy zu holen?

Und damit kommen wir schon zu der Kernessenz für den Erfolg von Markenbildung: Convenience – Bequemlichkeit.

Seitz fasst dieses Konzept in drei unvorteilhaft klingenden Punkten zusammen

  • Selfishness – Selbstsucht
  • Vain – Eitelkeit
  • Laziness – Faulheit

Selbstsucht: Negativ behaftet, doch im Kern fragt sich der Nutzer nur: Was ist drin für mich? Warum sollte ich dem Fremden von Viva con Agua meine Daten geben. Warum meine Unterschrift für eine Petition, warum sollte ich spenden, warum sollte ich mir eine App herunterladen? Der Nutzer braucht einen direkten Nutzen oder Vorteil, den er aus der Sache ziehen kann.

Auch wenn er damit manchmal nur seine Eitelkeit stillen möchte. Unterschreiben wir die angesprochene Petition zum Stoppen der Abnutzung der Regenwälder sehen wir unseren direkten Vorteil nicht und haben auch keinen garantierten, nachgewiesenen Erfolg. Aber wir fühlen uns besser, wir füttern unser Ego und bauen uns ein Image auf.
Natürlich kann sich die Eitelkeit nicht nur auf einen Imageaufbau beziehen, oft bezieht sie sich auch auf die Gründung eines Statussymbols. Von Geschäftsführern eines Großkonzerns wird erwartet eine gewisse Außenwirkung zu haben, käme einer zu einem Vertragsgespräch internationaler Kunden mit einem 1998 Toyota Corolla, könnte dies – je nach Branche – seine Verhandlungsposition schwächen. Es muss aber nicht direkt einen Zusammenhang zwischen Statussymbol und Konsequenz geben. Jedes Jahr kommt aufs Neue ein neues iPhone heraus mit marginalen Änderungen, die wir meist auch nicht so exzessiv nutzen, dass es uns einen praktischen Vorteil bringen würde. Dennoch erreicht Apple jedes Jahr aufs Neue Verkaufsrekorde.

Wir kaufen Marken, um unser Verlangen der Zurschaustellung unserer Außenwirkung zu befriedigen.

Auch das Understatement, das Verleugnen einer Markenaffinität stellt eine Form der Eitelkeit dar, wir wollen die Leute wissen lassen, dass wir nicht auf Marken achten.

Warum fahren so viele Stars einen Tesla? Tesla als Unternehmen hat einen gnadenlos guten Ruf, es ist gut für die Umwelt, das Unternehmen ist zukunftstauglich und der Geschäftsführer besitzt den Status eines Pop-Stars. Dass das Produkt Mängel hat und momentan nur wenige Vorteile bringt, ist in diesem Fall nebensächlich, mit dem Appell eines Teslas an das repräsentative Image des Fahrers bauen wir somit ein Image des Naturschützers auf und immunisieren uns gegen negatives Feedback.

Faulheit und Bequemlichkeit wirken im ersten Moment gleich, dabei wird der Unterschied beachtet, dass wir etwas nicht tun wollen oder einfach, um zu wissen, dass es einen besseren Weg gibt. Einen Weg, der uns Zeit und Arbeit sparen kann. Das „Taxiunternehmen“ Uber ist in kürzester Zeit erfolgreich geworden, da wir uns um nichts mehr kümmern müssen. Wir bestellen uns per App ein Uber, steigen ein, steigen aus. Keine Konversation, die man nicht führen will, kein Bezahlvorgang und kein Warten bis der Taxifahrer die Adresse eingegeben hat. Uber nimmt Arbeit ab, von der man nicht wusste, dass man sie hat.

Etwas realitätsnäher und alltäglicher ist das Beispiel eines Staubsaugerroboters. Von den anfänglichen zufälligen Bewegungen des Roboters zum Start der Staubsaugerroboterinnovation ist ein 3D-Scan-System mit zielgerichteten Bewegungen und Zeitschaltautomatik geworden. Einzig den Beutel muss man nach einiger Zeit leeren und auch hier wird es sicherlich bald eine bequeme Lösung geben.

Fazit

Wie gestaltet man also Produkte, um Kunden erfolgreich zu binden? Nach Seitz liegt die geheime Formel darin, dem Nutzer anzubieten sich mit anderen auszutauschen, ihm das Gefühl zu geben, ohne das Produkt nicht leben zu können, ihm einen nennenswerten Vorteil zu bieten, ein Image mit dem Produkt zu vermitteln und ihm damit eine enorme Zeitersparnis zu geben.

Die Bedürfnisse eines Menschen unterscheiden sich im Grunde nicht groß von denen seiner Mitmenschen. Einzelne individuelle Vorlieben wird es immer geben, doch angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und des Zuwachs an Signifikanz, der Big Data gewidmet wird, stellt Seitz seine Hypothese in den Raum, dass die KI-getriebene datenbasierte Personenanalyse zum Aufbau der Markenbildung zwar hilfreich, aber nicht notwendig ist, um das Grundkonzept der Kundenbedürfnisse zu verstehen und somit selektiv in die breite Maße zu sprechen. Stattdessen sollte man dem Kunden mit dem eigenen Produkt das Leben vereinfachen und ein Lebensgefühl vermitteln.

Kommentare aus der Community

nk am 27.09.2019 um 15:19 Uhr

„Der Student, der sich den halben Monat von 59 Cent Tiefkühlpizza ernährt und Ramen isst, hat jedoch Spotify Premium, weil es ihm seine Lieblingsmusik liefert und Netflix, da es ihm Filme und Serien vorschlägt, die ihm gefallen können. Das personalisierte, auf ihn zugeschnittene Ergebnis hält den Nutzer am Produkt.“

Das scheint mir doch eher Quatsch zu sein. Die klassischen Gründe dürften
– Preismodell
– Breite des Angebots (also welcher Dienst bietet welche Serien/Bands, welcher Serien im Originalton u.ä.) und Preis-/Leistungsverhältnis
– Verfügbarkeit und Teilbarkeit (-> Kosten)
– Partner-Angebote (z.B. StreamOn -> Kosten)
zu sein. Personalisierung bestimmt eher die Häufigkeit der Nutzung und vielleicht das Absprungverhalten.

Antworten
Johann Peters am 30.09.2019 um 10:09 Uhr

Hi,

danke für deinen Kommentar.

Natürlich gibt es bei einer Entscheidung für die Treue zu einer Marke, wie Spotifiy, häufig mehr als nur einen Teilaspekt, Personalisierung spielt dabei eine zentrale Rolle. Nach meiner Erkenntnis.

Die von dir genannten Punkte sehe ich eher als primären Fokus in der initialen Wahl des Streaminganbieters, die aber selbstverständlich auch eine Rolle für die Bindung spielen.

Die Welt ist nun mal nicht schwarzweiß.

Mit freundlichsten Grüßen,
Johann

Antworten
Marco Ludwig am 26.09.2019 um 15:26 Uhr

Das ist mir doch etwas zu einseitig und flach gedacht. Die klassischen Gesetze der Bildung von Markenpräferenzen sind noch längst nicht außer Kraft. Sie sind höchstens komplexer und vielseitiger geworden. Der Artikel umschreibt doch in Wirklichkeit nur eine Teilwahrheit. Entscheidend ist immer noch die persönliche Motivation oder die Notwendigkeit, mit der ich mich einem Angebot/einer Marke zuwende und ihr treu bleibe. Mal sind es rationale und mal emotionale Gründe, mal beides, mal ganz einfache Sachzwänge und Mechaniken. Wer fliegt warum Lufthansa und wer Easyjet? Selbstsucht? Eitelkeit? Faulheit? Oder doch mehr Anlass, vorhandenes Budget und Verlässlichkeit? In welches Auto kann sich eine Fau schnell verlieben, einen Mini oder einen Suzuki Swift, und dann bei der Kaufentscheidung den Kopf komplett ausschalten (Geht auch bei Männer z. B. mit Porsche oder Mazda)? Warum stehen Menschen bei jedem neuen iphone Schlange, bei Samsung eher nicht? Die Beziehung zu einem amazon ist wohl mehr von Sachzwängen geprägt und wird vielleicht noch nicht mal unbedingt als echte Beziehung wahrgenommen, wenn man bei vielen Produksuchen zwangläufig in 60% er Fälle bei mazon landet. Wenn ich einen Kindle habe, muss ich zu amazon und fühle dabei nix. Die neuen Zauberworte heißen heute Customer Centricity, Brand Experience, Customer Relationship. Convenience ist nur ein Teilaspekt und nicht immer der relevanteste.

Antworten
Zuni Kubera am 26.09.2019 um 14:22 Uhr

Vielen Dank für den Artikel, ist mir schon auf Linked-In begegnet. Ehrlich gesagt verstehe ich den Artikel nicht so ganz.

Im Fazit heißt es: „Nach Seitz liegt die geheime Formel darin, dem Nutzer anzubieten sich mit anderen auszutauschen, ihm das Gefühl zu geben, ohne das Produkt nicht leben zu können, ihm einen nennenswerten Vorteil zu bieten, ein Image mit dem Produkt zu vermitteln und ihm damit eine enorme Zeitersparnis zu geben.“

Was davon gehört nicht zu Branding? 🙂

Viele Grüße, Zuni Kubera

Antworten
Johann Peters am 26.09.2019 um 16:34 Uhr

Hi Zuni,

ich hoffe, dass ich deine Frage jetzt richtig verstanden habe, denn alles davon KANN zum Branding gehören.

Im Grunde wollte ich damit ausdrücken, dass die Basis einer effizienten Markenbildung ein überragendes Produkt ist, das dem Nutzer auch einen echten Mehrwert bietet. Z.B. einen oder mehrere der Mehrwerte aus dem Fazit (oder Artikel).

Selbstredend gibt es weitere Basics, wie die Markenkommunikation oder eine Corporate Identity die von Belang sind und sich gerne an der Ausrichtung der Zielgruppe orientieren können, die nun emotional oder sachlich sein können.

Ich danke dir für die Frage.

Grüße, Johann

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