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Das Ende von FOMO – ist die DMEXCO nun ganz normale Messe?

Das Ende von FOMO – ist die DMEXCO nun ganz normale Messe?

Ralf Scharnhorst | 22.09.23

Ralf Scharnhorst berichtet von seiner 15. DMEXCO: Was wir von Nestlé, Google und den Fernsehsendern lernen können.

FOMO, Fear of missing out, die Angst etwas zu verpassen: Sie treibt nicht nur die Besucher:innenströme auf Messen und Konferenzen, sondern auch die Entscheidungen der Marketer: Wenn meine Wettbewerber:innen die neueste Data Platform haben, muss ich sie dann nicht auch anschaffen, egal ob ich sie so ganz verstehe?

Diese Welle könnte nun gebrochen sein, die Nestlé CMO Aude Gandon bringt es auf den Punkt mit den Worten:

Don’t get too enamoured with the plumbing.

Verknall dich nicht in die Leitungen, die den Marketing-Zauber nur transportieren.

Und wie ist das mit Fernsehen? Anfangs drei, später dreißig Kanäle für 80 Millionen Zuschauer:innen: Brauchen wir das noch, wenn das Internet in der Lage ist, jeder einzelnen Person das Video auszuspielen, das sie sich ausgesucht hat?

Jein, denn besonders die älteren Menschen nutzen es doch noch gerne. Keine neue Erkenntnis: Ein neues Medium hat nie so ganz ein altes verdrängt. Es wird ja auch noch auf Steintafeln und Litfass-Säulen geschrieben – nur eben weniger. Aber ob man den Zahlen der TV-Verkäufer:innen glauben darf, dass die 14- bis 29-Jährigen 38 Prozent ihres Bewegtbildkonsums im linearen TV durchführen?

Nielsen zählt neun Prozent weniger TV-Werbeausgaben im Vergleich zum Vorjahresmonat – Bei Nestlé liegt der Anteil der digitalen Medien an den Werbeausgaben inzwischen bei 50 Prozent

Alle Media-Budgets für Europa werden nun bei einer Agentur gebündelt. Dazu hat die Agentur-Holding WPP eine neue Agentur gebaut mit dem Namen Open Mind. Und Nestlé fühlt sich nicht nur zunehmend für seine Produkte verantwortlich, sondern will das auch auf die Werbung ausdehnen – mit der sie nicht nerven möchten.

globaler Werbemarkt DMEXCO23 © Ralf Scharnhorst
Der globale Werbemarkt wird auf der DMEXCO 2023 diskutiert © Ralf Scharnhorst

Selbst Maggi hat nicht mehr eine Zielgruppe, sondern drei Personas ausgearbeitet, denen sie unterschiedliche kreative Konzepte anzeigt. Die Ads selber werden dann noch einmal individuell dynamisch zusammengesetzt.

Dynamische Anzeigenoptimierung wird durch KI auf eine neue Ebene gehoben

Die Motivvielfalt und Geschwindigkeit der Erstellung bei DCO steigert sich. Google will hier besonders seinen YouTube-Kund:innen kostenlose Unterstützung liefern. Fraglich bleibt nur, wer die Flut an Werbemitteln dann darauf kontrolliert, ob sie noch zur Marke passen und nichts Falsches versprechen – ist hier wieder der Mensch gefragt? Und wenn ja, welcher? Diese Probleme haben die großen Werbeplattformen ja bislang eher zweifelhaft an Klickworker:innen aus Billiglohnländern delegiert.

Retail Media ist gekommen, um zu bleiben

Es liegt einfach zu nahe, dort zu werben, wo gekauft wird. Drei spannende Fragen bleiben:

  1. Wer ist als Anbieter:in dafür dauerhaft groß genug?
  2. Wie kann eine Bündelung für die Kleineren funktionieren? Criteo und einige andere Technologieanbieter:innen scheinen sich auf diesen Markt zu stürzen, es bleibt aber unklar: Wie kann der Shop beziehungsweise Publisher sicher ausschließen, dass User durch diese Werbung zum Wettbewerb abwandern?
  3. Preise: Die User, die durch einen Klick auf ein Retail Media Ad aus einem Shop abwandern, tun dies in einem Moment, wo sie für den Shop sehr viel Wert sind. Im „freien Internet“ können die Preise für Werbeplatzierungen nahe null fallen – aber dies wird bei Retail Media nicht passieren. Ein Ausweg scheint es, mit den Retail-Media-Daten offsite auf anderen Websites als dem Shop zu werben – hier kommen aber wieder zweifach Datenschutzbedenken auf: Was lassen die User zu, inwiefern fürchtet der Shop das Abfließen seiner Daten?

Wer will Werbung im Auto?

Weshalb haben neue Autos eigentlich so große Bildschirme? Na klar, damit Werbung auch Platz darauf hat! Keine Sorge, es geht nicht um den Albtraum von Verkehrssicherheitsexpert:innen, Videos auf diesen Bildschirmen laufen zu lassen. Es handelt sich eher um die Überführung der Werbeformen auf das Auto-Navi, die wir schon von Google Maps kennen: Gesponserte Suchergebnisse, hervorgehobene Pins und Promotions, um (Auto-)User an einen bestimmten Ort zu locken.

Bereits live in neuen Mercedes, Audi und Škoda – bald noch mehr. Nicht allerdings bei Tesla – die hatten einfach nur zwei Autos auf die Messe gestellt, um Probefahrten aus der Zielgruppe der Digitalos zu generieren.

In-Car Ads bei Mercedes DMEXCO 23, © Ralf Scharnhorst
In-Car Ads bei Mercedes DMEXCO 23, © Ralf Scharnhorst

Martin Sorrell ist 78 Jahre alt

Er hat in der Werbebranche alles erreicht und weiterhin einen klaren Durchblick. Sein Ranking des weltweiten 570 Millarden US-Dollar schweren digitalen Werbemarktes:

  1. Google
  2. Facebook
  3. Amazon (er prognostiziert eine Verdoppelung des Anteils am Werbemarkt in wenigen Jahren)
  4. Alibaba
  5. Tencent
  6. TikTok
  7. Microsoft
  8. Apple
  9. Snap Inc.
  10. Twitter/X: Laut Sorrell ist der Anteil am Werbemarkt frisch halbiert; X selbst auf der Bühne spricht dann jedoch von wachsenden Nutzer:innenzahlen; so hatte Sorrell sein Mantra „Numbers don’t lie“ sicher nicht gemeint

Den nutzen von AI auf Agenturseite sieht er in schnelleren Visualisierungen, eingesparten Copyrights, der Hyperpersonalisierung von Ads, der einfacheren Verbreitung von Wissen in großen Organisationen und als Arbeitserleichterung in (Media-)Planungsprozessen. Besonders bei Werbung für kleine Unternehmen sieht er die Möglichkeit, bis zu 60 Prozent Personal einzusparen.

Das darf allerdings bezweifelt werden, weil die Pizzeria um die Ecke ja auch bislang kaum ein:e Grafiker:in für ihre Werbung beschäftigt hat – sie kann diesen bald aber durch Automatisierung einsparen. Das ist gemeint mit:

AI raises the bottom, not the ceiling.

Die meisten anderen Speaker halten dagegen, dass AI den Menschen nicht ersetzen, ihm aber mehr Möglichkeiten verschaffen werde: Du stehst nicht im Wettbewerb mit der KI, sondern mit anderen Dienstleister:innen, die KI einsetzen.

Influencer: Emotions first, Message second

Die Brands sollten nicht so viel briefen, sondern die Influencer einfach mal machen lassen – denn sie wissen schon, was auf ihrem Medium und bei ihrer Audience ankommt. Deshalb kann Influencer Marketing das klassische Branding nicht ersetzen: Die Marke muss schon positioniert sein, bevor man die Influencer darauf loslässt.

Mein Fazit: Auch nach 23 Jahren „Online-Marketing-Messe“ oder 15 Jahren DMEXCO ist noch nicht alles gesagt – wir sehen uns wieder auf der DMEXCO am 18. und 19. September 2024.

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