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Interne Dokumente: Facebook ignorierte riesige In-App-Ausgaben von Kindern
Spiele wie Rovios Angry Birds sind bei Kindern äußerst populär, © Rovio

Interne Dokumente: Facebook ignorierte riesige In-App-Ausgaben von Kindern

Niklas Lewanczik | 25.01.19

Dokumente von Facebook zeigen, dass das Unternehmen In-App-Zahlungen von Kindern als problematisch erkannt, aber nicht gehandelt und sie eingeschränkt hat.

Spiele wie Angry Birds, PetVille und Ninja Saga erfreuen auch Kinder auf Facebook, die sich oft nicht über die finanziellen Auswirkungen bewusst sind, welche durch In-App-Käufe bedingt sind. Im Rahmen einer Untersuchung wurden bislang versiegelte interne Dokumente Facebooks veröffentlicht, die aufzeigen, dass Facebook die Spieleentwickler ermutigt hatte, Kinder in Apps auch ohne Einwilligung der Eltern bezahlen zu lassen. Als „Friendly Fraud“ (FF) wird dies bezeichnet. Das Soziale Netzwerk hat keine Schritte unternommen, um dem möglichen Schaden vorzubeugen.

Facebook wollte keine Einschränkung der In-App-Zahlungen; auch bei Kindern nicht

Allein zwischen 2008 und 2014 hat Facebook eigenen Angaben zufolge über 34 Millionen US-Dollar an den Spiele-Accounts Minderjähriger verdient, wie die BBC berichtet. Als Einnahmequelle eignen sich die Games auf der Plattform sowohl für die Entwickler als auch für Facebook selbst. Allerdings sind häufig Kinder, oft in sehr jungem Alter, die Nutzer, die diese Spiele spielen. Und wenn sie in einem Game wie Angry Birds 2 Items kaufen, dann wird das natürlich auch berechnet. Jedoch wissen die Kinder oft nicht, dass sie tatsächlich „echtes Geld“ ausgeben. Das bestätigt auch die interne Facebook-Kommunikation. Tara Stewart gab in einem Memo an:

Seems like most of these games with FF-minor problems are defaulting to the highest-cost setting in the purchase flows. This only exacerbates the problem since it doens’t necessarily look like ‘real‘ money to a minor.

Diese Aussage entstammt Unterlagen, die erst kürzlich auf Anfrage von Reveal, dem Center for Investigative Reporting, und im Zuge einer Aufforderung des Gerichts veröffentlicht wurden. Die internen Diskussionen, angestoßen durch Spieleentwickler Rovio, die unter anderem für Angry Birds verantwortlich zeichnen, drehte sich um das Refunding, das Eltern fordern, die erkennen, dass ihre Kinder über ihre Kreditkarten In-App-Zahlungen vorgenommen hatten. Facebook erkannte das Problem, sah sich aber einer Zwickmühle gegenüber: entweder wäre der Einkommensstrom eingeschränkt oder die moralische Pflicht zum Schutz der Kinder vor massiven Zahlungen würde vernachlässigt. Facebook-Mitarbeiter Danny Stein erklärte im Memo:

In nearly all cases the parents knew their child was playing Angry Birds, but didn’t think the child would be allowed to buy anything without their password or authorisation first.

Nach Stein hätte das Unternehmen eine automatisierte Methode einführen können, um das Problem zu beheben, das hätte jedoch die Zahlungen deutlich eingeschränkt.

Kinder nehmen die Konsequenzen nicht immer wahr

Zahlreiche Fälle von Kindern sind bekannt, die die Kreditkarten ihrer Eltern mit tausenden Euro oder US-Dollar belastet haben. Sie hatten nicht wahrgenommen, dass sie beim Klick in der App echtes Geld ausgeben. Viele gehen davon aus, mit virtuellem Geld zu spielen. Ihnen sind die Angaben der Nutzungsbedingungen oftmals überhaupt nicht präsent; so heißt es etwa in den Bedingungen zu Angry Birds 2:

Rovio may license to you certain virtual goods to be used within the Service and which you may purchase with „real world“ money or which you may earn or redeem via gameplay (‘Virtual Items‘) […] By law, all purchases and redemptions of Virtual Items made through the Services are final and non-refundable. You acknowledge and consent that the provision of Virtual Items for use in the Services is a process that commences immediately upon purchase and that you forfeit your right of cancelation once the process has commenced.

Darin wird auch angegeben, dass Rovio zu keiner Rückzahlung verpflichtet ist, egal unter welchen Umständen. Selbst beim unfreiwilligen Bezahlen, wie es bei Kindern häufiger vorkommen könnte.

Ideen wurden nicht umgesetzt

Facebook selbst gab per Statement an, dass man mit Eltern zusammenarbeite, um Kindern bei der Navigation im Internet und gerade bei solchen Spielen zu helfen.

As part of that work, we routinely examine our own practices, and in 2016 agreed to update our terms and provide dedicated resources for refund requests related to purchases made by minors on Facebook.

Tatsächlich gab es schon während des internen Diskurses zur Thematik bei Facebook Ideen, wie man überbordende Zahlungen durch Kinder einschränken könnte. Danach sollten etwa Nutzer unter 17 und über 90 Jahren bei Zahlungen über 75 US-Dollar die ersten sechs Ziffern der zu belastenden Kreditkarte eingeben. Auch wenn dies nur eine Zwischenlösung gewesen wäre, hätten so womöglich große Ausgaben durch junge Kinder verhindert werden können. Doch selbst diese Idee lehnte Facebook ab.

Die Hinweise auf In-App-Zahlungen von Kindern waren zahlreich; und trotzdem hat sich Facebook nicht in besonderem Maße ihrem Schutz verschrieben. Womöglich wurden wirtschaftliche Interessen priorisiert. Das spiegelt ein Dialog – betreffend ein Kind, das über 6.500 US-Dollar bei Games ausgegeben hatte – aus den internen Dokumenten wider:

That user looks underage as well […] 13ish year old,

vermutet ein Mitarbeiter, während ein weiterer erwidert:

I wouldn’t refund.

Während in unterschiedlichen Fällen einigen Eltern Erstattungen zugute kamen, blieben sie in anderen aus.

Transparenz als Schlagwort

Auch in diesem Diskurs wird die Transparenz zum entscheidenden Faktor. In einer eigens angelegten Analyse Facebooks zeigte sich, dass in Fällen von Rückzahlungen 93 Prozent auf Friendly Fraud zurückgingen. In beinahe allen Fällen wussten die Eltern oder Großeltern, dass die Kinder Angry Birds spielen. Sie wussten jedoch nicht, dass sie ohne eine Autorisierung oder ein Passwort zahlungspflichtig In-App-Käufe durchführen konnten. Und im Schnitt waren die Kinder bei dieser Untersuchung fünf Jahre alt – sie wussten von den Konsequenzen also auch nicht allzu viel.

Nun steht in den Nutzungsbedingungen, dass echtes Geld abgebucht wird, wenn virtuelle Items erworben werden. Da diese meist nicht oder zumindest nicht im Detail gelesen werden, sind die Nutzer zum Teil selbst verantwortlich, wenn sie Geld dafür ausgeben. Dennoch würde ein Schritt zu mehr Transparenz oder zumindest eine Art Autorisierungsschranke vor diesen Käufen dafür sorgen können, dass Kinder nicht unwissend hunderte und tausende US-Dollar ausgeben. Und ohne, dass die eigentlichen Kontobesitzer es ahnen. Dass Facebook sich solcher Schutzmaßnahmen verwehrte, deutet auf eine klare Interessenhierarchie im Unternehmen hin: ökonomische Belange überwiegen Nutzerinteressen; diese werden hintangestellt und das bedeutet auch, dass die Integrität der Plattform als soziales Medium leidet.

Nichtsdestoweniger sollten die Nutzer, das heißt diejenigen, auf deren Geräten die Spiele gespielt werden, eine Verantwortung für finanzielle Folgen tragen. Mehr Transparenz sollte ihnen dabei helfen. Doch wenn Nutzer eine Mündigkeit und eigenständige Handhabe im Kontext digitaler Angebote einfordern, müssen sie auch die Konsequenzen wahrnehmen. Diese sind Kindern bestmöglich unmittelbar nahezubringen. Dass Plattformen und Apps mit legitimen wirtschaftlichen Interessen agieren, sollte als Erkenntnis Bestand haben. Facebooks Verhalten unterstreicht diesen Ansatz nur.

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