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Werbepsychologie: Das Unterbewusstsein weiß es besser

Werbepsychologie: Das Unterbewusstsein weiß es besser

Ein Gastbeitrag von Elke Schwarz und James Miller | 04.08.15

Nicht alles was wie Gold glänzt, wollen Konsumenten gleich haben. Fünf typische Marketing-Irrtümer und was man daraus lernen kann.

Sex sells. Werbung muss vor allem gefallen. Was auffällt, wirkt besonders gut, weil es in den Köpfen hängen bleibt. Viele Faustregeln im Marketing werden gebetsmühlenartig wiederholt und selten hinterfragt. Aber stimmen sie auch?

Denkfehler sind teuer – besonders im Marketing. Nur wer versteht, wie das Gehirn wirklich seine Entscheidungen trifft, ist langfristig erfolgreich. Elke Schwarz und James Miller, Geschäftsführer von Ratingagentur Advertising, nennen fünf der häufigsten Irrtümer von Werbemachern und zeigen auf, welche Faktoren die Kaufentscheidung positiv beeinflussen.

Irrtum Nr. 1: Was nicht bewusst angeschaut wird, wirkt nicht.

Wir sind von Werbung umgeben. Allerdings nehmen wir vieles davon gar nicht bewusst wahr. Wir gehen oder fahren eine Straße entlang, vorbei an Reklametafeln, Litfaßsäulen, Aushängen in Schaufenstern oder Einkaufstüten. Auch abends vor dem Fernseher schauen wir weg oder unterhalten uns, wenn der Werbeblock gesendet wird. Also alles reine Geldverschwendung?

Ein Forschungsteam um die deutsche Neurowissenschaftlerin Anita Tusche wollte es genauer wissen. Die Forscher fragten sich, ob es auch möglich ist, Kaufentscheidungen vorherzusagen, wenn sich der Proband vorher nicht bewusst mit dem Produkt auseinandergesetzt hat. Dazu wurden die Gehirnströme von Probanden im Magnetresonanztomographen untersucht. Die Wissenschaftler zeigten den Probanden einen Kreis, der an einer Seite offen war, und forderten sie auf, durch einen Tastendruck anzugeben, an welcher Seite sich die Öffnung befand. Hinter dem Kreis lag das Foto eines PKWs. Ziel der Versuchsanordnung war es, die Aufmerksamkeit der Probanden auf den Kreis zu lenken. Das Motiv im Hintergrund wurde nur unbewusst wahrgenommen. Nachdem die Scannersitzung beendet war, wurden die Probanden gefragt, welches Auto sie kaufen würden. Das Ergebnis war beeindruckend: Je nach Aktivität der Gehirnregion konnte die Kaufentscheidung exakt vorhergesagt werden.

Für die Werbung bedeutet dies, dass eine bewusste Auseinandersetzung mit Werbung für Kaufentscheidungen nicht notwendig ist. Selbst wenn wir uns nicht bewusst mit der Werbung beschäftigen, nimmt unser Unterbewusstsein die Informationen wahr und verarbeitet sie. Die auf diese Weise unbewusst gespeicherten Informationen beeinflussen unser Kaufverhalten maßgeblich.

Irrtum Nr. 2: Mag ich – kauf ich. Werbung muss vor allem gefallen

Seit Jahrzehnten gilt die sogenannte Likebility als der wichtigste Faktor für den Erfolg von Werbung. Je mehr den Konsumenten eine Werbung gefällt, desto stärker ist ihre verkaufsfördernde Wirkung, so die landläufige Meinung. Sie geht zurück auf amerikanische Advertising Research Foundation (ARF), die in den 80er-Jahren 12.000 Interviews zu diesem Thema durchgeführt hat. Aber stimmt das?

Der bekannte Werbeforscher John Philip Jones von der Syracuse Universität fand heraus, dass die Kategorien „Gefallen“ und „Markenerinnerung“ den Verkaufserfolg von Werbung nur in 41 Prozent der Fälle richtig vorhersagen können. In allen anderen Fällen stuften die Befragten Werbung zwar als außerordentlich „likeable“ ein, kauften aber dennoch nicht die dazugehörigen Produkte. Nigel S. Hollis, Forschungsleiter, bei dem in San Francisco ansässigen Institut Millward Brawn, bezweifelt ebenfalls die Bedeutung des Likeability-Paradigmas. In seinem Aufsatz „Like It or Not. Likeability is Not Enough“ zeigte er auf, dass Likeability den Verkaufserfolg von Werbung in vielen Fällen übertreibt. „Enjoyability“ und „Involvement“ hätten sich als wesentlich verlässlichere Indikatoren erwiesen.
Festzuhalten bleibt: Likeability allein ist nicht genug. Unternehmen sollten bei der Analyse ihrer Werbemaßnahmen darauf achten, dass ein spezifischer emotionaler Nutzen für den potentiellen Konsumenten deutlich wird. Elemente wie schöne Musik, nette Darsteller, Hunde, Kinder oder ein Lifestyle, die einfach ein gutes Gefühl machen, reichen nicht aus, um den „Will-ich-haben-Effekt“ auszulösen.

Irrtum Nr. 3: Je auffälliger die Darstellung, desto höher die Werbewirkung.

Hauptsache auffallen, lautet eine oft gehörte These der Werbemacher. Demnach kommt es vor allem darauf an, Aufmerksamkeit zu erzielen – je mehr, desto besser. Die Idee: Werbung wirkt vor allem dann verkaufsfördernd, wenn sie in den Köpfen hängen bleibt. Übersehen wird dabei allerdings allzu oft, das besonders auffällige, reißerische oder laute Werbung vom Betrachter auch schnell als besonders aufdringlich empfunden wird. Das Unterbewusstsein reagiert darauf mit Ablehnung.

Dem portugiesischen Neurowissenschaftler António Damásio gelang der Nachweis sogenannter „Somatischer Marker“. Sie sind Teil unseres emotionalen Gedächtnisses, das seinen Sitz im präfrontalen Kortex hat. Wir speichern unbewusst Sachverhalte, Zusammenhänge und Emotionen, ja sogar körperliche Reaktionen ab, ohne, dass sie uns bewusst sind. Dazu gehören auch Erfahrungen, die wir mit Marken oder Produkten machen. Es sind diese somatischen Marker, die uns befähigen, in Sekundenbruchteilen Komplexes instinkthaft zu erfassen und blitzschnell eine intuitive Entscheidung zu treffen. Entwicklungsgeschichtlich gesehen, war diese Form der Intuition äußerst wichtig, um Freund und Feind zu unterscheiden oder in gefährlichen Situationen schnellstmöglich zu reagieren.

Für die Werbeindustrie bedeutet dies, dass der Kunde sowohl positiv emotionale Erfahrungen, wie auch negativ emotionale Erfahrungen im emotionalen Gedächtnis speichert. Selbst wenn wir bewusst keine Logik wahrnehmen, stellt unser Unterbewusstsein eine positive oder negative Verknüpfung zwischen Emotion und Marke/Produkt her. Negativ wirkende Werbung setzt bei Kunden somatische Marker, die eine Vermeidungsreaktion hervorrufen und uns intuititiv vom Kauf abhalten. Ebenso werden bei positiv empfundenen Werbungen emotionale Marker gesetzt, die die Kaufmotivation fördern. Die unbewussten emotionalen „Stempel“ beeinflussen Kaufentscheidungen massiv – positiv wie negativ. Hauptziel von Werbung muss es demnach sein, positive somatische Marker zu setzen.

Irrtum Nr. 4: Geiz ist Geil – Es ist alles eine Frage des Preises

„20 % auf alles“ ist ein unverwechselbarer Claim. Noch dazu, wenn er von der Synchronstimme von Bruce Willis gesprochen wird. Gewaltige 25 Millionen Euro an Werbegeldern investierte die Baumarktkette Praktiker allein 2011 in ihre Werbekampagne. Dennoch hat es nicht funktioniert. Praktiker ist mittlerweile vom Markt verschwunden. Doch woran lag es?

Bauen ist eine hochemotionale Angelegenheit. Die Kunden investieren Ideen, Schweiß, Energie und möchten, dass es am Ende schön wird. Die emotionalen Schlüsselbedürfnisse der Kunden sind: Stolz, Glücksgefühl, Anerkennung, Ablenkung vom möglicherweise tristen Arbeitsalltag, Selbstverwirklichung und Umsetzung von eigenen Ideen. Werden diese bedient, schüttet das Gehirn den Botenstoff Dopamin aus, dem eindeutig die Funktion der Belohnung, des guten Gefühls und auch der Sucht, einem starken Verlangen, zugeordnet werden kann. Die Strukturen im Belohnungssystem des Gehirns weisen eine hohe Dichte dopaminsensitiver Rezeptoren auf, die wiederum einen hohen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten haben. Erfolgreiche Werbung belohnt ihre Kunden dauerhaft mit positiven Erlebnissen und steigert auf diese Weise den Dopaminausstoß. Billig einkaufen steht dagegen synonym für schlechte Qualität, für ausgeleierte Schrauben und Farbe die nicht deckt. Die Folgen sind Frust, Mehraufwand, Ärger und insgesamt ein weniger schönes Ergebnis. Kein Wunder, dass es ein solcher Claim nicht schafft, Kunden zu Fans werden zu lassen.

Wer mit seiner Werbung langfristig den Abverkauf ankurbeln will, sollte nicht allein mit dem Preis argumentieren, sondern das emotionale Gedächtnis ansprechen. Andernfalls verzichtet er auf eines der machtvollsten Instrumente der Kundenbindung und setzt stattdessen allein darauf, die Pfennigfuchser unter den potenziellen Kunden anzusprechen. Die aber sind sofort wieder weg, wenn sie irgendwo anders ein gutes Angebot sehen. Wer dagegen die emotionalen Motive der Zielgruppe geschickt anspricht, verkauft mittel- und langfristig deutlich besser.

Irrtum Nr. 5: Sex sells. Immer!

Sexualität ist eine der stärksten Triebfedern des Menschen. Wer mit erotischen Bildern wirbt, fordert maximale Aufmerksamkeit für seine Werbebotschaft. Doch in der Praxis ist das leichter gesagt als getan.

Das Institut für Software-Ergonomie und Usability AG hat Probanden erotische Werbemotive vorgelegt und dabei mittels Eyetracking gemessen, welche Bilddetails diese wirklich betrachten.  Das Ergebnis war ernüchternd: Frauen wie Männer schauten fast ausschließlich auf das attraktive Model; Produkt und Botschaft wurden indes kaum wahrgenommen.[1] Forscher sprechen vom Vampireffekt: Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird durch die starken erotischen Reize gleichsam vollständig abgesaugt.

Hinzu kommt, dass erotische Bilder nicht bei jedem gleich wirken. Es ist nunmal so, dass Frauen bevorzugt Männer sehen und Männer sich bevorzugt von Frauen umwerben lassen. Das eigene Geschlecht wird dagegen als Konkurrenz empfunden, eine positive Identifikation mit einem gleichgeschlechtlichen Key-Visual findet kaum statt.

Wer auf Erotik setzt, spielt mit dem Feuer. Sie belebt die Fantasie, da sie eine der stärksten Triebfedern der Menschheit ist. Doch falsch dosiert, bewirkt sie das Gegenteil: Ablenkung, Ignoranz bis hin zur Ablehnung. Im Unterbewusstsein bewirken diese Reaktionen Vermeidungsreflexe, die die Kaufentscheidung negativ beeinflussen.

Kommentare aus der Community

Rico Patzer am 13.08.2015 um 16:08 Uhr

Schöner Artikel! Da sind tatsächlich einige klassische Marketing-Fehler dabei.
In meinem neuen E-Book gehe ich im Kapitel „Emotionale Kommunikation“ auch nochmal im Detail darauf ein, was man bei der Zielgruppenansprache beachten sollte.
Was mir noch viel wichtiger ist, ist allerdings der Prozess davor. Viel zu häufig wird nämlich genau nur an dem „Werbe“-Teil gedreht und dort versucht mit typischen Fehlern wie oben beschrieben, Kunden zu gewinnen. Wenn dem aber z.B. keine ordentliche Zielgruppenanalyse voraus geht, ist der Erfolg ähnlich hoch wie beim Glücksspiel…

Antworten
Lia am 10.08.2015 um 11:21 Uhr

Hm … widerspricht Nr. 5 nicht dem Forschungsergebnis von Nr. 1?

Antworten
Thao am 06.08.2015 um 09:51 Uhr

Super Artikel! Viele der Mythen ist im Kopf verankert, bzw. mit der Zeit ändert sich das Verhalten des Publikums weswegen man auch seine Strategien anpassen muss. Beispielsweise „Hauptsache auffallen“, dieser Ansicht stimmen viele Unternehmen weiterhin zu und bedenken dabei nicht wie aufdringlich das manchmal wirken kann. Heutzutage ist die emotionale Ebene wichtiger geworden.
Aber der 1. Mythos dachte ich wäre wahr, was mich dann erstaunt, dass das durchgeführte „Experiment“ das Gegenteil beweist. Danke für die Informationen!

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