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Web-Usability: Wie Design-Dogmen die Vielfalt im E-Commerce bedrohen

Web-Usability: Wie Design-Dogmen die Vielfalt im E-Commerce bedrohen

Ein Gastbeitrag von Christopher Möhle | 26.01.15

Deutsche Online-Shops ersticken in Design-Dogmen. Usability-Regeln verkommen zu bloßen Schemata. Ein Kommentar von Christopher Möhle, VOTUM.

Blickt man dieser Tage kritisch auf die deutsche E-Commerce-Landschaft, entstehen zwei Eindrücke: Web-Usability ist in den Köpfen der Konzeptioner und Designer angekommen. Nutzer finden Funktionen und Informationen dort, wo sie diese erwarten und landen selten in einer Sackgasse. Das Thema ist aber auch so starr besetzt, dass Usability-Regeln und Richtlinien zu bloßen Schemata des Designs geworden sind. Aus einer innovativen Kreation wurde eine konservativ-ängstliche Reproduktion, die Marken- und Produktdifferenzen zum Einheitsbrei verrührt. Ein Kommentar zum deutschen E-Commerce-Design von VOTUM Brand Strategist Christopher Möhle.

Usability-Regeln – Treiber für die optimale User Experience

Regeln sind wertvolle Hilfsmittel, wenn es heißt, eine Disziplin zu erlernen. Schon die Alten Meister der Malerei arbeiteten zunächst jahrelang nach den Richtlinien ihrer großen Vorbilder, bis sie ihren eigenen Stil entwickelten und damit erst zu Meistern ihres Fachs wurden.

Das gilt auch heute für den Bereich der Usability und Konzeption. Abgeleitet aus der Wahrnehmungspsychologie und unterbewusst gespeicherten Bedienabläufen, bedienen sich junge Konzeptioner und Designer eines vorgegebenen Regelwerks, das ihnen den Weg hin zum Meistertum ebnet. Zusätzlich etablieren große E-Commerce-Player wie Amazon oder Zalando immer wieder sinnvolle Neuerungen, die sich mittelfristig im „großen Buch guter Bedienung“ festsetzen und zum Standard werden.

Aus Regeln wurden Design-Dogmen

Eigentlich läuft bis hierhin alles gut. Wäre da nicht die Sache mit der Bequemlichkeit, dem Risiko und der Angst. Denn dort, wo die Kunst sich emanzipierte und ihre jeweils eigene Richtung einschlug, scheuen sich Konzeptioner und Designer im E-Commerce, einmal erprobte Schemata in Frage zu stellen und neu zu denken; denn mit der Conversion Rate wird nicht gespielt, hier geht es um Geld und die Erfolgsgarantie. Spätestens wenn es heißt, im E-Commerce neue Richtungen einzuschlagen, ist die Antwort meist: lieber nicht, keine Experimente, hat bislang funktioniert – wird wieder funktionieren!

Schemata als Gift für Innovation und Kreativität

So wandelten sich abstrakte Usability-Regeln immer mehr in Schemata des Designs. Inzwischen werden nicht mehr Richtlinien und Denkfiguren zur kreativen Lösungsfindung genutzt, sondern fertige Lösungen pauschal eingesetzt. Wo aber Lösungen immer schon auf der Hand liegen, bevor sie neu entwickelt oder weitergedacht werden, ist für Innovationen kein Platz mehr. Man fährt lieber immer an dasselbe Ziel, auch wenn ein Neues vielversprechender wäre.

So hat die Branche einen Online-Shop-Farbfächer kreiert, der in seinen Strukturen quasi keine Unterscheidung ermöglicht – nur das Farbschema variiert geringfügig und die Schrift ist mal klein und mal groß. Ausdifferenzierte Marken gliedern sich ein in immer gleiche Muster und verlieren so ihre mühsam aufgebaute Unterscheidungskraft.

Ein Überblick über das Design der deutschen Fashion-E-Commerce-Landschaft:

home24.de
home24.de (Screenshot vom 19.01.2015)
fashionette.de
fashionette.de (Screenshot vom 19.01.2015)
frontlineshop.de
frontlineshop.de (Screenshot vom 19.01.2015)
design3000.de
design3000.de (Screenshot vom 19.01.2015)

Vom Dogma zurück zur Regel

Wir müssen wieder Umwege nehmen und die ausgetretenen Pfade verlassen. Gute Web-Usability speist sich nicht aus fertigen, tausendmal kopierten Konzepten, sondern aus den richtigen Fragen, Einfühlungsvermögen und explorativem Ausprobieren. Im stationären Handel hat oft nicht das Produkt, sondern dessen Inszenierung über den Erfolg entschieden. Diese Inszenierungslust gilt es auch im E-Commerce wiederzuentdecken. Befolgen wir die Regeln, kommen wir erfolgreich zum Ziel. Befolgen wir nur das Dogma, kommen wir um vor Langeweile.

 

Kommentare aus der Community

Kai Hebenstreit am 08.08.2016 um 19:36 Uhr

Mmmh – Ich denke wir haben immer noch das Problem der schlechten Unterscheidbarkeit von User-Experience und Usability. UX zielt eher auf das emotionale Gesamterlebnis ab. Usability eher auf die Bedienung von Assoziationen und Mustern, um die Bedienbarkeit möglichst hürdenfrei zu gewährleisten. Folglich gibt es bei eCommerce-Projekten zwei Schwerpunkte – Erstens, wie emotionalisiere ich den Nutzer über Themen, Inhalte, Inszenierungen? Zweitens, wie stellt man sicher, dass der Nutzer danach möglichst reibungslos in den Kaufprozess einsteigt und diesen vollziehen kann? Bezüglich der Inszenierung und emotionalen Aufwertung entdeckt man durchaus positive Beispiele (bsp. Net-A-Porter.com, Patagonia.com) – Die Aufwertung erfolgt aber über Content. Letztendlich wird man selber zum Publisher und übernimmt die Aufgabe von Verlagspublikationen. Das ist natürlich teuer, langfristig und nicht mal eben durch ein paar kleine Ausgaben zu leisten. Aber es funktioniert durchaus. Die Bedienbarkeit wird durch Ermittlung gelernter Muster und darauf passende Konzepte gewährleistet. Das ist die hauptsächliche Aufgabe von Usability-Tests, Research usw. – Da die Shops dieselbe Aufgabe haben, werden sie zwangsläufig ähnlich aussehen müssen, da sie sonst den gleichbleibenden Erwartungen des Kunden an einen digitalen Verkaufsprozess nicht mehr entsprechen. Ich denke, dass das Gros der Onlineshops besser in ein eigenes Publishing-Angebot investieren sollten, bzw. Onlineshops mit ähnlicher Zielgruppe, aber unterschiedlichen Sortimenten, gemeinsam emotionale Publishing-Formate aufbauen sollten. Diese verweisen dann in die Shops, und leiten den Verkaufsprozess ein. Dieser ist dank der Usability-Optimierung perfekt auf die Erwartungen und Erfahrungen der Nutzer mit Onlineshops angepasst.

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Naila Winter am 17.04.2015 um 11:26 Uhr

Es ist wirklich bedauerlich, dass durch die Vereinheitlichung von Websites auch Alleinstellungsmerkmale von Unternehmen verloren gehen.
Dabei gibt es mittlerweile sinnvolle Möglichkeiten, die Usability und die User Experience von Websites, z.B. durch Emotionsanalysen oder UX Research, zu optimieren und auf das jeweilige Klientel zu zuschneiden.

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Manfred Schotte am 27.01.2015 um 16:09 Uhr

Ein sehr interessanter Artikel, dessen Schlussfolgerung man zustimmen kann. Ohne Logo wären die meisten Shops ziemlich austauschbar.

Ich bin mir sicher, dass man sich mit einem „anderen“ Design gut vom Mitbewerb absetzen kann. Und das, ohne bei der Usability Kompromisse zu machen.

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Oliver Schmitt am 27.01.2015 um 09:51 Uhr

Ich stimme Dir voll uns ganz zu. Es ist schade, dass alle Shops immer mehr zu Abbildern voneinander werden.

Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass die technische Komplexität in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen ist und z.B. auch Responsive Webdesign nochmal einen ordentlichen Schwung Komplexität draufsetzt. Die E-Shop-Boliden wie Magento, Oxid & Co. geben heute viele Metaphern, Funktionen und Konzepte quasi vor und wenn wir dort einschreiten wollen und Innovation platzieren möchten, so sind hohe Aufwände für individuelle Module notwendig. Das ist den Kunden meist zu teuer und – wie Du schon sagst – zu unsicher.

Auf der anderen Seite bin ich aber der festen Überzeugung, dass es sich lohnen kann, wenn ein Shop bewusst auch mal etwas neues macht – vorausgesetzt die Usability stimmt. Denn gerade so können sich Marken in ihren E-Shops von Wettbewerbern unterscheiden. Kunden werden das spüren und Marken langfristig auch dafür und für Ihren besonderen „Tone of Voice“ belohnen.

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