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Unternehmenskultur
Das können Händler:innen und Startups von der Unternehmenskultur bei Amazon lernen

Das können Händler:innen und Startups von der Unternehmenskultur bei Amazon lernen

Ein Gastbeitrag von Pirmin Rehm | 01.04.22

Amazon agiert in vielerlei Hinsicht schneller und erfolgreicher als andere Unternehmen. Doch wie genau steuert der Digitalkonzern seine Projekte und was kannst du für dein Business daraus ableiten?

Wer als Fach- oder Führungskraft bei Amazon anfängt, kommt in ein Ökosystem, in dem vieles anders läuft als in etablierten deutschen Unternehmen – und das auch mit der agileren Startup-Welt nicht vergleichbar ist. Als Mitarbeiter hatte ich vier Jahre lang Einblick in diese spannende Welt und kann an dieser Stelle einige Prinzipien erläutern – und aufzeigen, wie andere Unternehmen von diesen Praktiken profitieren können.

Was nicht gemessen werden kann, kann nicht gesteuert werden.

Eine wichtige Maxime geht davon aus, dass es für jede Maßnahme, jedes Projekt einen Mechanismus geben muss. Die Überlegung dahinter: Ziele sind schnell definiert und sorgen erst einmal für Euphorie. Doch die Ernüchterung kommt beim ersten Review oder Meilenstein. Dann sind Wochen oder Monate vergangen und der gewünschte Fortschritt hat sich nicht eingestellt. Oder noch schlimmer: Das Unternehmen kann nicht beurteilen, ob er sich eingestellt hat. Wenn Projekte so vor sich hinplätschern, hat das meist mit der fehlenden Messbarkeit zu tun. Der Projektplan hat dann zwar möglicherweise Ziele und Maßnahmen, aber keine Mechanismen, die für deren Umsetzung sorgen. Solche Mechanismen können beispielsweise regelmäßige Meetings sein, in denen konkrete KPIs diskutiert werden, oder Reportings, die geteilt werden.

Entscheidend ist aber, zunächst die besagten aussagekräftigen KPIs zu finden (und sicherzustellen, dass diese valide sind, also das messen, was gefragt ist). Danach müssen die dazugehörigen Daten regelmäßig erhoben werden, um eine Entwicklung betrachten zu können – und zuletzt müssen hieraus Maßnahmen abgeleitet werden.

Ohne Powerpoint geht es auch – und zwar besser!

Der Umgang mit Powerpoint ist trügerisch – denn Präsentationen sehen toll aus, überzeugen aber vor allem mit Design und weniger mit Fakten. Doch gutes Management setzt eher durchdachte, datenbasierte Strategien und einem transparenten, objektiven Entscheidungsprozess voraus. Objektiv übrigens insofern, dass man unterscheidet, was messbar ist und wobei man sich auf seinen „best guess“ und auf Erfahrungswerte verlassen muss.

Amazon vertraut daher seit jeher auf „Doc Writing“ bei der Vorbereitung von Entscheidungen oder der Definition von Strategien. Auch das Reporting von Projektfortschritten läuft so ab. Der Vorteil beim Schreiben von Textdokumenten gegenüber Powerpoint ist, dass man gezwungen ist, tiefer in die Thematik einzusteigen, analytisch zu arbeiten und genaue Metriken zu finden. Das zwingt zum Nachdenken und lässt weniger Raum dafür, unvollendete Gedanken grafisch und mit nichtssagenden Bullet Points zu kaschieren.

Das Projekt-Framework dient der Orientierung

Beim „Doc Writing“ gelten folgende Schritte als eine Art Projekt-Framework:

  1. Gib einen Kontext vor und erkläre, wozu dieses Doc geschrieben wird und was der Auslöser ist.
  2. Formuliere das Ziel und beantworte die Frage, was mit dem Dokument erreicht werden soll.
  3. Fasse die bekannten Daten und relevanten Fakten zusammen und erkläre sie.
  4. Interpretiere die Daten und formuliere Schlussfolgerungen.
  5. Formuliere Ziele und Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen.
  6. Definiere dazu eine möglichst verbindliche Roadmap.
  7. Definiere Mechanismen, die dabei helfen, die Maßnahmen umzusetzen und zu verstehen, wie gut du voran kommst.
  8. Formuliere Fragen und Bitten an die Audience – also an die Vorgesetzen, das Management und dein Team.

Werte schaffen Orientierung für das Handeln aller Mitarbeiter

Einer der zentralen Gründe für den Erfolg von Amazon sind die „Leadership Principles“ der Company. Am ehesten vergleichbar sind diese mit dem, was andere Unternehmen als Werte oder Mission bezeichnen. Der Unterschied zu herkömmlichen Mission Statements: Die „Leadership Principles“ sind aus den Verhaltensweisen gewachsen, die das Unternehmen erfolgreich gemacht haben, bieten konkrete Handlungsempfehlungen und lassen wenig Raum für Interpretation. Dabei gibt es verschiedene Werte und Überzeugungen, die nebeneinander stehen und je nach Situation abgewogen werden müssen. So orientiert man sich an die jeweilige Situation angepasst an den situativ relevanten Principles.

Das macht die Amazon „Leadership Principles“ so hilfreich und anwendbar und sorgt dafür, dass man produktiv an Projekten mit internationaler Besetzung arbeiten kann. Trotz aller kultureller Unterschiede sprechen so die Mitarbeiter:innen des (internationalen) Projektteams „dieselbe Sprache“, unterliegen demselben Wertekanon. Doch solche Principles sind nicht nur etwas für multinationale Konzerne, sondern jedes Unternehmen profitiert davon, wenn alle dieselben Leitlinien und Werte verinnerlichen. Übrigens werden bei Amazon diese Principles gezielt und täglich für Geschäftsentscheidungen herangezogen, kommen aber auch in der Bewertung von Mitarbeiter:innen zum Ausdruck.

Die Customer Centricity steht über allem

Es gibt aber trotz widerstreitender Principles eines, das bei Amazon weitgehend bedingungslos über allem steht und das das Unternehmen so erfolgreich macht (und auch andere ähnlich erfolgreich werden lässt): Die Kund:innenorientierung. Denn auch wenn viele Unternehmen das theoretisch umsetzen, kommen sie praktisch an ihre Grenzen, wenn es um Umsatz, Kosten oder Wachstum geht. Die Maxime der Kund:innenorientierung wird dann oftmals sehr pragmatisch-utilitaristisch und weniger idealistisch ausgelegt.

Amazon dagegen trifft täglich Entscheidungen, die potentiell Millionen kosten, unterm Strich aber für das Vertrauen der Kundschaft sorgen. Denn bei Amazon ist nicht der Preis der wichtigste Grund, warum Kund:innen sich für das Unternehmen entscheiden, sondern das Vertrauen darauf, dass die Bestellung pünktlich ankommt, Vertrauen darauf, dass man Produkte unkompliziert und oft kostenlos zurückgeben kann. Vertrauen darauf, dass Erstattungen auch im Zweifel freizügig gewährt werden, aber auch Vertrauen darauf, dass Amazon sich bei Streitereien zwischen Marktplatz-Händler:innen und Käufer:innen immer auf die Seite der Käufer:innen stellt. Amazon fordert diese bedingungslose Kund:innenorientierung nicht nur von seinen Marktplatzhändler:innen ein, sondern lebt diese auch selbst jeden Tag.

Das führt dazu, dass Amazon-Kund:innen der Plattform gegenüber loyal bleiben, neue Angebote (Prime Video, Fresh etc.) leichter annehmen und schlussendlich mehr Geld ausgeben. Lernen können hieraus auch andere Unternehmen, insbesondere im E-Commerce-Umfeld. Denn wenn es ihnen gelingt, dass Kund:innen ihnen im Zweifelsfall loyal vertrauen, haben sie schon sehr viel richtig gemacht.

Transparente Karriereentscheidungen für mehr Gerechtigkeit

Die eingangs genannten Principles und die strenge Objektivierung von Zielen liefern auch einen enormen Mehrwert für das Rekrutieren von neuen Mitarbeiter:innen. Sie liefern eine klare Vorstellung davon, wie sich ein:e potentielle:r Mitarbeiter:in verhalten sollte, um gut zum Unternehmen zu passen, aber auch, um sich im Unternehmen wohl zu fühlen. Man fragt gezielt nach Situationen und Erfahrungen aus der Vergangenheit von Bewerber:innen. Bisheriges Verhalten liefert eine gute Indikation, welche Verhaltensmuster für Bewerber:innen natürlich sind und es ermöglicht Rückschlüsse darauf, wie reflektiert sie aus vergangenen Erfahrungen Lehren gezogen haben.

Was Amazon besonders gut macht, ist der Beförderungsprozess. Wenn man motivierte und fähige Fach- und Führungskräfte einstellt, kann man davon ausgehen, dass diese sich beruflich weiterentwickeln wollen. Zu Frustration kommt es oft, wenn Weiterentwicklungsmöglichkeiten zwar versprochen werden, aber Mitarbeiter:innen feststellen, dass sie keine Vorstellung davon haben, ob und wie sie vorangekommen sind. Was über die Zeit zusätzlich die Motivation erstickt, ist wenn Kolleg:innen befördert werden, man selbst aber auf der Strecke bleibt, ohne genau zu wissen warum. Amazon schafft es, diese Prozesse, soweit möglich, zu objektivieren, indem es klar formulierte und niedergeschriebene Erwartungen und Ziele an Mitarbeiter:innen auf jedem Level gibt. So wird der Prozess der Beförderung weitestgehend standardisiert, möglichst transparent und nachvollziehbarer.

Die abschließende Entscheidung über die Beförderung wird dann auch nicht vom Manager alleine getroffen, sondern es wird ein 10-15-seitiges Dokument erstellt, inklusive Feedback diverser Stakeholder. Auch wenn nicht jedes andere Unternehmen dies so detailliert abbilden kann und (schon angesichts der Fallzahlen) nicht den damit verbundenen Aufwand betreibt, kann eine Objektivierung solcher Beförderungsprozesse für mehr empfundene Gerechtigkeit aller Beteiligten und für mehr Transparenz sorgen – und Mitarbeiter:innen angesichts des Fachkräftemangels langfristig für ein Unternehmen motivieren.

Das Beste aus dem Toolset von Amazon aussuchen

Das hier skizzierte Management by Amazon ist naturgemäß nicht für jedes andere Unternehmen in Gänze anwendbar und es ergibt auch nicht überall in dieser Absolutheit Sinn. Es sagt aber viel darüber aus, wie und warum der Konzern aus Seattle so erfolgreich werden konnte. Und einige der Prinzipien lassen sich sehr gut in jedem Unternehmen anwenden, etwa das geschilderte Projekt-Framework oder die Bemühung um transparentere Entscheidungswege. Auch Startups können daher die für sie passenden Elemente des Amazon-Werkzeugkastens annehmen.

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