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Unternehmenskultur
Die Kunst, auf Hierarchien zu verzichten

Die Kunst, auf Hierarchien zu verzichten

Ein Gastbeitrag von Jonas Reuber | 01.11.19

Loszulassen und Neues anzunehmen, wird von vielen als eine Herausforderung empfunden. Doch das Aufbrechen von alten Strukturen macht neuen Anfängen Platz.

New Work, agile Arbeitsprozesse, eine immer komplexer werdende Branche – in den vergangenen Jahren ist im Agenturalltag einiges in Bewegung gekommen. So auch bei interactive tools, wo seit etwa drei Jahren ein Transformationsprozess im Gange ist, der bereits vieles umkrempelte und der darauf angelegt ist, kein Ende zu finden.

Früher war die Agentur klassisch nach Gewerken aufgebaut: Design, Frontend oder Konzept fungierten als hierarchisch organisierte Abteilungen. Mit dem Ergebnis, dass einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur noch organisierten, während sich andere nur um die Ausführung von Entscheidungen kümmerten. Ein Modell, das gewiss funktionierte, in dem jedoch Faktoren wie Eigenverantwortung, Dynamik oder interdisziplinärer Austausch auf der Strecke blieben. Es war ein recht bürokratisches Modell – wenig situativ anpassbar und schon gar nicht dynamisch. Man könnte auch sagen, dass der Spaß am gemeinsamen Fortschritt und an der Weiterentwicklung der Agentur einer über die Jahre verkrusteten Struktur gewichen war. In vielen Situationen entstand im Team das Gefühl, ein laufendes System zu verwalten, in dem nicht wirklich etwas bewegt werden konnte. Die Freude am Gestalten war verloren gegangen. Diese Lage war auch den beiden Gründern von interactive tools nicht verborgen geblieben. Sie nahmen dies zum Anlass, gemeinsam mit dem Team Veränderungen anzustoßen. Schnell wurde klar, dass diese nur fundamental sein können. Für alle Beteiligten gilt es seitdem, alte Verhaltensmuster zu überdenken und am eigenen Mindset zu arbeiten. An einem Mindset, in dem das Loslassen alter Strukturen, Bewegung und „Network Thinking“ täglich gelebt werden.

Lernen, loszulassen

Natürlich kommen manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser mit diesem Veränderungsprozess zurecht, als andere – denn: Dass Menschen das Erreichte festhalten möchten, liegt in ihrer Natur. Haben sie das Gefühl, dass ihnen etwas Bedeutendes genommen wird, gehen sie mitunter in eine Verteidigungshaltung. Das Loslassen von Rollen, Positionen und letztendlich Jobtiteln ist in diesem Zusammenhang vermutlich einer der schwierigsten Prozesse. Die Einführung der neuen Ideen ist daher in erster Linie eine Kommunikationsleistung. In Teamgesprächen, Diskussionen und Veranstaltungen werden viele der offenen Fragen angegangen, wie zum Beispiel: Wen muss ich fragen, wenn ich Urlaub nehmen möchte? Oder: Welche Auswirkung haben die Veränderungen auf die Zusammenarbeit innerhalb der Gewerke?

Die neuen Strukturen und Arbeitsweisen bringen kontinuierliche und ungeahnte Veränderungen mit sich. Die Gefahr, nach einer anfänglichen Euphorie aus Angst wieder in alte Muster und Denkansätze zu verfallen, ist ziemlich hoch. Was von außen betrachtet normales menschliches Verhalten ist, wird nun von involvierten Teams immer wieder bewusst reflektiert und geübt: In einem Format wird beispielsweise in kleineren Gruppen an einem anderen Ort über die Arbeit gesprochen. Diese so genannten „Offsites“ können durchaus auch einmal zwei bis drei Tage dauern, sodass intensiv über die Vor- und Nachteile des agilen Arbeitens, der flachen Hierarchien oder über Teamzusammensetzungen gesprochen und diskutiert werden kann.

Es kann sich mitunter recht bedrohlich anfühlen, etwas zu beenden. Außerdem können Menschen dazu neigen, sich auf die möglichen negativen Folgen zu fokussieren. Das Loslassen und damit auch das Einlassen auf Neues muss also erst einmal gelernt werden und ist mit seinem Erfolg als Prozess nicht wirklich planbar. Interessanterweise betrifft dies ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie jüngere, weibliche wie männliche – eine eindeutige Gruppe der Skeptiker lässt sich nicht identifizieren.

Motoren der Veränderung: Positive Dynamik und offene Fehlerkultur

Ein weiterer Bestandteil des Veränderungsprozesses ist die Idee, Dinge schnell und unbürokratisch auszuprobieren oder umzusetzen. Es schwingt dabei mit, dass es nicht dramatisch ist, Fehler zu machen. Paradoxerweise hat dies zum Ergebnis, dass es nur sehr selten tatsächlich zu großen Fehlern kommt. Auch das ist ein positiver Effekt der Weiterentwicklung: Das Vertrauen in die Fähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schafft Sicherheit. Dadurch schwindet unternehmensweit die Furcht vor dem Fehlermachen. Das neue Mindset fördert die Eigenverantwortlichkeit und verzichtet, wo es geht, auf Kontrolle. Hinzu kommt der Spaß, neue Dinge auszuprobieren, Veränderungen anzuschieben – im Team oder auch ganz allein. Beispielsweise am so genannten selbstbestimmten Donnerstag, an dem nach Möglichkeit keine festen Kundentermine stattfinden. Ideen werden also nicht mehr zentral in einem Entscheiderkreis abgestimmt, um sie auf den Weg zu bringen. Sie entstehen in den Teams, in Projektgruppen oder durch die Initiative Einzelner. Erweisen sie sich als praktikabel, entsteht dadurch automatisch wertvolles, selbst organisiertes Wissen und sinnvolle Lösungen, die am Ende auch auf die Probleme der Kunden einzahlen. Die neuen Ideen und Initiativen speisen sich aus den persönlichen Interessen und Fähigkeiten aus dem Team heraus – beispielsweise in einer Gruppe, das sich um das Thema Nachhaltigkeit kümmert. Durch die Initiativen wächst die Identifikation mit dem Unternehmen und sie fördern gleichzeitig das Expertenwissen – und nicht die Jobtitel oder Rollen.

Das gute Gefühl, Verantwortung zu teilen

Die Veränderung ruft ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Bei einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und in einigen interdisziplinären Projektteams setzt sich bereits von Beginn an viel Energie frei. Bei anderen überwiegt eine gewisse Skepsis. Dabei geht es oft um das Thema Einfluss, der vermeintlich schwinden könnte. Neu ist in diesem Kontext sicherlich, dass in einem Projekt die Verantwortung nicht länger allein auf den Schultern einzelner oder weniger Führungspersonen liegt. Die Last wird stattdessen verteilt – den Kompetenzen der Teammitglieder entsprechend. Das sorgt dafür, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die früher allein verantwortlich für ein Projekt waren, heute stärker auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können. Andersherum bedeutet der Veränderungsprozess auch, dass alle wesentlich eigenverantwortlicher agieren und beispielsweise ihre Termine selbst organisieren und im Blick behalten. Vorbei sind die Zeiten, in denen dies die Aufgabe der Projektleiter war. Durch die selbstbestimmte Organisation innerhalb der Projektteams ist es spürbar, wie sich die Verantwortung verteilt und im besten Fall kaum als Last wahrgenommen wird – wodurch Projekte an Dynamik, Synergien und Verbindlichkeit gewinnen. Denn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen Teil der Verantwortung tragen, identifizieren sich stärker mit dem Projekt und treiben es als ihr eigenes voran.

Am Anfang stehen der Mut und eine gemeinsame Idee

Zulassen statt alles vorplanen, vertrauen statt vorgeben – dieser Paradigmenwechsel innerhalb von unserer Agentur sorgte zu Beginn für Euphorie und Skepsis zugleich. Nicht alle wollten diesen Weg mitgehen. Doch im Laufe der Monate konnten auch manche harten Kritiker dem neuen Ansatz mehr und mehr positive Seiten abgewinnen. Viele stellten fest: Es geht nicht darum, durch das Loslassen von Strukturen und die Auflösung von Hierarchien bestimmte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu degradieren. Vielmehr ist es der Ansatz, die Menschen ins Zentrum zu rücken: Ihre Fähigkeiten, ihre Lust auf Weiterentwicklung, ihre Neugier, ihre Persönlichkeit.

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