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Unternehmenskultur
Big Brother 2.0: Bringt ständige Überwachung am Arbeitsplatz Vorteile mit sich?

Big Brother 2.0: Bringt ständige Überwachung am Arbeitsplatz Vorteile mit sich?

Michelle Winner | 07.05.19

Chips im Körper und Mikro am Namensschild: Überwachungs-Tools werden immer moderner. Die Unternehmen aber auch Mitarbeiter sollen von den skurrilen Methoden profitieren.

Strenge Überwachung am Arbeitsplatz wird in unserer Gesellschaft in weiten Teilen verurteilt und abgelehnt. So belegten diverse Studien, dass Verhältnisse à la Big Brother das Arbeitsklima stören, das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten verschlechtern und auch die Produktivität verringern. Zudem kann der Druck zu performen psychische Probleme auslösen, bishin zum Burn-Out. Klingt soweit einleuchtend. Doch tatsächlich gibt es Menschen, die Überwachung am Arbeitsplatz befürworten und sogar promoten. Wieso sie das tun und welche Vorteile das Ganze anscheinend bringt, hat BBC in einem umfassenden Artikel dargestellt.

Überwachungs-Tools für Mitarbeiter sind auf dem Vormarsch

Laut einer Studie von Gartner, nutzt mehr als die Hälfte aller Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Dollar nicht-traditionelle Überwachungsmethoden. Diese gehen über Stempelkarten hinaus und umfassen modernste Technologien, die zur Analyse von E-Mail-Verkehr, Konversationen oder sogar dem Schlafrhythmus dienen. Während es 2013 gerade einmal 30 Prozent der Unternehmen waren, die solche Tools nutzten, sieht Gartners VP Brian Kropp einen deutlichen Anstieg für das kommende Jahr: Er geht von einem Anstieg auf 80 Prozent aller Unternehmen aus. Auch andere Studien treffen derartige Vorhersagen. So soll beispielsweise der Wert der Workforce Analytics-Industrie bis 2025 auf 1,87 Milliarden Dollar steigen.

Vorteile soll es für Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen geben

Natürlich promoten Firmen mit dem Schwerpunkt Workforce Analytics die Entwicklungen in Richtung Überwachung. So spricht Ben Waber, CEO von Humanyze, davon, dass nicht nur die Unternehmen profitieren können, sondern auch ganz klar die Angestellten selbst. Tatsächlich klingen die Methoden seiner Firma zunächst skurril: Zum einen sammelt Humanyze Daten darüber, wie oft Mails und Instant Messaging genutzt werden. Daneben gibt es jedoch auch Namensschilder, die mit Mikrophonen ausgestattet sind. Das Aufgenommene wird gleichzeitig mit Hilfe elektromagnetischer Wellen (RFID) analysiert. Es wird also aufgezeichnet, wie oft die Mitarbeiter sprechen, ihre Lautstärke und Intonation sowie ihre Dominanz innerhalb von Konversationen. Doch wo liegen nun die Vorteile, in dieser bizarren Art der Überwachung?

Weber vergleicht die Namenschilder mit Fitnessarmbändern – nur eben für die Karriere. Tatsächlich soll die Technik vor sexueller Belästigung und Mobbing schützen – vermutlich weil Mitarbeiter sich nicht trauen, entsprechende Äußerungen zu treffen, wenn sie überwacht werden. Natürlich können die Sprachaufnahmen aber auch als Beweismittel bei solchen Anschuldigungen dienen. Weber betont jedoch noch weitere Vorteile der Überwachung. So kommen Ergebnisse zustande, auf die man vorher nie gekommen wäre. Ein Beispiel: Es wurde durch die erfassten Daten festgestellt, dass die Größe des Mittagstischs entscheidend für die Performance ist. Mitarbeiter, die an einem Zwölfertisch saßen, erzielten höhere Leistungen als jene, die an einem Vierertisch saßen. Weber erklärt:

The larger tables led to more interaction with staff from other parts of the company and this improved idea sharing.

Chips unter der Haut – Stockholm macht vor wie es geht

Der Co-Working Space Epicenter in Stockholm verfolgt eine ganz andere Taktik. Statt Namensschild inklusive Mikrophon, können Mitarbeiter mit einem Chip versehen werden – der unter die Haut gesetzt wird. Dabei handelt es sich um einen kleinen, nicht ganz schmerzfreien medizinischen Eingriff, der vor Ort vollzogen wird. Der Chip ist in etwa so groß wie ein Reiskorn. Mit dem kleinen Device können Türen geöffnet werden, Drucker bedient, aber auch Kontaktdaten ausgetauscht und beispielweise die eigene Tippgeschwindigkeit analysiert werden. Laut den Entwicklern des Systems, haben die Träger des Chips volle Kontrolle darüber, wann ihre Daten ausgelesen werden und wann nicht, denn – eine Übertragung findet erst statt, wenn der Träger maximal einen Zentimeter vom Lesegerät entfernt ist.

Vermutlich denken viele nun, dass diese Methoden an totalitäre Zustände erinnern. Doch es sind viele Experten der Meinung, dass ein Chip gar nicht soweit entfernt von ID-Karten oder biometrischen Systemen ist. Tatsächlich komme es darauf an, dass die Überwachungsmaßnahmen erstens freiwillig sind und bleiben und zweitens, nicht dazu dienen Mitarbeiter zu bestrafen. Eine Reduzierung der Pausenzeit oder das Unterbinden von Gesprächen unter Kollegen seien nicht zweckdienlich und werfen ein negatives Bild auf die Methoden.

Es kommt auf die Kommunikation mit den Mitarbeitern an

Überwachung kommt nicht bei jedem gut an. Beim britischen Telegraph wurden beispielsweise Wärmebild- und Bewegungssensoren unter den Tischen installiert. Angeblich hatte dies mit Energiesparmaßnahmen zu tun. Nachdem die Mitarbeiter jedoch eine kleine Revolte gegen die Maßnahme starteten, wurden die Geräte nach nur 24 Stunden wieder entfernt. Und auch hier in Deutschland hören wir oft von skandalösen Fällen, in denen Mitarbeiter, teilweise sogar ohne deren Wissen, ausspioniert und überwacht werden, zum Beispiel bei Lidl oder Amazon. Kropp sagt, um so etwas zu vermeiden, müssen Angestellte aktiv über Sinn und Ausmaß der Überwachungs-Tools aufgeklärt werden. Erfolgt dies, so seien 46 Prozent der Mitarbeiter „an sich einverstanden“ damit. Zugegeben, diese Aussage klingt noch nicht komplett überzeugt.

Und selbst wenn die Maßnahmen kommuniziert werden, bleiben viele Angestellte skeptisch. Verständlich, wenn man Berichte über große Daten Leaks und Missbräuche verfolgt. Viele vertrauen nicht darauf, wenn der Arbeitgeber sagt, die gesammelten Daten würden anonymisiert bleiben. Die Furcht bei der Arbeit in einer Art Big Brother Container zu sitzen, bleibt also bestehen.

Fazit: Lohnt sich Dauerüberwachung?

Natürlich sind einige der Vorteile, die von den Befürwortern der Überwachung genannt werden, nicht von der Hand zu weisen. Jedoch bleibt fraglich, ob sich der Aufwand lohnt. Schließlich können die Tools schnell negative Züge annehmen und das Vertrauen zwischen Mitarbeiter und Arbeitgeber stören. Führungskräfte sind dadurch außerdem erneut in der Position, einen ständigen Blick auf ihre Angestellten zu haben – anstatt diese selbstständig arbeiten zu lassen, was Studien zufolge der Produktivität und Effizienz zu Gute kommen würde.

Wieso also im Unternehmen unbedingt auf Dauerüberwachung setzen? Gibt es tatsächlich bemerkbare Defizite, können diese auch durch gezielte Untersuchungen, die sich über einen beschränkten Zeitraum ziehen, analysiert werden – natürlich nur, wenn unbedingt nötig. Wenn im Betrieb alles gut läuft, ist der ständige Drang nach Verbesserung und Optimierung vielleicht auch fehl am Platz. Anstatt also die Mitarbeiter ständig zu überwachen, könnten Arbeitgeber diese „einfach mal ihr Ding machen lassen“ – und sich von den zumeist positiven Ergebnissen überraschen lassen.

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