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Büroalltag
Menstruation als Problem im Arbeitsalltag: Brauchen wir einen Menstruationsurlaub?

Menstruation als Problem im Arbeitsalltag: Brauchen wir einen Menstruationsurlaub?

Michelle Winner | 16.11.21

Der Menstrual Leave ist besonders auf dem asiatischen Kontinent verbreitet und soll Menstruierende im Alltag entlasten. Denn Menstruationsbeschwerden sind oft schwerwiegender, als nur ein bisschen Bauchweh.

Krämpfe, Schwindel, unreine Haut, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Übelkeit: Einmal im Monat sind diese und weitere Symptome Alltag für menstruierende Menschen. Kein Wunder also, dass viele Betroffene sich in dieser Zeit krankmelden oder sich mit Schmerzmitteln durch den Alltag quälen – sinkende Produktivität inklusive. Aus diesem Grund gibt es in vielen asiatischen Ländern bereits den „Menstrual Leave“, zu Deutsch Menstruationsurlaub. Dieser wird teilweise bezahlt, ist teilweise aber unbezahlt und kann von Menstruierenden ohne große Begründung anstelle einer regulären Krankschreibung in Anspruch genommen werden. Doch wieso braucht es ein solches Konzept und sollte es auch in Deutschland umgesetzt werden?

Periode als Belastung für menstruierende Menschen

Der Menstruationsurlaub soll eine Entlastung für alle menstruierenden Menschen darstellen. In diesem Zusammenhang sprechen wir nicht nur explizit von Frauen, da erstens, nicht alle Frauen von der Monatsblutung betroffen sind, und zweitens, nicht alle Menstruierenden Frauen sind. Beispielsweise auch transgender Männer oder nichtbinäre Personen können ihre Periode haben, obwohl sie keine Frauen sind. Das liegt unter anderem daran, dass nicht alle geschlechtsangleichende Operationen machen lassen können oder wollen oder sich auf anderem Wege von der Menstruation befreien können.

Durch die Blutung werden diese Personen an ihr bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht erinnert, was oft eine große psychische Belastung für die Betroffenen darstellt. Sie fühlen sich dann neben den körperlichen Beschwerden auch mental ausgelaugt, deprimiert oder ekeln sich sogar vor sich selbst. Der Menstrual Leave könnte ihre Situation verbessern, indem sie sich mit diesem Problem nicht im Arbeitsalltag und damit in der Öffentlichkeit herumschlagen müssen. Dazu sei gesagt, dass auch viele Frauen die Menstruation als psychische Belastung wahrnehmen und, obwohl sie etwas ganz Natürliches ist, sich während dieser Zeit unwohl in ihrer Haut fühlen. Damit kann der Menstruationsurlaub eine Entlastung für alle menstruierenden Personen sein.

Tabuthema Menstruation: So belastet sie den Alltag

Ein paar Krämpfe und PMS, aber nichts, was eine Wärmflasche nicht retten könnte – so wird die Menstruation oft in den Medien dargestellt und diese Darstellung hat sich in den Köpfen vieler Menschen festgesetzt. Menstruierende „sollen sich nicht so anstellen“ und deshalb werden beispielsweise schon Kinder in der Schule dazu gezwungen, trotz Periodenbeschwerden am Sportunterricht teilzunehmen. Dieses Augen-Zu-Und-Durch-Motto setzt sich dann bis ins Erwachsenenalter fort, denn auch hier wird erwartet, dass man trotz Menstruation funktioniert – egal ob im Privatleben oder Arbeitsalltag. Die Menstruation und ihre Begleiterscheinungen können jedoch schwerwiegenden Einfluss auf das Leben haben und zu Einschränkungen führen. Einige Gründe dafür haben wir für dich zusammengefasst:

  • starke, krampfartige Schmerzen, teilweise sogar ausgelöst durch nicht diagnostizierte Endometriose
  • Durchfall und/oder Erbrechen, Blähbauch
  • Schwindelgefühl bis hin zur Ohnmacht
  • Kopfschmerzen oder Migräne
  • starke Reaktion der Haut, wodurch Unwohlsein ausgelöst wird
  • starke Stimmungsschwankungen, die psychische Probleme verstärken (Angststörungen, Depressionen, etc.)
  • Angst vor dem „Erwischt werden“, weil Menstruation teilweise als Tabuthema oder sogar peinlich gilt
  • starke Blutungen und dadurch die Angst, Orte ohne Toilette zu besuchen
  • Angst, dass Tampons, Binden, Cups und Co. nicht „dicht halten“
  • Angst vor dem plötzlichen Einsetzen der Menstruation durch unregelmäßige Zyklen
  • Frustration beim Einsetzen der Menstruation, weil man versucht schwanger zu werden

Die Liste ließe sich noch ewig weiterführen. So beeinflusst die Menstruation bei vielen Betroffenen die Freizeitpläne oder Kleidungswahl. Gerade für Personen, die auf bestimmte Arbeitskleidung angewiesen sind, kann das zur Qual werden. Hinzu kommt noch das Schamgefühl, dass viele bei dem Thema empfinden, da die Menstruation tabuisiert, nicht genug darüber aufgeklärt oder von Außenstehenden als eklig empfunden wird.

Menstruationsurlaub: Wo gibt es ihn und wie wird er umgesetzt?

Unter dem Menstrual Leave wird generell ein bezahlter oder unbezahlter Sonderurlaub verstanden, den menstruierende Menschen monatlich beanspruchen können. Die Idee ist eine direkte Reaktion darauf, dass einige Menstruierende sich während der Periode krankmelden und noch viele mehr sich zur Arbeit schleppen. Das hat in vielen Fällen sinkende Produktivität zu Folge, laut einer Studie insgesamt neun Tage Produktivitätverlust im Jahr. Laut einer weiteren Umfrage geben 80 Prozent der Befragten an, dass sie ihre sinkende Produktivität während der Menstruation selbst erkennen. Heißt, menstruierende Menschen in dieser Zeit zur Arbeit „zu zwingen“, kann für Unternehmen Nachteile haben.

Tatsächlich wurde Menstruationsurlaub schon in den 1920er Jahren von Fabrikarbeiter:innen im asiatischen Raum gefordert, die mit den dortigen Arbeitsbedingungen besonders während ihrer Periode überfordert waren. Das Resultat ist heute ein in der Theorie gesetzlich festgelegter Menstrual Leave in Südkorea, Taiwan, Japan, Indonesien und auch jüngst China. Dazu muss jedoch gesagt werden, dass Unternehmen oft selbst entscheiden können, ob sie das Konzept umsetzen und ob der Urlaub bezahlt oder unbezahlt ist.

Umsetzung und fehlende Regelungen

Trotz gesetzlicher Verankerung gibt es oft keine genaueren Bestimmungen zum Menstruationsurlaub, heißt zu seiner Länge und seiner Bezahlung. Zudem gehen die Länder unterschiedlich damit um. In Indonesien haben Menstruierende an zwei Tagen im Monat das Recht auf den Sonderurlaub, was jedoch von vielen Unternehmen ignoriert wird. In Südkorea kann entweder der Urlaub genommen werden oder eine zusätzliche Entlohnung, wenn trotz Menstruation gearbeitet wird. In Taiwan stehen menstruierenden Menschen drei Tage Menstrual Leave zusätzlich zu den 30 bezahlten Krankheitstagen zu.

Initiativen zur gesetzlichen Regelung von Menstruationsurlaub in Russland, Australien und Italien gingen leer aus. In Deutschland gab es lange Zeit keine Debatte zu dem Thema. Grund hierfür ist vermutlich, dass Arbeitnehmer:innen sich sowieso zwei Tage krankmelden können, da ein ärztliches Attest erst ab Tag drei vorliegen muss. Das Problem ist jedoch, dass diese zwei Tage nicht immer ausreichen. Außerdem werden sie von Vorgesetzten oder Kolleg:innen teilweise auch als „krankfeiern“ wahrgenommen, weshalb einige Personen sich nicht trauen sie in Anspruch zu nehmen.

Vorteile des Menstruationsurlaubs

Wie sich zeigt, fehlen also konkrete Regelungen zum Menstrual Leave. Diese müssen entweder von den Ländern festgelegt werden oder schlichtweg von den Unternehmen selbst, wenn sie das Konzept für sinnvoll halten. Von Vorteil ist es dabei, eine genaue Anzahl von Tagen festzulegen (in Deutschland am besten mindestens drei, damit es Sinn ergibt), die in Anspruch genommen werden kann. Außerdem empfiehlt es sich, den Menstruationsurlaub zu bezahlen. Unbezahlt würden viele Betroffene den Sonderurlaub nicht an Anspruch nehmen und sich lieber weiter durch den Alltag quälen. Hinzu kommt, dass eine fehlende Bezahlung während des Menstrual Leave fast schon einer Bestrafung für einen natürlichen Prozess des Körpers ähnelt.

Wenn das Konzept dann erstmal etabliert wurde, bringt es viele Vorteile mit sich. Die wichtigsten haben wir für dich aufgelistet:

  • psychische Entlastung für Mitarbeiter:innen
  • physische Entlastung für Mitarbeiter:innen
  • in vielen Fällen seltenere Einnahme starker Schmerzmittel (weil nicht „funktioniert“ werden muss)
  • gesteigertes, generelles Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen
  • produktiveres Arbeitsklima und weniger wirtschaftliche Verluste (z.B. durch Fehler oder Verlust der Qualität der Arbeit)
  • höhere Verbundenheit zum Unternehmen seitens der Mitarbeiter:innen
  • Enttabuisierung des Themas Menstruation, was Reputation des Unternehmens verbessern kann
  • Förderung von Inklusion und Diversity (Berücksichtigung individueller Unterschiede der Mitarbeiter:innen)

Eine Alternative beziehungsweise Ergänzung zum Menstruationsurlaub könnte außerdem ein Jahresattest vom Arzt sein. Heißt, Menstruierende müssen nur einmal im Jahr aufgrund von Menstruationsbeschwerden zum Arzt und können das Attest in den restlichen Monaten immer wieder geltend machen. Und so schreibt Linda Becker für Puls zu dem Thema:

Fehltage kosten immer – aber sie werden nicht teurer durch eine offizielle Bescheinigung. Im Gegenteil: Dieses Modell wäre für Krankenkassen sogar billiger. Denn ein Jahresattest ist günstiger als zwölf Arztbesuche im Jahr. Man muss zwar in vielen Berufen erst am dritten Tag mit einer Krankmeldung kommen, aber längst nicht in allen.

Zudem sollte nicht angenommen werden, dass alle menstruierenden Personen den Menstrual Leave in Anspruch nehmen, sondern jene, die wirklich unter Beschwerden leiden. Das Symptom Regelschmerzen teilen beispielsweise 30 bis 50 Prozent aller Betroffenen. Daher ist es auch fraglich, ob es durch den Menstrual Leave wirklich viel mehr Fehltage pro Arbeitnehmer:in gibt. Zumal es nicht verpöhnt sein sollte, sich wegen Menstruationsschmerzen krankschreiben zu lassen, schließlich lassen sich aufgrund von Rückenschmerzen auch viele Menschen die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Laut AOK war es im Jahr 2019 sogar jede zehnte Person und damit gab es sogar mehr Krankschreibungen wegen Rückenschmerzen als wegen Erkältungen.

Kritik am Konzept: Kommt es zur Ungleichbehandlung?

Die Idee des Konzepts sorgt für hitzige Debatten, die besonders online oft wenig sachlich bleiben. Kritik kommt dabei nicht nur von nicht-menstruierenden Menschen, insbesondere Männern, sondern auch von Menstruierenden selbst. So wird die Frage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz laut. Nicht-menstruierende Personen können es als unfair empfinden, keinen Sonderurlaub zu bekommen. Die Bezeichnung „Urlaub“ kann deshalb im Zusammenhang mit dem Menstrual Leave irreführend sein, schließlich sollen Betroffene aufgrund gesundheitlicher Beschwerden zu Hause bleiben. Das ganze sollte nicht als zusätzliche Urlaubstage, die man beispielsweise für Freizeitaktivitäten nutzt, gelten.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass es sich bei dem Thema um sensible Daten handelt. Arbeitnehmer:innen sind generell nicht dazu verpflichtet ihren Vorgesetzten zu melden, aufgrund welcher Art von Erkrankung sie sich krankmelden oder -schreiben lassen. Beim Menstrual Leave geht es jedoch ganz deutlich um die Menstruation, heißt, wer den Sonderurlaub beansprucht, teilt den Vorgesetzten mit „Huhu, ich hab meine Tage“. Auch wenn das Thema definitiv enttabuisiert werden sollte, sind Arbeitgeber:innen nicht unbedingt die Personen, mit denen man offen darüber sprechen möchte.

Mehrkosten und Abkehr vom Feminismus?

Viele Arbeitgeber:innen haben zudem Angst vor möglichen Mehrkosten durch den Menstrual Leave, weil es zu mehr Fehltagen kommt. Hier muss jedoch abgewogen werden, was mehr wert ist: Ein paar Fehltage mehr oder Mitarbeiter:innen, die mindestens einmal im Monat nicht voll bei der Sache sein können. Die Kostenfrage wird jedoch auch generell in der Gesellschaft laut. Dazu schreibt Becker:

Wer soll das bezahlen? Wir sind ja hier kein Sozialstaat! Doch sind wir. Und wer krank ist, bleibt zu Hause. Würde man sehr starke Menstruationsbeschwerden und Endometriose als Krankheit ernst nehmen, wäre das nämlich kein Problem. Dann müssten [die Betroffenen] nur ein einziges Mal im Jahr zum Arzt gehen. Keine Ausreden mehr, keine Entschuldigungen. Sie hätten einfach ein gültiges Jahresattest.

Wesentlich stärker ist die Kritik von feministischer Seite. Teilweise hetzen hier Frauen gegen andere Menstruierende mit dem bekannten Argument „Stell dich nicht so an“. Dabei wird argumentiert, dass wegen der Beschwerden zu Hause bleiben ein Zeichen der Schwäche der Frau und somit antifeministisch wäre. Dieser Standpunkt ist jedoch eher unsachlich, denn in erster Linie steht Feminismus für Gleichberechtigung und selbstbewusst dafür zu stehen, wer man ist. Und wenn jemand aufgrund starker Beschwerden lieber zu Hause bleiben möchte, ist das definitiv nicht antifeministisch.

Ein tatsächliches feministisches Problem ist hingegen, dass besonders Frauen durch den Menstrual Leave abgewertet werden können. Sie könnten als schwach und weniger leistungsfähig gelten, was dazu führen kann, dass sie schlechtere Job-Chancen erhalten oder niedrigeres Gehalt. Dem muss daher unbedingt vorgebeugt werden, bevor das Konzept etabliert wird, am besten durch Aufklärung. Abgesehen davon können auch transgender und nichtbinäre Personen das Problem bekommen, dass ihre Geschlechtsidentität weniger anerkannt wird, wenn sie den Menstrual Leave beanspruchen.

Ein Konzept mit vielen Schwächen?

Neben vielen Vorteilen eines Menstrual Leaves, gibt es auch fundierte Gegenargumente, besonders was Misgunst und Benachteiligung angeht. Deshalb ist es umso wichtiger, dass das Thema Menstruation kein Tabu mehr in unserer Gesellschaft ist und auch nicht-menstruierende Menschen verstehen, dass es sich für viele nicht einfach nur um ein paar Bauchschmerzen handelt. Ein Jahresattest wäre eine gute Alternative für den Sonderurlaub, um den Betroffenen den ständigen Gang in die Praxis zu ersparen.

In unserer eigenen, kleinen Umfrage auf LinkedIn gaben 57 Prozent der teilnehmenden Follower an, dass sie den Menstruationsurlaub befürworten würden. 25 Prozent würden das nur dann tun, wenn er bezahlt wird. Elf Prozent meinten jedoch auch, dass eine Krankschreibung genügen würde und sieben Prozent halten das Konzept für Unsinn. Viele unserer Follower scheinen also generell kein Problem mit dem Menstrual Leave zu haben. Doch nun möchten wir auch wissen, was du als Leser:in dazu sagst: Nimm daher gern an unserer kleinen Umfrage teil und diskutiere fleißig und sachlich in den Kommentaren mit.

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