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New Work
New Work: Weniger Instrument als Weltanschauung
Frédéric Laloux auf der NWX19 in der Hamburger Elbphilharmonie. ç

New Work: Weniger Instrument als Weltanschauung

Tina Bauer | 11.03.19

Wir befinden uns in einem größeren Umbruch als zur industriellen Revolution. Was bedeutet das für die Zukunft der Arbeit?

Die 40-Stunden-Woche, 9-to-5 und die Reduzierung des Menschen zur Ressource haben ausgedient. Die Digitalisierung und die damit verbundene gesellschaftliche Transformation führen uns in ein neues Zeitalter, das einen größeren Impact auf unser Arbeitsleben ausüben wird als die industrielle Revolution. Wo geht die Reise hin? Wir haben uns letzte Woche auf der New Work Experience 2019 in der Elbphilharmonie inspirieren lassen.

Warum New Work weniger Werkzeugkiste denn Weltanschauung ist

„Wir machen auch New Work, unsere Mitarbeiter haben neuerdings einen Tag Home Office im Monat“. Auch, wenn viele Führungskräfte dazu neigen einige der Instrumente in ihrem Unternehmen zu implementieren, um sich daraufhin New Work auf die Fahnen schreiben zu können – so einfach ist es dann doch nicht. Denn New Work ist viel mehr als ein buntes Potpourri aus Werkzeugen, aus denen Unternehmen ein paar passende auswählen können. New Work ist eine Philosophie, eine Weltanschauung, die Unternehmen leben sollten.

Das meint zumindest Frédéric Laloux. Natürlich lassen sich auch New Work-Instrumente in traditionelle Unternehmen integrieren. Doch sind diese von einem überholten mechanischen Weltbild geprägt, das am Ende seiner Zeit angekommen ist. Warum? Weil die ganze Wirtschaft von Ingenieurs-Sprache durchzogen ist: Input, Output, Effizienz, Ressourcen. Daneben steht das gelebte New Work: Unternehmen verstehen sich als lebendigen Organismus, als Ökosystem, in dem Menschen keine Ressourcen sind, sondern individuelle Wunder. Es geht nicht mehr nur um „Höher, schneller, weiter“, es geht um das Stiften von Sinn. Der eine oder andere Chef mag dieses Credo allerdings als wünschenswerten Zustand für seine Mitarbeiter einstufen, die Menschen selbst jedoch können sich immer weniger mit den althergebrachten Formen von klassischer Erwerbsarbeit identifizieren. Den jungen Generationen Gen Z sowie auch den Millennials sind ihre Karriere und ein damit verbundenes möglichst hohes Einkommen zunehmend unwichtiger. Sie leben nicht mehr, um zu arbeiten, wie ihre Eltern es noch taten. Sie wollen nicht mehr gefangen sein in Jobs, die sie nicht lieben. Sie suchen den Sinn hinter den Dingen.

„New Work ist eine Weltanschauung, kein Werkzeugkasten.“ – Frédéric Laloux © Tina Bauer, @karrieremag

Warum sollte ein Unternehmen New Work als Weltanschauung einsetzen wollen, man müsste sich ja von Grund auf neu strukturieren? Laloux gab dazu ein kraftvolles Beispiel: Die Chefin einer Uniklinik war besessen davon, New Work umzusetzen. Denn ihr wurde erst bewusst, dass das seit der Industrialisierung tradierte Arbeitsmodell ausgelaufen war, als sie eines Tages von einem an das ganz andere Ende des Klinikgeländes musste und dazu durch die Gänge lief. Sie stieß dabei überall auf Pflegepersonal, das nur darauf wartete, sich endlich ausstempeln zu können. Menschen sind vor dem Hintergrund dieser festen Strukturen zu leblosen, leeren Wesen geworden, deren übergeordnetes Ziel der Feierabend ist. Sie lieben ihre Arbeit nicht und verbinden mit ihr auch keinerlei weiterführenden Ziele. Sie limitieren sich selbst. Sind Mitarbeiter zufrieden, gehen sie durchaus auch die Extrameile und tragen zum Unternehmenserfolg mitunter mehr bei als ein lebloser Zombie.

Hierarchien und Führung haben uns innerlich sterben lassen

Wie viele Menschen nur für das Geld arbeiten, ihren Job selbst aber gar nicht leiden können, lässt sich nicht beziffern. Jedoch, es werden viele sein. Es langt, sich allein im Freundes- und Bekanntenkreis umzuhören. Vielen fehlt der Sinn, Wertschätzung oder Respekt und auch die Entlohnung ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Aber sollten wir nur für das Geld arbeiten? Klar ist, es arbeitet sich leichter, wenn das Geld bis zum Monatsende ohne große Abstriche reicht. Doch macht es uns auf lange Sicht nicht gesünder, wenn wir ausschließlich des Geldes wegen arbeiten, der Sinn des Ganzen sich uns aber nicht erschließen will oder wir ständig auf Mauern (Führungskräfte) stoßen. 

Die Probleme beginnen schon in der Kindheit – Gerald Hüther macht auf der NWX19 einen Ausflug in die Neurobiologie. © Tina Bauer, OnlineMarketing.de

Bei New Work geht es um viel mehr als nur Arbeit. Es geht um den Menschen. Der angesehene Neurobiologe Gerald Hüther wirft auf der NWX19 einen wissenschaftlichen Blick auf die Entwicklung. Laut Hüther beginnt unser ganzes Martyrium bereits in der Kindheit und nicht erst mit dem Eintritt ins Erwerbsleben. Kinder haben eine ungebändigte Entdeckerlust, wollen immer Neues kennenlernen. Doch irgendwann, und das geht ziemlich schnell, wird einem gesagt, wie alles richtig geht. Wir werden zum Objekt und dies sei das Inkoheränteste, was uns passieren kann. Weil alle wollen, dass man etwas anderes macht, als seiner kindlichen Neugierde nachzugehen, hemmt der Mensch sein neuronales Netzwerk und seine Verschaltungen und kann sein echtes Potential gar nicht entfalten. Er unterdrückt seine eigene Entdeckerfreude. Die Konsequenz sind hierarchische Gesellschaften.

Wer jetzt denkt, dass Hierarchie etwas Naturgegebenes ist, der liegt falsch. Zwar leben wir seit etwa 10.000 Jahren mit diesem System, doch dass uns Wege vorgegeben, wir also geführt werden, ist keinesfalls natürlich. Doch ziehen sich Hierarchien durch unsere Gesellschaft. Damit kommt nicht jeder klar, auch Joschka Fischer ist so ein Fall – der aber ebenfalls zeigt, dass auch der ganz eigene Pfad zum Ziel führen kann. Das Gymnasium hat er nach der 10. Klasse abgebrochen, genau wie eine Fotografenausbildung. Sein Leben lang ist er mit Autorität zusammengeprallt und hegt eine tiefe Abneigung gegen die „aufgesetzte Autorität“, die er als eine Führung bezeichnet, die sich nicht durch eigene Leistung darstellt. Er ging seinen Weg auch ohne Abitur, ging in die Politik und wurde schlussendlich Bundesaußenminister. Seine Mitarbeiter behandelte er nie von oben herab, sondern nahm sie und ihre Ideen stets ernst, auch wenn er manchmal erst abwiegelte: „Ich war mir nie zu schade, mich mit dem Impulsgeber nochmal zu unterhalten“. Er weist darauf hin, wie wichtig es als Angestellter sei, seine Ideen durchzusetzen und auf seiner Meinung zu beharren – dies habe ihn manchmal sogar vor teuren Fehlern bewahrt. 

Joschka Fischer hat ein sehr inspirierendes Interview gegeben und dabei auch auf seine eigene Geschichte zurückgeblickt. © Tina Bauer, @karrieremag

Hüther ist der Meinung, dass unser heutiges Verständnis vom Lernen und Arbeit nichts mit dem Ursprungsgedanken zu tun hat. Indem andere uns schon früh vorgeben, was richtig ist, verlernen wir das richtige Lernen. Gleichermaßen verhält es sich mit dem Begriff der Arbeit, der erst seit wenigen Jahrhunderten eine Tätigkeit beschreibt, für die wir einen Lohn erhalten. Durch die ganzen Vorgaben, die uns unser Leben lang begleiten, ein dadurch entstandenes falsches Verständnis von Lernen und Arbeit haben wir uns zu willenlosen Zombies entwickelt, die tun, was sie überwiegend gar nicht tun wollen. Wir haben gelernt, dass wir in Hierarchien leben, an denen es nichts zu rütteln gibt und tun, was andere von uns verlangen. Hüther glaubt, dass diese Zeiten vorbei sind und wir das System aufbrechen müssen, wieder lernen müssen zu lernen und uns so neu zu erfinden. 

Und wie soll das gehen? Dazu muss man sich den Menschen als unbeschriebenes Blatt vorstellen, der eine bedingungslose Lust zu lernen und sich zu entwickeln hat. Im Laufe seines Lebens hat er eine innere ungünstige Einstellung entwickelt, die auf seiner Erfahrung basiert. Aus dieser Erfahrung ergab sich, dass er mit ihrer ureigenen Freude am Lernen gegen die Wand gelaufen ist, woraus eine Null-Bock-Haltung resultiert. Durch Training, Belehrung, Belohnung oder Bestrafung ist der Mensch zum Objekt geworden. Alles was er benötigt, um sich wieder frei zu entfalten und zu entwickeln, sind Gelegenheiten dazu. Dazu muss man nicht von Außen geändert werden, es reicht in ihm etwas auszulösen, sich selbst wiederzufinden. Dazu müssen Räume geschaffen werden und andere Menschen zur Verfügung stehen, die dem Menschen begegnen und ihn berühren und inspirieren. Hierarchien gehören in diesem Zusammenhang der Vergangenheit an, sie sind die traurigste Entwicklung, so Hüther, „denn wer sich nur führen lässt, ist tot“.

Zur Zukunft der Arbeit: Es ist noch ein langer Weg bis New Work

So wie alle gesellschaftlichen Entwicklungen mitunter Jahrzehnte benötigen, wird auch der Wandel der Arbeit unserer Zeit noch lang andauern. Das Problem dabei ist, dass die Digitalisierung dabei sehr viel schneller voranschreitet, als die Wirtschaft hinterherkommt. Glaubt man Sascha Lobo, ist der Ausblick zumindest in Deutschland düster. Seit Beginn der Industrialisierung treibt uns die sogenannte soziale Frage um. Die Ängste, mit denen sich Bauern, Handwerker oder Arbeiter bereits vor knapp 200 Jahren auseinandersetzen mussten, sind ähnlich gelagert wie die, denen wir uns heute stellen: Was passiert vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz mit unseren Jobs? Wie gestaltet sich unsere Zukunft? Die digitale Infrastruktur Deutschlands lässt zu wünschen übrig. Bekannt ist das seit 30 Jahren, geändert hat sich seither nicht viel. Im Hinblick auf New Work ist das eine Katastrophe, denn New Work muss auch und vor allem da möglich sein, wo Wertschöpfung stattfindet.

Sascha Lobo hält die digitale Infrastruktur Deutschlands für eine Katastrophe im Hinblick auf New Work © Tina Bauer, OnlineMarketing.de

„Tue nichts, wovon du nicht auch selbst überzeugt bist“, sagte letztes Jahr dm-Gründer Götz Werner auf der Konferenz. Und auch, wenn der Weg zu New Work noch ein langer ist, sollten und müssen wir ihn gehen und die Chancen und Herausforderungen ergreifen, die sich uns damit bieten. Der Mensch im Allgemeinen kann davon nur profitieren. Wichtig ist dabei aber zu verstehen, dass New Work unser Arbeitsleben neu sortieren wird und als Weltanschauung zu verstehen ist. Mit Home Office und einem Bürohund ist es noch lange nicht getan. Es geht um nichts weniger als den Menschen hinter der Ressource, der sehr viel mehr zu leisten fähig ist, wenn er einer für ihn sinnvollen Arbeit nachgeht, die ihn erfüllt.

„Es ist eine spannende Zeit: Die Welt ordnet sich neu, was mit uns wird, ist völlig offen. Bleiben Sie neugierig“, mahnt am Schluss Joschka Fischer.

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