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Digitalpolitik
David gegen Goliath: Neue Gesetze verleihen Deutschland Sonderstellung im Kampf gegen die Marktdominanz der Big-Tech-Unternehmen

David gegen Goliath: Neue Gesetze verleihen Deutschland Sonderstellung im Kampf gegen die Marktdominanz der Big-Tech-Unternehmen

Ein Gastbeitrag von Malte Stübinger | 10.06.22

Erfahre, mit welchen Gesetzesvorgaben Deutschland große Tech-Unternehmen reguliert und welche rechtlichen Möglichkeiten digitalen Startups zur Stärkung ihrer Marktstellung offenstehen. Ein Beispiel untermauert die Ausführungen.

Eine Reihe neuer rechtlicher Weichenstellungen ermöglicht es, die marktbeherrschenden Strukturen, die die großen Tech-Unternehmen in vielen Bereichen der digitalen Welt aufgebaut haben, aufzubrechen. Damit werden fairere Startbedingungen für Anbieter:innen neuer Geschäftsmodelle geschaffen und die Bildung von Netzwerk-Monopolen wird verhindert. Handeln können sowohl die Startup-Unternehmen selbst als auch das Bundeskartellamt. Deutschland nimmt hier weltweit eine Vorreiter:innenrolle ein – und andere Länder schauen sehr genau auf die hiesigen Entwicklungen. Die neuen rechtlichen Instrumente sind aber auch risikobehaftet und kosten Zeit und Geld.

Startups als politisches Thema

Digitale Startups mit kreativen, neuen Geschäftsideen sind ein Lieblingsthema der Politik. Sie bereichern den Markt, fördern Innovation, kreieren moderne Arbeitsplätze – und scheitern leider allzu oft schon am Markteintritt. Denn oft schaffen sie es nicht, neben den verschiedensten Angeboten von Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft überhaupt eine relevante Aufmerksamkeit für ihr neuartiges Angebot zu generieren.

Die großen Digitalkonzerne haben erfolgreich Strukturen etabliert, in denen das interne Cross Referencing und Cross Selling die Kund:innen fest an die Dienste innerhalb des eigenen Ökosystems bindet. So wird es innovativen Geschäftsideen und Angeboten erschwert, eine hinreichende Wahrnehmung zu erzielen und entsprechend Nutzer:innen für ein neues Produkt zu gewinnen. Die betreffenden Angebote mögen der Kundschaft zwar im Endeffekt eine sehr gute Lösung für ein Problem anbieten, erreichen diese aber oft gar nicht. Denn letztere ist im Kosmos der Angebote „ihrer“ Online-Gigant:innen kraft Self Preferencing faktisch weitgehend „locked in“ – häufig, ohne dass dies den Verbraucher:innen überhaupt bewusst ist. Convenience is key – und jeder Klick, den ich spare, wenn ich auf die bereits vorinstallierte Lösung zugreife, sichert dem etablierten Platzhirsch zusätzliche Marktanteile.

Vorherige Gesetze stammten aus einer analogen Zeit

Bei den bisher bereits zur Verfügung stehenden Mitteln des gewerblichen Rechtsschutzes (insbesondere Patentrecht und Markenrecht) und den Regelungen gegen den unlauteren Wettbewerb klafften aus der Perspektive kleinerer Unternehmen, die sich mit der Übermacht eines oder mehrerer der großen Digitalkonzerne konfrontiert sehen, erhebliche Schutzlücken. Die Mechanismen, die das Gesetz vorsah, stammen noch aus einer analogen Zeit, weit vor dem Aufkommen der Plattformökonomie und der miteinander vernetzten Angebote. Sie boten gegen die neuartigen, häufig rein faktischen Kund:innenbindungsmechanismen, die den Markteintritt behinderten, keine rechte Handhabe.

Deutschland hat nun in einem weltweit bislang beispiellosen Coup den großen Digitalkonzernen den Kampf angesagt. Sowohl dem Bundeskartellamt als auch den übervorteilten digitalen Startups stehen neue rechtliche Mittel zur Verfügung, um einer weiteren, übermäßigen Oligopolisierung des Marktes Einhalt zu gebieten.

Bundeskartellamt kann „überragende, marktübergreifende Bedeutung“ feststellen

Das Bundeskartellamt hat im Zuge der jüngsten Reform des Wettbewerbs- und Kartellrechts, die Anfang 2021 in Kraft getreten ist, ein mächtiges Schwert an die Hand bekommen, um die erdrückende Macht der großen Digitalkonzerne einzudämmen (Vgl. § 19a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen: „Missbräuchliches Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“.) Kommt das Bundeskartellamt nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis, dass ein Unternehmen in einem konkreten Online-Markt eine Stellung von „überragender, marktübergreifender Bedeutung“ einnimmt, kann es gegenüber dem jeweiligen Unternehmen eine entsprechende Verfügung zur Eindämmung dieser marktbeherrschenden Stellung erlassen. Nach dem erklärten Ziel des Gesetzgebers hat es dann zum Schutz des Marktes weitreichende Eingriffsbefugnisse in das Geschäftsmodell der betreffenden Akteur:innen. Es können insbesondere ebensolche Mechanismen im großen Umfang verboten werden, die sich die Trägheit der User zunutze machen, um sie im Kosmos der eigenen Angebote zu halten. Die Befugnisse treffen also ins Mark der Geschäftsmodelle vieler großer Plattformanbieter:innen. So kann das Amt etwa folgende Praktiken verbieten oder einschränken, um den Wettbewerb zu stärken (siehe § 19a GWB):

  • die eigenen Angebote gegenüber denen von Wettbewerber:innen bevorzugt zu behandeln, insbesondere die eigenen Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen oder ausschließlich eigene Angebote auf Geräten vorzuinstallieren oder sonst wie in Angebote des Unternehmens zu integrieren;
  • Maßnahmen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Märkten behindern, wenn die Tätigkeit des Unternehmens für den Zugang zu diesen Märkten Bedeutung hat, insbesondere Maßnahmen, die zu einer ausschließlichen Vorinstallation oder Integration von Angeboten des Unternehmens führen, oder die andere Unternehmen daran hindern oder es ihnen erschweren, ihre eigenen Angebote zu bewerben oder Abnehmer auch über andere als die von dem Unternehmen bereitgestellten oder vermittelten Zugänge zu erreichen;
  • Wettbewerber:innen auf einem Markt, auf dem das Unternehmen seine Stellung, auch ohne marktbeherrschend zu sein, schnell ausbauen kann, unmittelbar oder mittelbar zu behindern, insbesondere die Nutzung eines Angebots des Unternehmens mit einer dafür nicht erforderlichen automatischen Nutzung eines weiteren Angebots des Unternehmens zu verbinden, ohne dem Nutzer ausreichende Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des anderen Angebots einzuräumen, oder die Nutzung eines Angebots des Unternehmens von der Nutzung eines anderen Angebots des Unternehmens abhängig zu machen;
  • durch die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten Marktzutrittsschranken zu errichten oder Geschäftsbedingungen zu fordern, die eine solche Verarbeitung zulassen, insbesondere die Nutzung von Diensten davon abhängig zu machen, dass Nutzer:innen der Verarbeitung von Daten aus anderen Diensten des Unternehmens oder von Drittanbieter:innen ohne ausreichende Wahlmöglichkeit zustimmen, oder von anderen Unternehmen erhaltene wettbewerbsrelevante Daten zu anderen als für die Erbringung der eigenen Dienste gegenüber diesen Unternehmen erforderlichen Zwecken zu verarbeiten, ohne diesen Unternehmen eine ausreichende Wahlmöglichkeit einzuräumen;
  • die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten zu erschweren;
  • andere Unternehmen unzureichend über den Umfang, die Qualität oder den Erfolg der erbrachten oder beauftragten Leistung zu informieren;
  • für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens Vorteile zu fordern, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen, insbesondere für deren Darstellung die Übertragung von Daten oder Rechten zu fordern, die dafür nicht zwingend erforderlich sind oder die Qualität der Darstellung dieser Angebote von der Übertragung von Daten oder Rechten abhängig zu machen, die hierzu in keinem angemessenen Verhältnis stehen.

In seiner ersten Entscheidung dieser Art hat das Bundeskartellamt Ende 2021 Alphabet (Google) als Unternehmen mit überragender Marktmacht identifiziert und es unter erweiterte Aufsicht gestellt. Im Mai 2022 folgte ein vergleichbarer Beschluss gegen Meta (Facebook). Weitere Prüfungsverfahren laufen gegen Amazon und Apple. Bislang ist nicht öffentlich bekannt, welche konkreten Maßnahmen und Anordnungen das Amt gegenüber den Unternehmen bereits in die Tat umgesetzt hat. Den betroffenen Unternehmen steht freilich der Rechtsweg zu den Gerichten offen, und zwar sowohl gegen die zugrundeliegende Feststellung der „marktübergreifenden Bedeutung“ an sich als auch gegen die etwaigen Einzelmaßnahmen.

Benachteiligte digitale Startups können Klagerecht nutzen

Daneben stellt das Zivilrecht benachteiligten Marktakteur:innen, die drohen, angesichts der Übermachtstellung der großen Anbieter:innen verdrängt zu werden, nun neue Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das bisherige Instrumentarium war hier in relevanten Konstellationen nicht hilfreich und hatte sich insbesondere gegenüber dem Phänomen der Netzwerkeffekte auf großen Plattformen als unzureichend erwiesen. Hier hat der Gesetzgeber reagiert und gibt Unternehmen nun folgende Mechanismen an die Hand:

  • Unter bestimmten Voraussetzungen besteht gegenüber großen, konkurrierenden Anbieter:innen ein Anspruch auf Zugang zu von diesen Unternehmen erhobenen und aggregierten Daten, die für die Industrie 4.0 und das Internet of Things unabdingbar sind. Die Ausmaße dieses neuartigen Anspruchs sind noch weitgehend unerprobt, erste Stellungnahmen gehen aber davon aus, dass dieser Anspruch künftig in ganz erheblichem Maße Einfluss auf die Verfügbarkeit und Verwendbarkeit von Daten haben und den Zugang zu essenziellen Schnittstellen erleichtern wird.
  • Eine Möglichkeit zur Begrenzung der (relativen) Intermediationsmacht von Transaktions- und Informationsintermediär:innen, die relevante Schnittstellen zwischen Nutzer:innen und Anbieter:innen darstellen und bestimmte Dienste bevorzugen – etwa die Nutzung des Amazon Marketplace, bestimmte Sprachassistenzen oder die Betriebssysteme Android und iOS.
  • Ein Klagerecht, das das „Tipping“ eines Marktes, also das „Kippen“ bestimmter, von Netzwerkeffekten dominierter Märkte in einen von einem übermächtigen Konzern dominierten Zustand verhindern soll, in dem sich die Marktmacht des marktführenden Unternehmens so stark verfestigt hat, dass der Zugang zu Angeboten von Mitbewerber:innen faktisch unmöglich gemacht oder jedenfalls erheblich erschwert wird.

Immonet vs. Immoscout als Exempel für die Digitalbranche

In der, soweit ersichtlich, ersten gerichtlichen Streitigkeit zum neuen „Tipping“-Paragraphen hat das Landgericht Berlin im April 2021 ein Urteil im einstweiligen Rechtsschutz erlassen, welches das zuständige Oberlandesgericht (Kammergericht Berlin) in einem Hinweisbeschluss im Februar 2022 weitgehend bestätigt hat. Geklagt hatte Immonet gegen Immoscout, auf Unterlassung bestimmter „List-First“-Rabatttechniken, wonach Anbieter:innen von Immobilien einen Preisnachlass von zehn Prozent auf die in Anspruch genommenen Dienste erhielten, wenn sie mindestens 95 Prozent ihrer online verfügbaren Objekte für die ersten sieben Tage ausschließlich auf dem Portal von Immoscout sowie den dazugehörigen Angeboten wie Newsletter etc. veröffentlichen. Immonet argumentierte, dass Immoscout hierdurch den Wettbewerb für andere Anbieter:innen massiv erschwere, da Kund:innen wirtschaftliche Nachteile erlitten, wenn sie (auch) bei anderen Anbieter:innen, wie etwa Immonet, inserieren würden. Auch wenn hier die zwei größten Anbieter:innen auf dem deutschen Markt miteinander stritten, hat der Fall doch Signalwirkung für die gesamte Digitalbranche. Die Berliner Gerichte dringen in den Entscheidungen in beachtlicher analytischer Tiefe in die netzwerkökonomischen Wirkzusammenhänge der Plattformökonomie ein und sehen hier klare Indikationen für eine bereits (zu) starke Marktmacht von Immoscout. Da diese durch die angegriffenen Rabattmechanismen noch verstärkt werde und gleichzeitig Immonet in der Erzielung von eigenen Netzwerkeffekten behindert werde, untersagten sie Immoscout daher einstweilen deren Verwendung.

Freilich ist es noch zu früh, generalisierende Schlüsse zu ziehen. Diese ersten Entscheidungen machen aber Hoffnung, dass die Gerichte den Willen und Auftrag des Gesetzgebers verstanden und angenommen haben, die Macht der großen Digitalkonzerne in notwendigem Maße einzudämmen, um fairere Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer:innen zu erzielen.

Prozessfinanzierung als gangbarer Weg zum Ziel

Auch wenn der Gesetzgeber den Marktakteur:innen hier nun ein attraktives Instrumentarium zur Verfügung stellt, mit dem diese in einer „David-gegen-Goliath“-Situation eine realistische Chance haben, sich gegen die erdrückende Marktdominanz der großen Digitalkonzerne zu wehren, stellt sich natürlich das ganz reale Problem der Kosten und Risiken. Kläger:innen müssen Gerichtskosten, eigene Anwält:innenkosten, und gegebenenfalls die Kosten für Sachverständigengutachten vorstrecken, lange bevor klar ist, dass sie ihren Anspruch auch erfolgreich werden durchsetzen können. Geht der Prozess verloren, ist nicht nur das eingesetzte Kapital weg, sondern die Beklagtenseite hat zusätzlich einen Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten, also insbesondere der Gebühren für die mandatierten Rechtsberater:innen. Gerade kleine Unternehmen mitten in der ersten Expansionsphase haben für derartige Kosten keine prall gefüllte Kasse zur Verfügung und benötigen jeden Euro verfügbaren Kapitals für ihr operatives Geschäft.

Dieses Kostenrisiko wird durch das Kräfteungleichgewicht noch verschärft: Nicht selten sitzen große beklagte Unternehmen vergleichbare Prozesse möglichst aus und nutzen alle sich bietenden Möglichkeiten zur Verschleppung und Verteuerung des Verfahrens, in der Erwartung, dass kleineren Angreifer:innen irgendwann „die Luft ausgeht“ und sie ermüdet einem unattraktiven Vergleichsangebot zustimmen oder gar die gesamte Anspruchsverfolgung aufgeben. In dieser Situation kann es sich lohnen, über die Einbeziehung eines Prozessfinanzierungsunternehmens nachzudenken. Dieses übernimmt sämtliche Kosten der Rechtsdurchsetzung, einschließlich des drohenden Erstattungsrisikos, und erhält hierfür im Gegenzug einen Anteil am erzielten Ergebnis.

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