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Digitalpolitik
Tracking im Wandel: Zwischen IDs, Marktmacht und User-Souveränität

Tracking im Wandel: Zwischen IDs, Marktmacht und User-Souveränität

Ein Gastbeitrag von Jörn Strehlau | 11.09.23

Es tut sich einiges in Sachen Tracking: Neue und alte Targeting-Möglichkeiten wirbeln den Markt auf und Google macht mit seinen neuen APIs Druck, nun endlich die Privacy Sandbox zu nutzen. Aber was taugen diese Lösungen langfristig im Kampf um die Gunst der User-Daten? Und was kommt eigentlich nach dem viel beschworenen Ende der Third-Party-Cookie-Ära? Hier kommen fünf Thesen zur Einordnung der Veränderungen im Markt.

1. Kommerziellen Identifier-Lösungen geht die Puste aus

Die Tech-Riesen Google und Apple stellen das Online Marketing vor neue Herausforderungen. Viele der kommerziellen Identifier werden in der neuen Chrome-Version geblockt, da sie (zu Recht?) als reines Third Party Tracking betrachtet oder sie auf Techniken (wie CNAME Cloaking) angewiesen sind, welchen von Apple ebenfalls der Kampf angesagt wurde. Eine weitere wichtige Entwicklung: Die Nutzung von mehreren Geräten erschwert das Retargeting für die meisten Identifier. Im Büro nutzen wir unseren Laptop, auf dem Sofa das Tablet, nebenbei unser Smartphone und beim Binge Watching den Smart TV. Damit brauchen wir Lösungen, um User auch geräteübergreifend zu identifizieren. Und das ist nur mit Login-Lösungen wirklich möglich.

2. Es wird nicht die eine Lösung für alles geben

Nicht jede Website kann eine so starke Kund:innenbeziehung aufbauen, dass ein Login Sinn ergibt. Third Party Cookies werden daher so lange wie möglich weiter genutzt – aber was kommt Ende 2024, wenn wir uns tatsächlich vom geliebten „Dritten Cookie“ verabschieden müssen? Die schnelle, aber wenig befriedigende Antwort lautet: Es wird nicht die eine Alternative geben, die den Third Party Cookie ersetzen kann. Hier werden zumindest die Entwickler:innen der Privacy Sandbox mit großem Selbstbewusstsein behaupten, dass es genau diese Silver Bullet-Lösung ist. Technisch gesehen kann und wird die Sandbox vieles übernehmen, was Cookies heute leisten. Nur wird die Werbebranche in vielen Bereichen einfach schlechter, weil sie beispielsweise User-Profile zu Kohorten zusammenfasst. Die Genauigkeit in der Ansprache leidet.

Deswegen beschäftigt man sich eifrig mit ID-Solutions, um bessere Alternativen zu den jeweiligen Komponenten der Privacy Sandbox zu schaffen. Aber: Es wird nicht die eine Lösung geben – bestenfalls ein Nebeneinander mehrerer Lösungen. Da Contextual Advertising auch schon im Zeitalter der Third Party Cookies eine eigene Daseinsberechtigung hatte, wird sich das auch in der cookielosen Zukunft nicht ändern. ID Solutions widmen sich im Kern sowieso einem anderen Einsatzgebiet: der (Re-)Identifizierung von Individuen. Eine Aufgabe, die Contextual, und damit auch die Privacy Sandbox, nicht im ganzen Umfang lösen kann.

Operativ ergibt es für einen Kampagnen-Manager keinen Sinn, mehr als eine ID (Solution) zu nutzen. Das heißt, der Markt wird mittelfristig dafür sorgen, dass sich eine ID (Solution) durchsetzen wird, um diese dann mit anderen Lösungen wie Contextual zu ergänzen.

3. Europäische Website-Betreiber:innen und Dienstleister:innen geraten ins Hintertreffen

Die aktuelle Entwicklung, unter anderem bezogen auf die Privacy Sandbox, schränkt die freie Marktwirtschaft, die ja unter anderem durch einen freien Wettbewerb gekennzeichnet ist, weiter ein. Die US-Tech-Konzerne können mit ihren First-Party-Daten ihre Marktmacht kapitalisieren, das heterogene Feld der Website-Betreiber:innen hingegen muss neue Datenstrategien entwickeln, um User im Web mehrfach zu adressieren. Vor allem europäischen Dienstleister:innen in dem Bereich wird vielfach das Geschäftsmodell entzogen.

4. Gewinnoptimierung macht Tracking teurer

Eine weitere neue Problematik für jede:n Anbieter:in im Markt: Werbetreibende müssen nun für die blanke Adressierbarkeit eines Users Geld bezahlen. Etwas, was für sie in der Welt der Cookies bislang faktisch kostenlos war. Das ist unvermeidlich, da es eine dedizierte Instanz geben muss, die den neuen Adressierbarkeitsstandard für den Markt verwaltet und finanziert. Aber wo Geld fließt, kann auch Geld verdient werden. Fraglich ist allerdings: Sollte ein so sensibles gesellschaftliches Thema, wie die Identifizierung von Nutzer:innen im Netz zum Zwecke der Werbeaussteuerung, nach Gesichtspunkten der reinen Gewinnoptimierung besetzt werden?

5. Nur durch Unabhängigkeit ist der Spagat von Wirtschaftlichkeit und User-Souveränität möglich

Aber es geht nicht nur um den finanziellen Part. Auch rechtlich und strukturell müssen Anbieter:innen ihren Platz in der Werbekette finden. Wer erhält die Einwilligungen und wie werden sie verarbeitet? Zu welchen Zwecken und für wen werden sie genutzt? Wer hat das Recht, darüber Auskunft zu geben und wer bestimmt die Datenverarbeitung? Jede Partei hat ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse, die es zu regulieren gilt. Jeder User sollte für sich entscheiden, welchem Publisher er welche Freigaben zur Nutzung seiner Daten gibt. Technisch ist das längst möglich. Aber nur eine unabhängige Instanz, die den Geschäftsprozess allein den Publisher überlässt, kann gleichzeitig wirtschaftlich sein und User-Souveränität herstellen. Und je mehr Unternehmen sich dem anschließen, desto unabhängiger werden wir von dem Geschäftsgebaren aus Übersee.

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