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Wie sich der Journalismus durch Klicks und Traffic verändern wird
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Wie sich der Journalismus durch Klicks und Traffic verändern wird

Ein Gastbeitrag von Roger Taiber | 01.09.14

Warum Journalisten sich jetzt auf Online Marketing ausrichten sollten. Werden künftig Page Views und Twitter Follower das Gehalt bestimmen?

Vielfach ist bekannt, dass Journalisten gerne schreiben und aufklären, sich jedoch weniger Gedanken um die Geschäftszahlen machen. Aber im Jahr 2014 muss man auf beides achten: auf einen guten Artikel und auch dass die Zahlen stimmen. Vor allem im Bereich Werbung und Traffic im Internet. Zwar werden Journalisten zumeist für den Inhalt bezahlt, aber immer öfter werden Journalisten auch zur Rechenschaft gezogen, falls sie zu wenig Online Traffic produzieren. Diese neue Art der Content Erstellung wird die Schriftform vieler Journalisten verändern, denn Verlage, Organisationen und Zeitungen müssen ihre Mitarbeiter auch bezahlen können. Dies funktioniert nur mit Werbung und hohen Traffic Raten (Page Views) im Internet. Selbstverständlich wird diese neue journalistische Herangehensweise an einen Bericht eine signifikante Auswirkung auf den in Zukunft erstellten Content haben.

Beispielhaft kann man dies gleich an diesem Artikel festmachen. Denn würde ich als Ersteller für diesen Artikel bezahlt werden, wären die Headline und der Anfang viel spannender und reißerischer gestaltet. Möglicherweise hätte ich auch nicht über Journalisten und die Veränderung der künftigen Ausrichtung geschrieben, sondern über ein halbnacktes Fotomodell, das zwei kleine Kätzchen im Ford Mustang mit 550 PS durch die Stadt fährt. Ich werde nicht dafür bezahlt, aber es gibt einen deutlichen Trend an vielen Ecken des Journalismus, die Vergütung des Journalisten vom Internet und dem Traffic abhängig zu machen.

Mehr Traffic – Mehr Page Views – Mehr Geld

Die Zeitschrift „Spiegel“ vollzieht gerade mit dem Chefredakteur Wolfgang Büchner einen Wandel. Denn nach Wolfgang Büchners Willen sollen die künftigen Ressortleiter nicht nur für das Magazin, sondern auch für den Online-Auftritt verantwortlich sein. Der Trend geht also klar zum Journalismus, bei dem sich die Vergütung anhand der Qualität des Artikels und des Traffics des geschriebenen Artikels orientiert. In den USA haben bereits zahlreiche Zeitungen umgestellt. So legt zum Beispiel die Zeitung „The Oregonian“ großen Wert auf Seitenaufrufe und Produktivität der einzelnen Artikel. Und auch Finanzseiten wie TheStreet.com haben schon 2012 damit begonnen, Journalisten mit Klickabrufen zu bezahlen. So erhält der Ersteller eines Contents, der 60.000 Page Views wöchentlich erwirtschaftet, um die 50 Dollar.

Viele Zeitungen in den USA arbeiten bereits mit dem neuen Provisionsmodell. Der Journalist erhält ein Grundgehalt und erwirtschaftet den Rest seines Gehalts mit Traffic im Internet. Forbes in den USA nutzt ein monatliches Incentive Programm, bezogen auf metrischen Daten und ermittelt, wie viele neue Follower der Reporter auf Twitter generiert hat. Man nennt dies auch Entrepreneurial Journalism. Die Journalisten werden in Prozent nach den Geschäftseinnahmen bezahlt und aus einer Kombination von Pageviews und deren persönlichen Stellung in sozialen Netzwerken. Ebenso zählen die Profitabilität ihre Abteilung und die Performance im Verhältnis zu anderen Ressorts. Derzeit werden in den USA ca. fünf Prozent der Journalisten und Reporter anhand einer vierteljährlichen Benchmark bezahlt. Dies meldete Chris Seper, CEO of MedCity Media. Bei Forbes übrigens stieg die Zahl der Unique Users in vier Jahren von 19.5 Mio. auf 63,5 Millionen. Und die monatlichen Besuche kletterten von 11 Millionen auf 30 Millionen.

Copyright Forbes.com bitte unter Bild angeben.

Praktikanten in den USA arbeiten im Journalismus zumeist Traffic bezogen

Aktuell  werden in den USA Praktikanten/Studenten eingestellt, die ein Stipendium von 1.500 Dollar im Monat erhalten. Dieses Stipendium können sie einfach zurückbezahlen, indem pro 1.000 Besucher fünf US-Dollar gutgeschrieben werden. Sehr gute Schreiber können das Stipendium komplett abzahlen und noch bis zu 6.000 Dollar in der Zeit des Stipendium zusätzlich verdienen. Warum sollte dieses Modell nicht auch in Deutschland Einzug halten? Zwar wird der Mindestlohn dies verhindern, aber so wäre es möglich, dass besonders erfolgreiche Publisher ihren Praktikantenlohn aufstocken. Gawker Media in den USA wertet nach 90 Tagen die Daten des Traffic aus und bezahlt dann den Boni aus.

Der Gründer von Gawker, Nick Denton, findet diese Form der Bezahlung von Journalisten überfällig und prognostiziert, dass die nächsten zehn Jahre Journalist ein boomender Beruf werden wird. Er glaubt auch, dass Inhalte nun bis zu zehn Mal umfangreicher werden. Ob eine Bezahlung, gebaut auf Metriken des Internets die Journalisten am Arbeitsplatz hält, bleibt abzuwarten. Wenn ich jedoch in meiner Tageszeitung am Samstag lese, dass in Poing, einem Ort mit ein paar Einwohnern, die Regionalmeisterschaft im Wettpflügen bis 20 Zentimeter Tiefe stattfindet und hierüber ein größerer Artikel in der Zeitung steht, frage ich mich oftmals, wann endlich diese Art der Bezahlung in Regensburg aufschlägt.

Natürlich ist es für einen Journalisten mehr als nur ärgerlich, wenn ein digitaler Zeitmesser die Aktivitäten misst und damit die Pulitzer-Preis-Journalisten zu mehr Traffic antreibt. Zusätzlich muss der Journalist im Social Media aktiv sein, um seine eigenen Inhalte in der Zeitung zu pushen. Aus Journalisten werden durch die Neuerung nicht nur Publisher, sondern auch Promoter. Über Ihre eigenen Fanseiten verschaffen sie den Verlagen und Zeitschriften mehr Leser und User.

25 Prozent mehr Inhalte wurden gefordert, um die Page Views zu erhöhen

Die Zeitschrift „The Oregonian“ ging ein Jahr nach der Umstellung auf digitalen Journalismus sogar so weit, die tägliche Belieferung der Zeitschrift auf viermal wöchentlich zu reduzieren. Dies spart Kosten und erhöhte die Rendite. Die Geschäftsführung ordnete ebenfalls an, dass dreimal am Tag neuer Inhalt auf die Webseite geschaufelt werden muss. Und der erste Kommentar unter jedem Artikel sollte vom Journalisten selbst sein. Die Reporter wurden zudem aufgefordert, für sechs Monate 25 Prozent mehr Inhalte zu produzieren. Anschließend erfolgte eine weitere Steigerung von 15 Prozent. Ziel der Zeitschrift ist die Erhöhung der Page Views um 27,7 Prozent.

Zwangläufig werden dadurch vermutlich hochkarätige journalistische Arbeiten reduziert. Der Amerikaner nennt dies übrigens „produce top flight journalistic and digitally oriented“. Hintergrund der Geschäftsführung in zahlreichen Verlagen der USA ist zudem, den Reporter wieder zurück zur Basis zu holen. Und nicht nur große populäre Nachrichten in Bezug auf eine nationale Anerkennung produzieren zu lassen. Der Journalist wird dem Diktat des Internet Traffics unterstellt. Während diese Arbeit für Webmaster und SEO Agenturen völlige Normalität ist, führt es beim Journalisten einer Zeitung zu einer signifikanten Veränderung des Geschäftsmodells. Journalisten, die bisher nicht dem Traffic im Internet unterworfen waren, wird diese Nachricht schockieren. So wie auch die Journalisten vom Spiegel.

Steht nun der Status des Journalisten auf dem Spiel? Benötigt er einen viralen Hit, eine große Anzahl an Social Media Fans und weitere Plattformen, um seine Beiträge zu mehr Klicks anzutreiben? Wahrscheinlich nicht, aber die Bezahlung erfolgt nun lückenlos nachvollziehbar leistungsorientiert gekoppelt an das Internet. Diese Wandlung wird sicher nicht alle Journalisten in einem Verlag treffen. Aber vor allem für Beginner und Anfänger wird die Bezahlung in Bezug auf den selbst produzierten Traffic zunehmen. Sicherlich wäre es aber falsch, das Publikums- und Leser-Engagement zu ignorieren. Denn dies würde den Verlag innerhalb von ein paar Jahren in die Bedeutungslosigkeit führen. Die Zeit wird es zeigen und wenn Journalisten mit dieser neuen Form der Bezahlung nicht zurecht kommen, können sich diese immer noch selbstständig machen. Wobei die Bezahlung sich auch hier vermutlich wieder an Klicks, Traffic und mögliche Werbekunden orientieren wird.

Einen Vorteil hat die Fokussierung auf Traffic und Social-Media-Follower auf jeden Fall. Wenn der Journalist künftig versteht, welche Auswirkungen seine Arbeit auf seine Leser haben und er sieht, wie er effektiv schneller arbeiten kann, geht auch sein Bonus und sein Jahresgehalt nach oben.

Kommentare aus der Community

Walter Schärer am 03.09.2014 um 21:28 Uhr

Ich gehe nicht davon aus, dass Verlage und/oder Journalisten noch lange von redaktionellen Inhalten werden leben können: Die Einnahmen sind zu gering, die Anzahl Inhalteanbieter zu gross.

Heute publizieren immer mehr Blogger kostenlos Inhalte auf z.T. beachtlichem Niveau. Sie haben zwar keine Medienmarke, lassen dafür die für ihre kleine Zielgruppe relevanten Inhalte von Suchmaschinen und Suchalgorithmen wie Genieo finden und vermitteln. Verdienen tun sie damit nur in den seltensten Fällen ein nennenswertes Einkommen.

Will man als Journalist oekonomisch überleben, wird man – wie in den USA vorgezeichnet – in die PR wechseln müssen…

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Grün am 04.09.2014 um 15:26 Uhr

Aber ist das nicht der Untergang der Branche „Journalist“? Ich verstehe nicht wie man da so ruhig sein kann, die „vierte Gewalt“ im Staat wird dadurch komplett einem ökonomischen Diktat unterworfen. Und die Blogger, die z.T. wirklich auf beachtlichen Niveau schreiben, bekommen zum einen keine gerechte Entlohnung für ihre Arbeit und sind zum anderen dadurch grundlegend anfällig für „native advertising“

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Grün am 03.09.2014 um 14:44 Uhr

Wenn Journalisten nach Klicks bezahlt werden, bekommen wir entweder eine krasse Schere zwischen billigem und hochwertigen Journalismus (da auch investigative Recherchen viele Klicks bekommen können). Oder Journalisten unterwerfen sich dem Diktat der Netz-Masse, sind entsprechend unfrei und das Berufsethos des Journalisten geht den Bach runter. Schöne Neue Welt.

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Grün am 03.09.2014 um 14:46 Uhr

Achja an journalistische Arbeitsweisen und Artikel marketingtechnische Begriffe heranzutragen, ist in etwa so, wie von einem Arzt zu fordern, er solle arbeiten wie ein Schauspieler

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Stefan Westphal am 02.09.2014 um 17:28 Uhr

Aus Sicht eines Marketingfachmanns mag dieser Artikel richtig sein.

Leider ist der Marketingfachmann (im Allgemeinen, nicht der Autor hier im Speziellen) das wesentliche Problem der Medienbranche.

In jedem Markt, auch in dem der Medien, ist es unerlässlich, Wünsche, Probleme, Nutzungsmotivationen und Emotionen der Kunden zu verstehen und zu befriedigen. Wer das auf Klickzahlen reduziert, versteht die Kunden eben nicht.

Der Marketingfachmann orientiert sich an einfachen, leicht zu messenden KPIs. Wie den Klickzahlen. Er glaubt, auch in Zukunft könnte man so Displaywerbung teuer verkaufen. Engagement oder Bouncerate werden ignoriert. Irgendwann jedoch wird der Werbekunde merken, dass die Click Through Rate bei auf Massenklicks optimierten Inhalten im Internet verheerend schlecht ist. Der Chef eines großen deutschen Onlineportals nannte das kürzlich eine „angstmachende Wahrheit“.

Auf Klickzahlen optimierte Inhalte vertreiben Onlinenutzer schnell. Und sie sorgen dafür, dass sie aus eigenem Antrieb auch nie wiederkommen. Mit negativen Folgen für die Klickrate. Man muss sich in Sachen Dramatisierung, Gewaltdarstellung, Sexualisierung weiter steigern, um neue hohe Klickraten erzeugen zu können. Wenn die Werbekunden nicht schon dank der schlechten Click Through Rate weg sind, verabschieden sie sich spätestens jetzt, wenn das Werbeumfeld markenschädigend wird.

Selbst aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Orientierung am absoluten „Massengeschmack“ – also an schnell erreichbaren hohen Klickzahlen – ein Fehler. Im zunehmend fragmentierten Markt bedeutet „Maximale Masse“ im Durchschnitt vielleicht noch die Chance, 40 % der theoretischen Marktgröße erreichen zu können. Die anderen 60% wollen andere, anders aufgemacht, anders angetextete oder mit anderer Tiefe dargestellte Innalte. Orientiert man sich nur an der einen – der im ersten Blick größten – Masse, wird man immer die größte Konkurrenz unter Vernachlässigung eines großen Teils der theoretischen Kundschaft erhalten.

Ziel für Medien muss meiner Meinung nach eine Optimierung von längerfristigem Engagement sein. Das steigert den Wert des Mediums für den einzelnen Nutzer, es steigert in kurzer Zeit durch virale Verbreitung auch wieder die Klickzahlen und schafft ein wertvolleres (=teurer zu verkaufendes) Werbeumfeld.

Zu erreichen ist das aber nur mit Journalisten oder Autoren, die in einem guten, fördernden Umfeld arbeiten. Die gegenteilige Wirkung hat das Einspannen des wesentlichen Teils der Wertschöpfungskette auf eine Arbeitsart einer römischen Galeere ähnelnd. Wie es beim Bezahlen abhängig von der Klickrate der Fall ist.

Ich will nicht damit sagen, den Journalisten sollten die Zahlen ihrer Artikel vorenthalten werden. Im Gegenteil. Gerade aus dem Engagement lässt sich sehr gut ableiten, ob und wenn ja, wie Inhalte für die Zielgruppe besser werden können.

Kurz: Wenn schon Zahlen nehmen, dann nicht die typischen des Marketingfachmanns (Clickrate), sondern eine für das Produkt relevante (Engagement, Bounce Rate).

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