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Selfimprovement
„Die größte Herausforderung war es, den Mut zur Kündigung aufzubringen“
Arbeiten am Strand von Puerto Morelos. Im Alltag eines Digitalen Nomaden stellt das allerdings nur die Ausnahme dar. © Anna Hettegger

„Die größte Herausforderung war es, den Mut zur Kündigung aufzubringen“

Tina Bauer | 26.03.19

Anna Hettegger arbeitet als Digitale Nomadin und reist so um die ganze Welt. Wie sich ihr Leben um die Arbeit gestaltet, verrät sie uns im Interview.

New Work wird mit zunehmender Digitalisierung mehr und mehr zu einem gesellschaftsrelevanten Thema und der Wunsch nach ortsunabhängiger Arbeit wächst in vielen Arbeitnehmern, die sich von den festen Strukturen der Arbeitswelt loslösen wollen. Einige von ihnen setzen den Traum in die Realität um und reisen als Digitale Nomaden mit Vollzeitjob um die Welt. Hierbei geht es um mehr als nur den Wunsch die Welt zu entdecken. Digitalen Nomaden geht es in erster Linie um Selbstverwirklichung und damit darum, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen –  sie stellen die vorhandenen Konventionen infrage.

Heute befinden wir uns in einem stärkeren Umbruch als zu Zeiten der Industrialisierung. Wie gestaltet sich die Arbeitswelt der Zukunft? Digitale Nomaden wie die Österreicherin Anna Hettegger, die es bisher überwiegend nach Südamerika verschlagen hat, geben uns einen Einblick in die Welt und die Arbeit von morgen, in der wir selbstbestimmt agieren. Und immer wieder zeigt sich: Die Hürden sind dabei gar nicht so hoch, wie man meinen möchte.

Wir haben mit Anna, die freiberuflich als Content und Social Media Managerin arbeitet und über ihre Erfahrungen als Digitaler Nomade auf ihrem Blog Roadtrip Leben berichtet, unter anderem über ihre Entscheidung gesprochen, der abhängigen Erwerbstätigkeit den Rücken zu kehren. Dabei geht sie auch auf die Fallstricke für Digitale Nomaden ein und gibt ihre Einschätzung zum Wandel der Arbeit ab.

Viele haben das Bild eines Digitalen Nomaden im Kopf, der mit seiner Kokosnuss in der Hand am Strand sitzt und abends vielleicht ein paar E-Mails beantwortet. Das ist natürlich Quatsch.

OnlineMarketing.de/Jobs: Wie bist du zu deinem Beruf gekommen?

Anna Hettegger: Während meines Masterstudiums „Entrepreneurship, Tourismus & Marketing Management“ habe ich in einem Tourismusunternehmen im Social Media Marketing zu arbeiten begonnen und festgestellt, dass mir das liegt. Heute bin ich freiberufliche Social Media und Content Managerin mit Schwerpunkt Textproduktion. Außerdem habe ich den Blog „Roadtrip Leben“ aufgebaut, auf dem ich von meinem Leben berichte und andere dazu ermutige, ebenfalls ihren Träumen zu folgen.

Wo hältst du dich zurzeit und den überwiegenden Teil des Jahres auf?

Derzeit bin ich in meiner Heimat in Österreich, um mich mit Kunden zu treffen und um Familie und Freunde zu besuchen. Zuvor war ich in Mexiko, Salvador, Kuba und New York. Im April geht es dann wieder weiter nach Asien – Malediven, Malaysia, Bali und Singapur sind bisher geplant. Anschließend geht es für die DNX nach Berlin. Das ist das größte Event für Digitale Nomaden im deutschsprachigen Raum, wo sich jedes Jahr rund 1.000 digitale Nomaden treffen.

Wie wählst du deine Ziele aus?

Ich wähle meine Ziele vor allem nach persönlichen Interessen aus. In Mexiko war ich zum Beispiel, um Freunde zu besuchen. Ich habe vor vier Jahren mein Auslandssemester dort gemacht, seither ist Mexiko so etwas wie meine zweite Heimat. Alle anderen Ziele auf der Reise haben sich dann so ergeben – in New York war ich zum Beispiel für ein Seminar. Meine nächsten Reiseziele in Asien habe ich vor allem wegen den günstigen Flügen, die ich gefunden habe, gewählt. Gegen Ende des Jahres will ich dann nach Südamerika – viele Länder wie Peru, Ecuador oder Argentinien stehen schon ganz lange auf meiner Liste.

Ich achte aber bei der Länderauswahl darauf, dass ich vor Ort gutes Internet habe. Ich bin ja darauf angewiesen! Heutzutage ist das zum Glück schon fast überall auf der Welt der Fall, zumindest in Städten. Wenn ich dann einmal im Land bin, arbeite ich mich gerne auch in abgelegenere Gegenden vor, wo es schon einmal sein kann, dass es keinen Empfang und kein Netz gibt. Nach ein paar Tagen muss ich dann aber wieder irgendwohin, wo es eine stabile Internetverbindung gibt.

Gibt es „Digitale Nomaden Hotspots“, wo sich besonders viele Digitale Nomaden aufhalten?

Die gibt es tatsächlich! Bali gehört auf jeden Fall dazu, weshalb ich auch schon sehr gespannt bin darauf. Auch in Thailand, zum Beispiel auf Koh Phangan oder in Chiang Mai gibt es viele digitale Nomaden, ebenso wie in Berlin im Sommer.

Was sind die Vorteile für einen Digitalen Nomaden dort?

Eine gute Infrastruktur – dazu gehören natürlich vor allem stabiles Internet, aber auch Co-Working Spaces und gute Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten. Oftmals liegen die Orte am Strand, es gibt auffällig viele Yogastudios und viele Restaurants und kleinere Cafés mit leckerem Essen und Trinken. Meist sind Digitale Nomaden Hotspots auch eher günstigere Orte, wo man als Deutscher oder Österreicher einfach mehr für sein Geld bekommt. Die meisten Digitalen Nomaden haben Kunden in Deutschland und Österreich und werden nach dort am Markt üblichen Preisen bezahlt, haben aber in dem Land, in dem sie Leben – z.B. in Asien – viel geringere Lebenshaltungskosten.

Wann hast du die Entscheidung getroffen ein Remote-Leben zu führen, was war der entscheidende Impuls?

Ich war während des Studiums gerne für längere Zeit unterwegs – als klassischer Backpacker in den Sommerferien oder für ein Auslandssemester in Mexiko und Hongkong. Ich konnte mir nie so richtig vorstellen, nur fünf Wochen im Jahr verreisen zu können. Als ich dann begonnen habe im Social Media Marketing zu arbeiten, bin ich dann jeden Tag fast 100 km in meine Arbeit gependelt, nur um mich dann vor einen Computer zu setzen. Irgendwann habe ich mir gedacht: Das kann ich auch von zu Hause aus machen. Und später dann: Eigentlich könnte ich das auch irgendwo machen, wo es wärmer ist und wo es Strand statt Berge gibt. Und so hat sich das dann ergeben, dass ich angefangen habe, mir zu überlegen, wie ich den Beruf der Social Media Managerin, der mir ja Spaß machte, remote ausüben könnte. Und da war der offensichtlichste Weg die Freiberuflichkeit.

Der Arbeitsalltag eines Digitalen Nomaden: Häufig finden diese sich in Cafés am Ende der Welt vor ihren Laptops wieder. Die Arbeit am Strand mit Cocktail in der Hand ist ein reiner Mythos. © Anna Hettegger

Was war deine bis dato größte Herausforderung in Hinblick auf das Digitale Nomadentum?

Ganz am Anfang den Mut haben zu kündigen – erst die Arbeit, dann die Wohnung. Ich wusste damals noch nicht wirklich, was danach kommen würde und hatte selbst Zweifel, ob ich mit meinem Blog und der Freiberuflichkeit genug Geld verdienen könnte und ob das überhaupt das Richtige für mich sei oder doch wieder nur so eine Phase. Außerdem gab es in meinem Umfeld natürlich viel Gegenwind, was mich zusätzlich verunsichert hat.

Was sind die wichtigsten ersten Schritte bei der Umsetzung der ortsunabhängigen Selbstständigkeit?  

Ich würde jedem empfehlen, erst einmal im gewohnten Umfeld mit der Selbstständigkeit zu beginnen und zu sehen, wie es überhaupt läuft. Sonst kann man schnell überfordert sein. Außerdem sind gerade am Anfang so viele Sachen zu erledigen und zu erlernen – sei es Buchhaltung, Kundenakquise oder steuerrechtliche Fragen – dass man oft viele Stunden vor dem Computer verbringt. Das wird aber später besser, wenn man erst einmal reingekommen ist. Vielen hilft es auch zuerst nebenberuflich ihre Selbstständigkeit aufzubauen. Ich selbst habe ebenfalls die ersten Monate von zu Hause aus mein Unternehmen aufgebaut, bis ich dann gemerkt habe „das funktioniert!“ und die ersten langfristigen Kunden hatte.

Wo hast du dein Unternehmen angemeldet, brauchst du nicht eine Meldeadresse?

Als ich meine Wohnung gekündigt habe, habe ich meinen Wohnsitz zurück auf mein Elternhaus verlegt und dort auch mein Unternehmen angemeldet. Ich zahle also weiterhin meine Steuern und die Sozialversicherung in Österreich. Ich weiß aber, dass viele digitale Nomaden gar keinen Wohnsitz mehr in Deutschland und Österreich haben und ihr Unternehmen aus steuerrechtlichen Gründen im Ausland angemeldet haben. Das kommt aber für mich derzeit nicht in Frage.

Mit welchen Fallstricken haben digitale Nomaden in der Anfangszeit ihres Remote Jobs zu rechnen?

Ich glaube die größte Herausforderung ist tatsächlich erst einmal genug Geld zu verdienen und sich einen Kundenstamm aufzubauen. Später dann kommt das Zeitmanagement dazu. Viele haben das Bild eines Digitalen Nomadens im Kopf, der mit seiner Kokosnuss in der Hand am Strand sitzt und abends vielleicht ein paar E-Mails beantwortet. Das ist natürlich Quatsch – auch im Paradies will gearbeitet werden! Wenn sie dann feststellen, dass sie auch mit dem Strand vor der Haustüre trotzdem mindestens fünf Tage die Woche vorm Bildschirm sitzen müssen – oder vielleicht sogar noch mehr, was gerade in den Anfängen der Selbstständigkeit durchaus realistisch ist – sind sie oft gefrustet.

Dadurch, dass man ganz normal arbeiten und Geld verdienen muss, kann man auch nicht so schnell reisen, sondern wird sich länger an einem Ort niederlassen, als das vielleicht ein Backpacker tut. Das musste ich auch erst einmal lernen. Von meinen früheren Reisen war ich es gewohnt Vieles in kurzer Zeit zu sehen, das geht jetzt natürlich nicht mehr. Außerdem ist es, wenn man ständig unterwegs ist, auch einmal schön an einem Ort anzukommen und sich so etwas wie einen Alltag und Routinen zurecht zu legen. Da steht man morgens auf, holt sich einen frisch gepressten Saft beim Straßenstand vor dem Haus und setzt sich dann vor den Laptop. Wie man sich zu Hause halt vielleicht erst einmal einen Kaffee machen würde.

Wie kommst du an neue Kunden?

Ich hatte das Glück, dass gerade anfangs potentielle Kunden, die über drei Ecken von mir gehört haben, auf mich zugekommen sind. Auch heute profitiere ich noch sehr von Empfehlungen und Mundpropaganda. Manche Kunden werden auch über meine Webseite oder meinen Blog auf mich aufmerksam. Es gibt aber auch verschiedene Gruppen auf Facebook und Onlineplattformen, auf denen Remote Jobs ausgeschrieben werden.

Welchen Rat würdest du anderen geben, die sich für das ortsunabhängige Arbeiten interessieren?

Ich würde ihnen raten: Informiert euch, sprecht mit anderen digitalen Nomaden, geht auf Meet-ups und Events, tretet Facebook Communities bei. Viele haben ein ganz falsches Bild vom Digitalen Nomadenleben und stellen dann unterwegs fest, dass es doch nicht so recht ihres ist. Das könnte man vielleicht verhindern, wenn man sich im Vorfeld darüber Gedanken macht, was man eigentlich möchte. Geht es mir hauptsächlich darum die Welt zu sehen? Dann würde ich empfehlen, lieber ein paar Tausend Euro zu sparen und dann zu kündigen und eine Weltreise zu machen. So sieht man mehr in kurzer Zeit und spart sich den ganzen Stress mit der Arbeit von unterwegs. Oder geht es mir darum, langfristig ein ortsunabhängiges Unternehmen und ein Leben mit maximaler Freiheit aufzubauen und bin ich auch bereit, dafür einiges an Zeit zu investieren?

Warum glaubst du, tun sich Unternehmen auch heute noch so schwer damit, ortsunabhängiges Arbeiten zu ermöglichen?

Viele Unternehmen sind einfach in ihren Strukturen gefangen. Da sitzen dann Manager der älteren Generation, die sich einfach nicht vorstellen können, dass für uns jungen Menschen heute andere Dinge wichtiger sind als ein sicherer Arbeitsplatz. Außerdem denke ich, hat das viel mit Kontrolle und Vertrauen zu tun – es ist eben nicht so leicht, zu kontrollieren, ob der Mitarbeiter auf Thailand wirklich gerade Kaltakquise macht oder mit einem Cocktail am Strand sitzt. Wobei sich diese Angst meiner Meinung nach auflösen würde, wenn man die Bezahlung eines Mitarbeiters nicht mehr von den Stunden, die er in der Arbeit oder eben vor dem Laptop verbringt abhängig macht, sondern von dem Ergebnis, das er erzielt. Da muss vielleicht einfach noch ein Umdenken stattfinden.

Auch wird in vielen Unternehmen sehr viel Wert auf den persönlichen Kontakt gelegt. Ich merke das selbst: Viele Unternehmen, mit denen ich zusammenarbeite, möchten gerne, dass ich, wenn ich im Lande bin, persönlich für ein Meeting vorbeikomme, auch wenn man das vielleicht genauso über Skype oder Zoom online abhalten könnte. Das ist aber auch okay. Gerade weil heutzutage so viel online stattfindet, schätze ich selbst den persönlichen Kontakt immer mehr – daher gehe ich auch so gerne auf Seminare, Events und Digitale Nomaden Treffen. Es ist einfach noch einmal etwas anderes, ob man jemanden im echten Leben oder online kennenlernt.

Wie glaubst du, wird sich die Arbeitswelt in den kommenden 10 bis 15 Jahren ändern?

Ich denke, dass immer mehr Unternehmen ihren Mitarbeitern ortsunabhängiges arbeiten ermöglichen werden – zumindest in Bereichen, wo dies möglich ist. Außerdem glaube ich, dass viel mehr Aufgaben und Projekte an freiberufliche Mitarbeiter ausgelagert werden. Das hat ja auch seine Vorteile für den Arbeitgeber: Er spart sich die hohen Lohnnebenkosten und bezahlt wirklich nur die Stunden, die tatsächlich Arbeit angefallen ist. Trotzdem aber glaube ich, dass der persönliche Kontakt noch immer sehr wichtig bleiben wird. Vielleicht wird es aber nicht mehr notwendig sein, jeden Tag persönlich im Büro zu erscheinen, sondern es genügt, wenn man alle paar Monate für ein Meeting vorbeikommt und der Rest online geschieht. Ich würde es mir zumindest sehr wünschen, dass sich unsere Arbeitswelt in diese Richtung entwickelt!

Danke dir für das Interview!

Kommentare aus der Community

Mark am 26.03.2019 um 23:00 Uhr

Toller Artikel

Antworten
Bernd am 26.03.2019 um 17:13 Uhr

Spannend. Ich vermute, die Dame hat keine Familie oder Kinder zu versorgen?

Antworten
Tobias am 26.03.2019 um 23:01 Uhr

Toller Artikel

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