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Human Resources
Verhalten zählt mehr als das Wort: So sieht moderne Führung aus
Julian Kramer, Chief Experience Ambassador Adobe, © flowbeckson

Verhalten zählt mehr als das Wort: So sieht moderne Führung aus

Marc Stahlmann | 19.12.17

Von Big Player zu Big Player. Julian Kramer ist nach seiner Zeit bei Google seit Oktober 2017 bei Adobe als Chief Experience Ambassador tätig. Wir sprachen mit ihm über das Thema New Work und darüber, wie Teams durch richtige Führung in der heutigen Zeit funktionieren können.

Stirbt der Arbeitsplatz aus? Ist der Chef unantastbar? Brauchen wir mehr Transparenz? Marc Stahlmann hat sich mit Julian Kramer hingesetzt und das moderne Arbeiten diskutiert.

Interview mit Julian Kramer, Chief Experience Ambassador Adobe

OnlineMarketing.de: Führung 2017. Wie führt man Teams in digitalen, modernen Firmen?

Julian Kramer: Ich denke es geht generell um gute Führung in Firmen 2017, gar nicht mal so sehr um moderne Firmen oder zwingend digitale Firmen, denn die Digitalisierung lässt sich ohnehin nicht vermeiden. Digital oder „neu“ darf nie eine Ausrede sein, sich nicht mit zeitgemäßer Führung zu beschäftigen. Dabei nehmen die typischen Digital-Unternehmen vielleicht eine gewisse Vorreiterrolle ein, da sie häufig mit vielen Young Professionals und ihren Erwartungshaltungen, ohne alte Hierarchien und Konzernpolitik neu definieren können, wie Führung so aussehen könnte.

Um zu verstehen, was gute Führung ausmacht, müssen wir akzeptieren, dass wir in einer Welt mit rasend schnellen Entwicklungen leben, und damit viele Grundannahmen hinterfragen müssen. Wir haben von klein auf von den Älteren gelernt „wie es richtig geht“, von den Eltern, in der Schule, im ersten Job. Es gab jemanden, der wusste, wie es geht.

Die Realität heute ist oft, dass wir wissen, wie es ging und mit viel Glück auch noch, wie es heute funktioniert. Das verändert die Dynamik zwischen Führungskraft und Team. Chefs sind weiterhin verantwortlich und müssen Entscheidungen treffen, sind aber immer stärker auf ihre Teams angewiesen, auf die Veränderungen der Außenwelt einzugehen und sie zu verstehen. Das verlangt danach, dass ein Chef viel stärkeres Vertrauen in seine Mitarbeiter entwickelt, sie zur Selbstständigkeit anleitet und versucht, von ihnen zu lernen, ihre Entscheidungen nachzuvollziehen und sie als eine Art Trainer und Mentor für diese Selbstständigkeit vorzubereiten. Er braucht sie.

Beispiel LinkedIn: Mir wurde noch vor wenigen Jahren von einem Chef gesagt, dass das mein Privatspaß wäre. Es schwang der Ton von vermuteter Fahnenflucht mit. Kein ganzes Jahrzehnt später ist die gleiche Plattform immer noch eine Visitenkarten-Kartei und ein Job Board, aber eben auch ein Social Selling Tool, eine Werbeplattform, Employer Branding, ein Facebook für Erwachsene, eine Content- und Influencer Plattform und neuerdings ein E-Learning Player.

Die organisatorisch-strukturellen Machtgefüge, aus denen heraus insbesondere schlechte Chefs ihre Legitimation zogen und die Arbeitsbienchen im Maschinenraum anbrüllen konnten, haben nicht mehr lange Bestand. Entweder, weil ihnen die Mitarbeiter davonlaufen, oder weil sie den Karren unreflektiert an die Wand der nächsten größeren Veränderung fahren.

Natürlich ist der moderne Manager jetzt nicht Feel-Good Guru, die Dynamiken im Unternehmen muss er weiterhin im Auge behalten, Etats und die Arbeit seines Teams nach oben hin verteidigen und fördern, aber seine Macht hängt nicht mehr von seiner Position im Organigramm ab, sondern davon, ob er das beste Team hat.

Der Erfolg eines Managers bemisst sich in Zukunft darin, wie gut er sein Team zu lernenden, selbstständigen und miteinander interagierenden Problemlösern coached, die mit ihm erarbeiten, wohin die Reise geht. Ohne starkes Vertrauen, Empathie und die eigene Akzeptanz „weniger zu wissen“ und seine eigenen Annahmen ständig zu hinterfragen, geht da gar nichts.

Ein Sport Trainer kann auch nicht schreien: „Jetzt Punkte machen“ und dann passiert‘s. Spannenderweise haben sie damit selbst auf den niedrigen Management Ebenen ein Arbeiten wie auf höchster Ebene: Sie können gar nicht alles wissen und müssen sich darauf verlassen, dass ihr Stab seine Arbeit gut macht.

Wie baue ich als Chef denn meine Leute auf, gebe ihnen diese Selbstständigkeit? Viele Chefs haben das doch schon versucht!

Verhalten kommt aus dem limbischen System, dem Emotion-verarbeitenden Teil des Gehirns. Dieses kann keine Sprache verarbeiten. Wenn ich sage: „Ich liebe Katzen“ und streichle sie dabei, ist das authentisch und glaubwürdig. Verhalten kann man sehen. Wenn ich sage: „Ich liebe Katzen“ und würge sie, glaubst du mir nicht. Mein Verhalten gilt mehr als mein Wort. Deswegen müssen Führungskräfte heute mehr denn je durch Verhalten diese Änderungen hervorrufen, durch ihr eigenes Verhalten.

Zum einen hilft es nicht, diese Themen zu postulieren und einzufordern. Man sagt ja so schön: Das, was ein Unternehmen nicht kann, kommt auf die Motivationsposter. Agil! Experimentieren!

Wenn sie schon das Glück haben, eine Führungsposition zu haben, müssen sie auch vorausgehen. Wenn dann keiner hinterherkommt, dann müssen sie sich schon fragen, woran das liegt.

Das zugrundeliegende Prinzip liegt tief in unserem vorzivilisatorischen Setup: Unser Hirn wertet beobachtbares Verhalten stärker als Worte, einer evolutionsgeschichtlichen „Neuheit“.
Im Film nennen wir solche Situationen auch die „Text-Bild-Schere“: Wenn der Ton oder das Gesagte nicht zum beobachtbaren Verhalten passt. Wenn sie glaubwürdig machen wollen, dass sie Katzen lieben, streicheln sie eine, die freiwillig bei ihnen sitzen bleibt. Wenn sie für Diversität sind, stellen sie entsprechend ein. Wenn sie wollen, dass ihre Teams experimentieren und auch aus kleinen Rückschlägen eine Lernkultur entwickeln, fallen sie öffentlich auf die Fresse! Stehen sie wieder auf und teilen, was sie gelernt haben. Wenn sie wollen, dass sich ihr Team anders verhält, sind sie Role Models. Dann machen sie es vor, immer wieder. Tasten sie sich langsam ran, gehen sie auf ein Team Event auf eine sogenannte „Fuck Up Night“, bei der die Menschen anders als bei den üblichen Erfolgs-Keynotes über ihr Scheitern und ihre Lehren berichten. Anschließend diskutieren sie das gemeinsam.

Warum wird häufig erwähnt, dass Transparenz in einer neuen Arbeitswelt so wichtig ist?

Transparenz ist oft nicht nur positiv besetzt. Ich würde es anders formulieren: Das Ziel von gelebter Transparenz und Offenheit im Unternehmen ist Vertrauen untereinander, das wir auch in unserem Privatleben voneinander erwarten würden. Offenheit kann nie einseitig funktionieren, sonst landen wir bei Transparenz zur Kontrolle, die letzten Endes Misstrauen fördert.

Wir haben alle einen guten Bullshit Detektor und informelle Kanäle. Meist ist intern ein ehrliches „wir wissen auch nicht, wie wir das jetzt lösen, aber wir arbeiten daran“ eine bessere Lösung, als die Mitarbeiter in Unklarheit und Mutmaßung schmoren zu lassen. Im Gegenteil, es ist auch eine Einladung, das Problem aktiv mit zu lösen. Die Welt ist zu komplex, als dass die zündende Idee nicht von überall herkommen könnte.

Die meisten Unternehmen sorgen sich auf dem Feld immer um den Wettbewerb, dabei geht es bei Offenheit nicht um Geschäftsgeheimnisse: Je nach DNA der Firma gibt es ein gesundes Maß an Transparenz und das hängt maßgeblich von der Stärke der Firmenkultur ab. Selbst die offensten Firmen haben abgeschirmte geheime Projekte – aus guten Gründen – und um die geht es gar nicht. Die Mitarbeiter wollen wissen, warum Entscheidungen wie getroffen werden, wohin die Reise geht und was das für sie konkret bedeutet. Zufriedene Mitarbeiter „plaudern nicht“ nach draußen oder mit dem Wettbewerber, wenn sie sich wertgeschätzt und als Teil des großen Ganzen sehen. Im Gegenzug ist auch jedem klar, was passiert, wenn jemand gegen diesen gemeinsamen Vertrauenscodex verstößt.

Wie viele Firmen haben eine regelmäßige, offene Q&A Kultur, in der die Leute sich a) trauen, interessante Fragen zu stellen und b) Antworten bekommen, die nicht nach PR Botschaft klingen? Parallel müssen der Chef und der Rest der Interessierten dafür sorgen, dass Q&As nicht nur zum Airtime-Klau vor Führungskräften genutzt werden und in banalen Visibility-Shows enden. Ich habe dieses Vertrauen selber gerade in den Tech-Firmen erlebt und habe das sehr geschätzt. Wen es nicht interessiert, der kommt ja eh nicht.

Wie sieht dieses Miteinander und dieses Vertrauen in einem konkreten Beispiel zwischen Chef und Mitarbeiter aus?

Mein Chef hat ein gesteigertes Interesse, dass ich meine beste Performance liefere. Das heißt, dass ich meine Aufgaben erfülle und anderen ihre in der verfügbaren Zeit nicht schwerer mache. In meinem konkreten Fall schreibe ich zum Beispiel meine Keynotes am liebsten in Cafés, wo ich im Alltag „untertauchen kann“ und mich nicht in einem Büroumfeld befinde. Das weiß mein Chef von mir und ich stelle sicher, dass er mir vertrauen kann und er weiß, dass ich nicht stattdessen beim Skifahren bin und auch nicht über Wochen keine Meetings mehr wahrnehme und so die Arbeit anderer leidet. Das ist banal, aber es steigert meinen Output und meine Lebensqualität, warum sollte er das nicht unterstützen?

Glaubst du, dass der stationäre Arbeitsplatz ausstirbt?

Ich halte die Möglichkeit remote zu arbeiten für ein Geschenk, das vielen Leuten ermöglicht, selbstbestimmter am Arbeitsleben teilzunehmen. Arbeitsplätze und Büros haben aber einen enormen Mehrwert als Begegnungszentrum, das sind die „Community Center“ in Unternehmen. Ich sage allerdings ganz bewusst „Raum“, nicht Workstation am Tisch. Es gibt einen Grund, warum innovative Firmen wie Pixar, Google und Co. Kantinen, Huddles und Microkitchens haben. Warum? Damit sich das Wissen im Unternehmen besser vernetzt, die Mitarbeiter sich kennenlernen und so informelle Problemlösungsnetzwerke aufbauen. Sowas funktioniert nicht, wenn du ausschließlich Remote arbeitest, da du am Wissensaustausch nicht teilnimmst und keine Beziehungsebenen aufbaust für die Fälle, wo es mal brennt oder du eine Idee brauchst.

Wie sieht es denn mit Tools und Hilfsmitteln aus in einem modernen Arbeitsplatz aus?

Bei allen Tools sollte die erste Frage immer sein: Was ist das gewünschte Endergebnis durch dieses Tool? Und wie verändert es die Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten? Wir brauchen nicht zwingend neue Werkzeuge, wir nutzen die existierenden meist nur sehr schlecht. Ich sage nur: „Meetings that should have been an e-mail.“

Parallel meine ich, dass wir heute viel bessere Werkzeuge haben, als bis vor fünf Jahren. Wer hing nicht schon mal in einem Conference Call, langweilte sich zu Tode und stellte dann fest, dass die andere Partei überhaupt nicht mehr zuhörte. Videokonferenzen schaffen da Abhilfe, sie erweitern unsere Kommunikationsebenen um das Bild des anderen und schaffen Verbindlichkeit. Ja, du bist nicht im Raum, aber ich sehe dich, du bist da. Das ist viel Wert, schafft Vertrauen, spart Reisekosten und ist persönlicher. Es ist mir ein Rätsel, warum das nicht jeder nutzt.

Am Ende des Tages bleibt das Motto: Culture follows structure. Bestes Beispiel: Wie viele Leute schicken sich noch Dateien hin und her, um eine Präsentation zu bauen. Wenn ich jetzt sage: „Wir wollen kollaborativ sein“, kann ich zum Beispiel dieses Sender-Empfänger-Prinzip des „Dateien-herumschickens, wenn ich damit fertig bin“ nicht mehr akzeptieren. Ich brauche eine Office Software, in der jeder in demselben Dokument gleichzeitig miteinander arbeiten kann. Ich brauche nicht mehr auf andere warten und sehe, welche Änderungen vorgenommen wurden. Ich kann kommentieren und am Schluss muss auch kein armer Knecht zehn Dateien in eine zusammenbauen. Das sind subtile Dinge, die die Struktur ändern und das „Wir-Gefühl“ stärken. Wir bauen es zusammen, jeder, miteinander, parallel.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kommentare aus der Community

Dr. Thomas Bittner am 21.12.2017 um 14:22 Uhr

Verhalten zählt mehr als das Wort. Kann ich so unterschreiben. Wichtig ist hier auch noch: Einstellung folgt dem Verhalten. Eher als umgekehrt (wg. Kogn. Dissonanz). Im Führungskontext passt dazu auch: Authentizität wird überschätzt. Was nutzt mir ein Chef, der sich entsprechend seiner Persönlichkeit verhält, wenn er eine Arschloch-Persönlichkeit hat. Das gibt es – fast jeder kennt einen.

Und muss Führung im digitalen Zeitalter zwingend anders sein? Nö, eigentlich nicht. Herausragende Führung (siehe Transformational Leadership) gibt es seit über 30 Jahren, kennt außerhalb der akademischen Welt kaum jemand – wird hier auch vom Experten nicht erwähnt – bringt aber beeindruckende Ergebnisse. Und das eben auch im digitalen Kontext.

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