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Social Media Marketing
Das Problem mit der Zensur: Diese eigentlich harmlosen Bilder hat Instagram verbannt

Das Problem mit der Zensur: Diese eigentlich harmlosen Bilder hat Instagram verbannt

Tina Bauer | 11.10.17

Instagram gehört zu den populärsten Social Networks, doch hat die Plattform ein Problem mit Diskriminierung und der Durchsetzung der eigenen Regeln.

Instagram entwickelt sich für einige User immer weiter zu einem Buch mit sieben Siegeln. Während das User Engagement auf der einen Seite einbricht und keiner weiß, ob er nun zu viele, zu wenige oder gar verbotene Hashtags benutzt hat, tun sich auf der anderen Seite ganz andere Probleme auf. Auf der Plattform fallen Inhalte der Zensur zum Opfer, doch die Gründe sind häufig fragwürdig und hinterlassen einen faden Beigeschmack der Misogynie. So zeigt nicht nur der jüngste Fall des schwedischen Models Arvida Byström einen fehlgeleiteten Schönheitskult im Netz auf.

Weiblichkeit, Schönheitsideale und Zensur

Arvida Byström ist Model, Künstlerin und Fotografin, die dafür bekannt ist, das Bild von Weiblichkeit und Geschlechterstandards infrage zu stellen. Nachdem sie für eine Kampagne mit Adidas auf Instagram Privatnachrichten erhalten hat, in denen ihr mit Vergewaltigung gedroht wurde, hatte sie die Nase voll.

Bei dem Bild handelt es sich um eine Aufnahme von ihr, in der sie ein kurzes Kleid und die kultigen Adidas Superstars trägt. Im Grunde nichts besonderes, wenn sie nicht unrasierte Beine hätte. Im Grunde wäre auch das nichts besonderes, wenn nicht unsere Vorstellung von Schönheit geprägt von einem unrealistischen Perfektionismus wäre.

Die Kommentare in der Spalte neben dem Bild konzentrieren sich eher auf die Beine als auf die Schuhe.

Da dies bei weitem nicht das erste Mal war, dass Byström mit Hatespeech und Cyber Mobbing konfrontiert wurde, entschied sie sich dazu mit ihrer Mitstreiterin Molly Soda, ebenfalls eine Online-Bekanntheit, einen Bildband (Pics or It Didn’t Happen: Images Banned from Instagram) mit von Instagram zensierten Fotos zu veröffentlichen. Darin geht es vor allem um Weiblichkeit, Schönheitsideale und Zensur auf Instagram.

Inkonsequente Zensur und Regeln, die nicht für alle gelten

Denn so viele Möglichkeiten Instagram seinen Nutzern auch bietet, so inkonsequent handhabt die Plattform ihre eigenen Regeln. Neben Hatespeech und kriminellen Handlungen ist auch jegliche Form von Sexualität laut der Richtlinien verboten. Und darunter fällt mitunter auch schlichtweg das Zeigen von zuviel Haut.

Respektiere alle Personen auf Instagram, sende keinen Spam an Personen und poste keine Inhalte, in denen Nacktheit dargestellt ist.

Doch einheitlich werden diese Regeln nicht gehandhabt. Fotos von leicht bekleideten Personen finden sich auf der Plattform zuhauf, doch wird allem Anschein nach ein Unterschied zwischen der Schönheitsnorm entsprechenden und ihr nicht entsprechenden Usern getroffen. Auch scheint es einen geschlechterspezifischen Unterschied zu geben. So werden entsprechend Fotos und Videos, die weibliche Brustwarzen beinhalten, kurzerhand gelöscht, während das männliche Pendant ein unbehelligtes Leben auf der Plattform genießen darf. Der Account Genderless Nipples schreibt dazu: „Men are allowed to show their nipples, women’s get banned. Support ALL genders! Let’s change this policy!“. Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, postet der Account ausschließlich Close-ups von Brustwarzen, die keinerlei Schluss auf das Geschlecht zulassen. Bislang hat Instagram nichts dagegen unternommen. Vermutlich liegt dem einzig die Tatsache zugrunde, dass man nicht auf den ersten Blick erkennen kann, welche Brustwarze einer Frau gehört.

Der Bildband Byströms führt 300 Bilder auf, die von Instagram gelöscht wurden, da sie den Richtlinien der Plattform nicht entsprechen. Die Fotos werfen Fragen auf. Fragen, die man sich in Zeiten der Gleichberechtigung stellen sollte. Einige Beispiele.

#1 Behaarte Beine

Auch Lee Phillips gibt auf althergebrachte Geschlechterrollen nicht viel und verzichtet von Zeit zu Zeit auf den Zwang sich zu rasieren. Das gepostete Bild, das ein paar Beine und eine Konversation auf dem Smartphone zeigt wurde von Instagram gelöscht.

Obwohl außer behaarten Beinen und einer Textkonversation auf dem Bild sonst nicht viel zu erkennen ist, wurde das Bild entfernt. © Pics or it didn’t happen | @c.har.lee

#2 Das Portrait

Isaac Kariuki ist Fotograf und Autor, der in Nairobi und London lebt. Das Bild einer freihändig telefonierenden Schwarzen im Regenmantel und Sonnenbrille hat Instagram als Verstoß gegen die Richtlinien eingeordnet und infolgedessen entfernt.

© Pics or it didn’t happen | @isaackariuki.jpg

#3 Body Positivity

Ein weiteres Foto des Künstlers zeigt eine junge Frau, die zwei Selfies von sich vor dem Spiegel macht. Auf beiden Fotos ist sie leicht bekleidet, zeigt dabei jedoch keine „verbotenen“ Körperstellen. Einzig, dass sie nicht der allgemeingültigen Körpernorm entspricht und das Bild das Thema Body Positivity anspricht, könnte ihm zum Verhängnis geworden sein. Denn Männer und dünne Mädchen dürfen sich ja ebenfalls in Unterwäsche auf Instagram und Co. zeigen. Die darauf abgebildete Sam Newman äußerte öffentlich ihren Unmut über die Zensur, die sich wie Fatshaming angefühlt habe. Nachdem ihre Geschichte Schlagzeilen gemacht hatte, machte Instagram die Zensur rückgängig und entschuldigte sich bei Newman.

„Die Zensur hat sich angefühlt wie Fatshaming“, so die damals 19-Jährige Sam Newman © Pics or it didn’t happen | @isaackariuki.jpg

#4 Unrasiert, Vol. II

Das Selbstportrait der Fotografin Petra Collins wurde 2014 gelöscht. Darauf zu sehen ist ihr mit lediglich einer Unterhose bekleideter Unterleib – und einige Haare. Auf Instagram werden täglich tausende Fotos von Menschen in Unterwäsche gepostet und nicht gelöscht. Die Löschung ihres Bildes empfindet Collins als Zensur.

© Pics or it didn’t happen | Petra Collins

#5 Feminist_Tinder

Jeder kennt Tinder Nightmares. Der Instagram Account postet Screenshots schlechter Anmachen auf Tinder. Während dieser Screenshots mit eindeutigen Inhalten also veröffentlichen darf, ist Feminist_Tinder der Zensur gleich zweimal zum Opfer gefallen. Der Löschung des Accounts liegt laut Inhaberin eine „selektive Durchsetzung der Richtlinien“ zugrunde.

Nicht nur diese Konversation, sondern gleich der ganze Account Feminst_Tinder wurde auf Instagram gelöscht. © Pics or it didn’t happen | Feminist Tinder

#6 Ein bisschen Blut

Zugegeben: Derartiger Content ist nicht jedermanns Geschmack. Das Bild ist aber aus guten Gründen bereits vor einiger Zeit viral gegangen. Denn es ist kontrovers und wurde ebenfalls gelöscht, gleich zweimal. Danach lud die Fotografin Rupi Kaur es auf Facebook hoch, taggte Instagram in dem Post und schrieb dazu:

thank you Instagram for providing me with the exact response my work was created to critique. you deleted my photo twice stating that it goes against community guidelines. i will not apologize for not feeding the ego and pride of misogynist society that will have my body in an underwear but not be okay with a small leak. when your pages are filled with countless photos/accounts where women (so many who are underage) are objectified. pornified. and treated less than human. thank you.

Solche Bilder sollen die Normalität der Periode darstellen und eine Enttabuisierung erzielen. Die Zensur seitens Instagram hat bewiesen, dass es auch in unseren Kulturkreisen noch nicht möglich ist, derartige Vorgänge zu thematisieren. Die Bewegung soll dafür Sorge tragen, dass die Gesellschaft sich mit diesem Thema endlich auseinandersetzt und bestehende Normen aufgeweicht werden. Ihr Statement: Es ist natürlich und es muss nicht versteckt oder totgeschwiegen werden. Das sieht Instagram jedoch anders.

© Pics or it didn’t happen | Rupi Kaur

Doch nachdem sich das Bild von Kaur schnell auf Facebook verbreitete, lenkte Instagram ein. Das Unternehmen repostete das Bild und gestand den Fehler gegenüber Mashable ein: „In this case, we wrongly removed content and worked to rectify the error as soon as we were notified. We apologize for any inconvenience“.

Auf Nachfrage bekamen wir von Instagram ein Statement zur willkürlichen Zensur von Inhalten:

„Es ist nicht immer einfach, die richtige Balance zu halten, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich frei auszudrücken und gleichzeitig ein angenehmes Erlebnis für unsere weltweite und kulturell vielfältige Gemeinschaft vieler Altersstufen zu schaffen, aber wir geben unser Bestes.“

Fragwürdige Durchsetzung von Regeln

Die Bilder zeigen nicht nur, dass Instagram seine eigenen Richtlinien inkonsequent einhält und durchsetzt. Die Bilder zeigen auch ein weit tieferes Problem auf: Die Internetkultur ist in weiten Teilen sexistisch, misogyn und intolerant. Derlei Handlungsweisen tragen gerade in Bezug auf Schönheitsideale zur Reproduktion veralteter und sexistischer Vorstellungen bei. Bei einer Plattform wie Instagram hat dies auch gesellschaftlich ein besonderes Ausmaß.

Bedenklich genug, dass 2017 Faktoren wie das Geschlecht, die Hautfarbe oder völlig natürliche Vorgänge maßgebend darüber sind, welche Inhalte auf der Plattform erlaubt sind und welche nicht. Entweder die Regeln gelten für alle oder für keinen. Für jegliche Diskrimierung sollte in unserer Gesellschaft kein Platz mehr sein.

Kommentare aus der Community

Blebs am 11.10.2017 um 17:27 Uhr

Zunächst mal gibt es drei Ziele:

1. Das Ziel des Unternehmens
2. Das Ziel der MEHRHEIT der Nutzer
3. Ein gesellschaftlich-moralisches Ziel

1. und 2. sind wahrscheinlich deckungsgleich, 3. in dem Zusammenhang nicht zwangsläufig.

Antworten
Blebs am 11.10.2017 um 14:10 Uhr

Die Grenzen sind nunmal fließend. Nur weil Sachen natürlich sind, sind sie noch lange nicht appetitlich oder zu jedem Zeitpunkt angemessen. Mancher, der beim Essen grad über Instagram scrollt, hat vielleicht keinen Bock darauf in dem Moment eine Prise Regelblut zu sehen ;)

Manchmal wird einfach vergessen dass Soziale Netzwerke kein Allgemeingut sind, sondern ganz normale Unternehmen die frei nach Schnauze entscheiden können was sie zeigen auch wenn es teilweise inkonsequent ist.

Antworten
Tina Bauer am 11.10.2017 um 16:56 Uhr

Das gleiche gilt dann wohl auch für nicht ganz dünne Menschen? Eine einheitliche Durchsetzung von Regeln, die nur vermeintlich allgemeingültig sind, ist das Ziel, nicht was der eine oder andere beim Müsli essen gern sehen würde. ;)

VG,
Tina

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