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E-Commerce
Wer nicht fühlen kann, muss schauen: Wie AR und KI beim Online Shopping helfen

Wer nicht fühlen kann, muss schauen: Wie AR und KI beim Online Shopping helfen

Ein Gastbeitrag von Franz Jordan | 12.11.19

Je informierter die Kaufentscheidung beim Online Shopping fällt, desto geringer ist die Retourenquote. Die Frage lautet also, können Onlinehändler den Käufer dabei unterstützen, sich richtig zu entscheiden? Neue Tools sowie KI und AR helfen zukünftig dabei.

Reduzierte Retouren sind für Online-Händler nicht nur ein Schlüssel für mehr operative Effizienz, sondern auch für eine bessere Ökobilanz. Doch wie lässt sich das erreichen? Die Gründe für Rücksendungen liegen meist in nicht erfüllten Erwartungen auf der Kundenseite, doch das lässt sich vermeiden. Stellt ein Händler möglichst viele Informationen auf der Produktseite zur Verfügung, kann der Kunde einen umfassenden Eindruck vom Artikel gewinnen und seine Entscheidung fundierter treffen.

Gerade bei Bekleidung und Schuhen fällt den Kunden die Kaufentscheidung online manchmal nicht leicht. Ein Grund ist, dass Fragen wie „Sitzt die Jacke?“, „Stimmt die Fertigungsqualität?“ vor dem Kauf häufig noch nicht ausreichend beantwortet werden. Deshalb verlagert sich die finale Entscheidung heutzutage oft auf später: „Notfalls gebe ich es eben zurück.“ Genau das können Online-Händler jedoch mithilfe von mehr Visualisierung zukünftig noch besser vermeiden. Speziell die Produktkategorie Bekleidung/Schuhe bietet in dieser Hinsicht viel Potenzial. Immerhin liegt sie mit einer Retourenquote von über 27 Prozent unangefochten auf Platz eins der Statistiken. Das ist viermal so viel wie bei der zweitplatzierten Kategorie Haushaltselektronik.

Den effektivsten Mix aus verschiedenen Bildformaten und Inhalten finden

Wer seinen Kunden mithilfe von Bildern vor dem Kauf mehr relevante Informationen zur Verfügung stellt, kann die Rücksendequote deutlich reduzieren. Doch wie lässt sich herausfinden, welche Aspekte relevant sind? Das bedeutet natürlich etwas Analyseaufwand. Mithilfe von regelmäßigen Fokusgruppen und Eye Tracking-Tests in kleineren Gruppen können Marken herausfinden, welche Bilder und Detailaufnahmen der Produkte die Testpersonen auf einer Seite anschauen und wie lange sie diese betrachten. Im Fall der beispielhaft genannten Jacke könnten das Knöpfe, Verzierungen, Material oder Nähte sein. Ebenso wichtig: Was wird umgekehrt am wenigsten geklickt? Diese Daten lassen sich zudem mit den Verkaufs- und Retourenquoten verknüpfen. Passen die Testpersonen zur Zielgruppe, können die Markenanbieter auf Basis der gewonnenen Daten ein Ranking für den Online-Händler erstellen, was seine Kunden sehen wollen. Weitere Anhaltspunkte ergeben sich aus der Kundenkommunikation, beispielsweise Rücksendegründe oder Produktbewertungen. Auf Basis dieser Daten kann der Anbieter die Informationsbedürfnisse gezielt erfüllen und den effektivsten Mix aus Detailansichten mit unterschiedlichen Winkeln, 3D-Ansichten oder Zoom-Optionen anbieten sowie seine Produktvideos optimieren.

Diese wurden einst als unterhaltsames, aber unrealistisches Infomercial belächelt, feiern jedoch heute im modernen Gewand ein Revival. Sie bieten die Möglichkeit, relevante Inhalte visuell möglichst informativ aufzubereiten, erfordern jedoch eine gut geplante Produktion: Potenziell ablenkende Faktoren wie schnelle Perspektivenwechsel, unruhige Bewegungen oder wechselnde Hintergründe gilt es zu vermeiden. Im Mittelpunkt sollte ganz klar das Produkt und seine Eigenschaften stehen.

Virtuelle Umkleidekabinen revolutionieren den Online-Handel mit Kleidung

Zusätzlich zu Bildern und Videos können AR-Technologien eine sinnvolle Ergänzung sein. Sie gestalten nicht nur das Kauferlebnis interaktiver und involvieren damit den Kunden stärker, sondern vermitteln auch einen realistischeren Eindruck des Produktes. Auf diese Weise können Online-Händler ihren Kunden heute eine umfassende, gezielte Simulation des analogen Kauferlebnisses bieten, virtuelle Anprobe inklusive.

Der Markt bietet bereits zahlreiche AR Add-ons für Online-Händler, was gerade Anbietern individuell angefertigter Produkte entgegenkommt. Vorreiter bei solchen Features waren vor allem Brillen-Shops. Kunden konnten ein Selfie aufnehmen und verschiedene Brillen virtuell anprobieren. Das Ergebnis diente allerdings oftmals eher als erster Eindruck, denn häufig fand keine authentische Anpassung der Größenverhältnisse von Brille zu Gesicht statt. Trotzdem ergriffen viele etablierte, stationäre Händler und Marken mit Direktvertrieb die Chance, ihre Bestandskunden an der Abwanderung zu reinen Online-Händlern zu hindern und bieten nun ebenfalls eine entsprechende Anwendung.

Auch Amazon bietet bereits eine solche Möglichkeit: Amazon AR View ist eine Funktionserweiterung in der Shopping App, mit der Nutzer Produkte aus dem Marketplace virtuell in ihre Umgebung stellen können. Damit verknüpft Amazon die virtuelle Produktwelt mit den eigenen vier Wänden und ermöglicht so seinen Kunden ein noch besseres Nutzererlebnis.

Damit Amazon AR View funktionieren kann, muss ein 3D-Modell des jeweiligen Produkts verfügbar sein. Ein hochauflösendes Foto zeigt immer nur eine Perspektive – für AR View braucht Amazon jedoch ein multidimensionales, virtuelles Objekt. Nur so lässt sich der Wunschartikel nahtlos in einer projizierten Umgebung abbilden und simulieren.

Skizze des AR-fähigen Spiegels aus dem Patent von Amazon. © United States Patent and Trademark Office

Einen Schritt weiter geht der virtuelle Spiegel, den Amazon patentiert hat und eventuell bald anbieten könnte. Nachdem aktuell der smarte Stylingberater Amazon Echo Look insbesondere bei jüngeren Nutzern sehr erfolgreich ist, kombiniert die neue Technologie das bekannte Konzept mit AR. Ein Spiegel mit im Rahmen integrierter Kamera und dahinter positioniertem Bildschirm soll es möglich machen. Die Kamera nimmt ein Bild auf, vorausgewählte Kleidung kann virtuell anprobiert werden und das ganze vor einem passenden Hintergrund: das Abendkleid im Ballsaal, die Badehose am Strand. Noch ist das Zukunftsmusik, aber die Technologie könnte den Online-Handel mit Kleidung stark verändern.

Was ist nun zu tun?

Online-Händler müssen innovations-, handlungs- und auch investitionsbereit sein, um das Einkaufserlebnis ihrer Kunden und damit letztlich ihre Retourenquote zu verbessern. Inwieweit Detailfotos, Videos oder AR-Anwendungen dabei unterstützen können, hängt zunächst vom Produkt ab. So kann AR vor allem bei Kleidung, Accessoires oder Möbeln hilfreiche Informationen liefern, während bei Elektronik oder Haushaltsgeräten detailreiche Fotos sowie Anwendungsvideos effektiver sind. Belege und genauere Analysen dafür erhalten Online-Händler, indem sie mit KI-gestützten Tools analysieren, welche visuellen Inhalte die Käufer tatsächlich nutzen und wie sich das auf Verkäufe und Retouren auswirkt. Nicht zuletzt sollte auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis eine Rolle bei diesen Überlegungen spielen. Gerade bei Artikeln mit geringer Marge wäre eine aufwändig produzierte AR-Animation kaum wirtschaftlich. Wer aber eine individuelle Bildsprache mit anschaulichen Informationen und neuesten technologischen Möglichkeiten kombiniert, kann sich vom Wettbewerb abheben, den Kunden ein besseres Kauferlebnis bieten und gleichzeitig Retouren reduzieren.

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