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Digitalpolitik
Digitale Barrierefreiheit: Warum Unternehmen jetzt aktiv werden müssen

Digitale Barrierefreiheit: Warum Unternehmen jetzt aktiv werden müssen

Ein Gastbeitrag von Bob Farrell | 18.12.24

Digitale Barrierefreiheit wird immer wichtiger, sogar per Gesetz, doch viele Unternehmen hinken immer noch hinterher.

2025 steht ein Wendepunkt bevor – das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verpflichtet Unternehmen in Europa ab Mitte nächsten Jahres zur digitalen Barrierefreiheit. Doch laut dem aktuellen „State of Digital Quality in Europe Report 2024” von Applause investieren viele europäische Unternehmen weiterhin zu wenig in diesen Bereich. Nur 26 Prozent der europäischen Unternehmen gaben an, dass digitale Barrierefreiheit mittlerweile eine Top-Priorität sei – deutlich weniger als die 42 Prozent im internationalen Vergleich. Fehlende Ressourcen und die geringe Einbindung von Menschen mit Behinderungen in Design- und Testprozesse zeigen zusätzlich, dass das Thema immer noch unterschätzt wird. Doch nicht nur Compliance ist ein Grund zum Handeln: Digitale Barrierefreiheit eröffnet Chancen, die Kund:innenbindung und den Markenwert zu steigern.

Herausforderungen der digitalen Qualität

In dem Report wurden für dieses Jahr knapp 100.000 Bugs bei europäischen Unternehmen erfasst. Diese betreffen verschiedene Bereiche wie Barrierefreiheit, Künstliche Intelligenz (KI), digitaler Zahlungsverkehr und User Experience (UX). Ein besonders kritisches Thema ist die Barrierefreiheit, denn 46 Prozent der europäischen Befragten gaben an, nur begrenzte oder gar keine internen Ressourcen dafür zur Verfügung zu haben. 37 Prozent der Unternehmen in Europa haben noch nicht einmal mit den Vorbereitungen für die Einhaltung des EU-Barrierefreiheitsgesetzes begonnen und weitere 35 Prozent hinken nach eigener Einschätzung im Zeitplan hinterher.

Fehlende Expertise und das Nicht-Einbinden von Menschen mit Behinderungen in Designprozesse wirken hier als große Hemmnisse. Denn immer noch 38 Prozent der Unternehmen holen sich keine Unterstützung von Menschen mit Behinderung in die Entwicklung und das Testen ihrer digitalen Angebote. Also von der Personengruppe, für die die Anpassungen gemacht werden. Stattdessen verlassen sie sich ausschließlich auf öffentlich zugängliche Ressourcen zu inklusivem Design. Dies ist besonders problematisch, da 46 Prozent der europäischen Befragten angaben, dass in ihrem Unternehmen keine oder nur limitierte Ressourcen vorhanden sind, um ihre Maßnahmen zur Barrierefreiheit zu testen. Das kann dazu führen, dass im Zweifelsfall an der Zielgruppe vorbei entwickelt wird und Fehler nicht bemerkt werden.

Digitale Inklusion als Wettbewerbsvorteil

Das Thema digitale Barrierefreiheit hat neben der gesetzlichen Komponente auch einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, die auf inklusives Design setzen, schaffen ein positives Nutzer:innenerlebnis. Das gilt beispielsweise auch für den Einsatz von KI-Anwendungen, die mittlerweile 91 Prozent der Gen AI User als Alternative zu traditionellen Suchmaschinen nutzen. Doch um die 27 Prozent wechselten den Anbieter:innen aufgrund von UX- oder Performance-Problemen.

Eine gute UX bedeutet auch, dass alle Nutzer:innen und damit auch Menschen mit Behinderung die digitalen Angebote der Unternehmen nutzen können. Menschen mit Behinderungen sind eine wachsende Gruppe an Nutzer:innen, deren Bedürfnisse oft vernachlässigt werden. Unternehmen, die diese Menschen mit berücksichtigen, profitieren auch von einer größeren potenziellen Käuferschaft. In Deutschland machen Menschen mit einer schweren Behinderung, die besonders auf digitale Barrierefreiheit angewiesen sind, 9,3 Prozent der Bevölkerung aus – also 7,86 Millionen Personen.

Besonders blinde und sehbehinderte Menschen werden aktuell noch besonders häufig bei der Nutzung digitaler Anwendungen eingeschränkt, denn fehlerhafte Screenreader-Anwendungen sind mit 69 Prozent der dokumentierten Probleme eine besonders häufig auftretende Barriere. Unternehmen, die hier gegensteuern und barrierefreie digitale Lösungen anbieten, heben sich nicht nur positiv ab, sondern stärken gleichzeitig ihre Markenreputation als inklusiver und kundenorientierter Anbieter:innen.

Schritte zur digitalen Inklusion

  1. Frühzeitige Einbindung: Die direkte Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in den Designprozess sichert praxisnahe Rückmeldungen und verbessert das Nutzererlebnis spürbar.
  2. Ressourcenaufbau: Interne Kompetenz im Bereich Barrierefreiheit ist entscheidend. Unternehmen sollten ihr Angebot an Schulungen und Workshops zu barrierefreien digitalen Design ausbauen.
  3. Regelmäßige Tests: Um Inklusion nachhaltig zu integrieren, sind regelmäßige Tests erforderlich. Automatisierte Werkzeuge können unterstützen, ersetzen jedoch nicht den Perspektivwechsel und das direkte Feedback von Menschen mit Behinderungen.
  4. Reporting und Dokumentation: Eine durchgängige Dokumentation und Analyse der User Journey ermöglichen eine langfristige, barrierefreie Entwicklung.

Wer auf digitale Inklusion setzt, profitiert langfristig

Die Verpflichtung zur digitalen Barrierefreiheit ist nicht nur rechtlich notwendig, sondern sollte als integraler Bestandteil jeder Unternehmensstrategie verstanden werden. Sie umfasst dabei die Bereitstellung digitaler Angebote, die für alle Nutzer:innen zugänglich und nutzbar sind – unabhängig von ihren individuellen Einschränkungen.

Barrierefreie digitale Angebote verbessern nicht nur die Nutzer:innenfreundlichkeit, sondern bringen auch wirtschaftliche Vorteile durch eine größere Reichweite und bessere Strukturierung der Inhalte. Unternehmen, die Barrierefreiheit und Inklusion ernst nehmen, profitieren langfristig von einer besseren Kund:innenbindung und einem höheren Markenwert profitieren.

Darüber hinaus trägt ein inklusives Design zu einer modernen Unternehmenskultur bei, die Vielfalt und Chancengleichheit aktiv lebt. Dafür müssen Unternehmen frühzeitig von Menschen mit Behinderungen in Design- und Testprozesse digitale Produkte einbinden.

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